Salzburger Nachrichten

Schüler, Eltern und Lehrer haben sehr viel geleistet Shutdown traf auch an Schulen die Schwächste­n

Im Land der Hämmer beginnt nun der Schulöffnu­ngstanz. Vielleicht sogar zukunftsre­ich. Aus der Krise kann auch etwas entstehen.

- HELMUT.SCHLIESSEL­BERGER@SN.AT Helmut Schliessel­berger

„Der Hammer und der Tanz.“Diese Metapher ist weltweit zur Coronaviru­sstrategie geworden. Früh implementi­erte strenge Maßnahmen waren der Hammer – für die Wirtschaft wie für die Schule.

Die Phase des Tanzes, der behutsamen Öffnung unter stetem Schielen auf die Reprodukti­onsrate, läuft nun. Bei dem Tanz kann es vor und – wenn die Rate steigt – retour Richtung Hammer gehen, erklären uns die neuen politische­n Tanzlehrer.

Der Hammer traf die Wirtschaft extrem hart, darum wurde mit der Öffnung und dem Tanz auf 20 Kundenquad­ratmetern begonnen.

Aber was macht der Hammer des Schul-Shutdowns mit unseren Kindern und warum gab es so lang einen kommunikat­iven (Eier-)Tanz um den Fahrplan für eine neue Schulnorma­lität, in der auch offenbar unprodukti­ve juvenile „Virenschle­udern“wieder voll zählen?

Wurde das Land der Hämmer zu stark zum Land der Hemmer unserer Kinder? Es wird ein heikler Tanz bleiben: Die Hälfte der Eltern fürchtet aus Infektions­angst eine Öffnung, die andere Hälfte bricht unter der Last der Schule daheim fast zusammen, manche Studien besagen, dass Schulen kaum zur Virusverbr­eitung beitragen, andere warnen vor der Gefahr der Öffnung.

Der Hammer hat Schüler und Familien hart getroffen – unterschie­dlich hart: Manch Akademiker­kind, das einfach seinen Laptop aus der Computerkl­asse mit nach Hause nahm, hat die neue Selbstorga­nisation sogar genossen. Der Schulschli­eßungshamm­er traf andere härter und hemmte: Den Buben, der mit der im Homeoffice arbeitende­n alleinerzi­ehenden Mutter um den einen Computer streiten muss, die vier Kinder der Flüchtling­sfamilie, die mit Eltern und Großeltern auf 65 Quadratmet­ern leben, das Mädchen, das nicht in Betreuung durfte, weil die Schule der Mutter beschied: „Putzfrau ist kein systemrele­vanter Beruf“, die Zehntausen­den, die keine Endgeräte hatten, oder die viel zu vielen, die nächtelang beim Videogamin­g versumpfte­n.

Die Dunkelziff­er nicht lernender Schüler wird auf bis zu 30 Prozent geschätzt. In vielen Familien funktionie­rte Homeschool­ing gut – das Soziale, der Kontakt mit Freunden fehlte dramatisch. Irgendwann stießen auch Familien, in denen es klappte, an lernpsycho­logische, technische oder soziale Grenzen.

In der Coronakris­e wuchs die Ungleichhe­it in Österreich­s Gesellscha­ft erstaunlic­h schnell. Das ist auch in der Schule passiert. Der Shutdown-Hammer hat soziale Bildungsgr­äben, die es schon gab und in deren Einebnung unser Schulsyste­m noch nie besonders stark gewesen ist, weiter aufgerisse­n. Damit die sozialen Klassen an der Schule nicht weiter auseinande­r tanzen, muss man sich jetzt der Schwächste­n auf besondere Weise mit Förderange­boten annehmen.

Auch auf die Lehrer ging der Hammer nieder, viele mussten über Nacht auf virtuellen Unterricht umlernen. Sie zahlen nun den Preis, bis tief in die Nacht über Korrekture­n und Elternmail­s zu sitzen. Immerhin,

die Eltern wissen, was die Lehrer gerade leisten. Die Lehrer wissen, was zu Hilfshausl­ehrern rekrutiert­e Eltern leisten müssen. Die Pädagogen stehen – ohne Applaus – weiter vorn an der Coronafron­t: In den engen Konferenzz­immern mit dem einen Waschbecke­n gehören viele vom Alter her zur Risikogrup­pe.

Im besten Fall entsteht aus der Katastroph­e ein neuer schulische­r Zusammenha­lt und ein Ausbruch aus dem Kreislauf des Frontalunt­errichts, Auswendigl­ernens, Abprüfens und Vergessens. Vielleicht bleibt auch das sinnvolle Einbeziehe­n der Leistungen des letzten Schuljahrs in die Maturabewe­rtung. Und die Chancen zumindest ergänzende­r individuel­ler Förderung durch digitales Lernen haben jetzt viele via Crashkurs erkannt.

Die Lösung für die Maturanten scheint funktional, aber es hätte viel dafür gesprochen, ihnen im Jahr der Coronaprüf­ung den Proforma-Maturatanz ganz zu ersparen. Leistung soll und wird nicht das Thema des Schuljahre­s 2020 sein. Den Leistungsh­ammer braucht keiner mehr auszupacke­n. Bildungsex­perten betonen, dass es nach der Öffnung primär um soziales Zusammenfi­nden und den Wiederaufb­au der Gemeinscha­ft gehen muss. Und wenn schon Leistung bewertet werden soll, dann die Leistung der Schüler, der Eltern und der Lehrer, eine gewaltige Krisensitu­ation mit viel Mut und Kraft (vorerst) bewältigt zu haben. Diese Leistung sollte für alle Schüler reichen, das Jahr positiv zu absolviere­n.

 ?? WWW.SN.AT/WIZANY ?? Reifezeugn­isse . . .
WWW.SN.AT/WIZANY Reifezeugn­isse . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria