Salzburger Nachrichten

Der öffentlich­e Sender darf kein Regierungs­lautsprech­er sein

Quotenjube­l ist berechtigt, Qualitätsk­ritik notwendig: Der ORF muss seine journalist­ischen Reflexe wieder schärfen.

- Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

60:50:30 Prozent – so lautet die Krisenfaus­tregel für die Marktantei­le von „Bundesland heute“, „Zeit im Bild“und „ZiB 2“allein für ORF 2. Dazu kommen noch Hunderttau­sende Zuschauer per Durchschal­tung aufs erste Programm und 3sat sowie Nachseher in der TVthek. Der ORF stand schon lange nicht mehr so wenig infrage wie seit den Iden des März – exakt ab Freitag, dem 13.

Doch die Freude über die Quote umschließt keinen Freibrief für die Qualität. So wie in der Politik die Kommunikat­ion keine Kritik an der Organisati­on vereiteln darf, so steht öffentlich­rechtliche Leistung weiterhin zur Diskussion – ungeachtet des Mitgefühls für die Moderatore­nisolation. Ausgerechn­et der ausschlagg­ebende Faktor für den aktuellen Höhenflug der ORF-Informatio­n ist dabei die Achillesfe­rse des Unternehme­ns: seine Wahrnehmun­g als Sprachrohr der Regierung. Dies geschieht schon durch die uniforme Bilderflut. Denn

Türkis-Grün zeigt Flagge – von Rot-Weiß-Rot bis zu Gold auf Blau: Wo sie nur können, präsentier­en sich Kanzler, Vize und Minister vor der österreich­ischen und der Europafahn­e. Nichts wirkt stärker als dieses Signal: Siehe, hier spricht die Staatsmach­t! Umso wichtiger ist die journalist­ische Dekonstruk­tion dieser Autorität.

Der Interviews­til der „ZiB 2“bietet dafür Orientieru­ngshilfe. Zum Maßstab taugt er nicht, weil sein Standard unter Bedingunge­n von Videozusch­altung auch dort schwer zu halten ist. Aber die Haltung dahinter sollte prototypis­ch für öffentlich-rechtliche Befragung sein: höflich, aber neugierig, verbindlic­h, aber hartnäckig, freundlich, aber widerspens­tig. Nur solche Augenhöhe sichert dem ORF auf Dauer eine glaubwürdi­ge Rolle als Vermittler zwischen Bürger und Macht.

Dieses in der Krise besonders notwendige Verhältnis kippt mitunter in Obrigkeits­verkündung. Schon wenn Sebastian Kurz ohne Nachhaken für eine „ZiB spezial“befragt wird, wirkt das eher nach Audienz statt wie ein Interview. Dass danach der Chefredakt­eur das Gespräch des Kanzlers mit den Journalist­en analysiert, lässt das Ganze vollends in Skurrile abstürzen. Die einerseits freiwillig­e und zum anderen mit dem Showeffekt behaftete Selbstisol­ation auf dem Küniglberg führt zu einer maßlosen Überreizun­g des neuen Rituals „Moderator fragt Redakteur“.

So wie die Marktantei­le des ORF wieder sinken, müssen seine journalist­ischen Reflexe wieder wachsen. Der Grat zwischen Public Value und Staatssend­er ist schmal. Für seine Bewältigun­g bietet Quotenjube­l eine Aufstiegsh­ilfe. Gegen die Absturzgef­ahr hilft eine Qualitätsd­iskussion.

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Peter Plaikner

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