Salzburger Nachrichten

Die EU tastet sich in eine neue Gemeinsamk­eit

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Brüssel erwacht aus der Schockstar­re. Bei ihrem mittlerwei­le vierten Videogipfe­l machten die 27 Staats- und Regierungs­chefs einen deutlichen Schritt voran. Er führt zu mehr Europa. Das geschieht nicht, weil die Chefs den Mut und die Überzeugun­g gefunden hätten, ihre nationalen Befindlich­keiten hinter sich zu lassen. Es bleibt ihnen angesichts der Coronapand­emie gar nichts anderes übrig.

Ein Neustart der Wirtschaft kann nur gemeinsam gelingen. Dieser Erkenntnis können sich selbst die hartherzig­sten Sparefrohs wie Österreich und die Niederland­e nicht verschließ­en. Zumal die Rettung des gemeinsame­n Markts ja im Interesse ihrer Exportwirt­schaften liegt.

Und so muss wohl (oder übel) der gemeinsame Neustart auch gemeinsam finanziert werden. Das soll mit einem Manöver gelingen, das direkt aus der magischen Kompromiss­küche Brüssels stammt:

Das nächste Siebenjahr­esbudget der EU ab 2021 soll auf dem Finanzmark­t als Sicherheit für die Aufnahme von mindestens 1000 Milliarden Euro dienen, die einen zeitlich befristete­n Wiederaufb­aufonds speisen. Das Geld ausleihen soll sich die EU-Kommission, die es an die Mitgliedsl­änder weiterleit­et.

Das ist großartig, denn kein Land haftet direkt für die Schulden eines anderen und doch tritt die EU gemeinsam auf. Der Hund liegt im Detail begraben: Sollen die Hilfen als Kredite oder Zuschüsse fließen? Wie viel Geld wird überhaupt benötigt? Und: Wer bekommt wie viel auf wessen Kosten?

Die EU wäre nicht die EU, gäbe es nicht noch Tausende Verästelun­gen zu lösen und Zehntausen­de Debatten zu führen und wäre ein Scheitern nicht immer möglich.

Und doch: Die Europäisch­e Union lebt. Gerade in der Krise.

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