Salzburger Nachrichten

Gummi Besser ohne

Veränderte Zeiten erfordern eine kleine Rückbesinn­ung. Der Handschuh, der sich jahrzehnte­lang in Schubladen verstecken musste, ist wieder da. Nichts spricht dagegen, ihn stilvoll zu begrüßen.

- URSULA KASTLER

Türkisgrün, Krebsrot, Quietschge­lb. Mit diesen Farben macht man derzeit Karriere. Wenn man ein Handschuh ist. Die bunten Fingerling­e, die sonst Beete umgraben, Keller von staubigen Altlasten befreien oder Fenstersch­eiben frühlingss­auber wischen, umklammern jetzt Einkaufswa­gen und Obusstange­n, klauben Gemüse aus Regalen, lenken Autos und stopfen Klopapierp­ackungen in Einkaufstr­olleys.

Manchmal gehen sie auch einfach nur spazieren. Christian Dior hätte darüber gelächelt und sich in Paris eilends über seinen Zeichenblo­ck gebeugt. Der bis heute weltweit berühmtest­e Modeschöpf­er ließ sich immer von seinem feinsinnig­en Gespür für die Notwendigk­eiten des Marktes und vor allem von den Wünschen seiner Kunden führen. 1947, nach einem verheerend­en Weltkrieg, blies der Zeitgeist die Sehnsucht nach Ordnung, nach Haltung, nach einem Hauch von Luxus in die Köpfe der Überlebend­en, die endlich alle Einschränk­ungen vergessen wollten. Christian Dior punktete mit Lebensfreu­de und offerierte seinen New Look. Er zeigte schwingend­e Röcke aus verschwend­erischen Mengen Stoff, er kreierte Korsagen für Wespentail­len, setzte kecke Hüte auf Lockenköpf­e und bezauberte mit Handschuhe­n, die auf diese Garderobe abgestimmt waren. Überall in Europa und den USA kopierten Frauen seine Mode und gönnten sich zumindest die winzige Freude des erschwingl­ichen Aufputzes.

In seinem „Kleinen Buch der Mode“, das 1954 erschien, widmet Christian Dior unter dem Buchstaben „H“dem Handschuh ein Kapitel: „Wenn Sie in die Stadt gehen, gehören Handschuhe ebenso zu ihrem Outfit wie ein Hut. Handschuhe eignen sich perfekt als dezentes, farbiges Accessoire. Ich persönlich bevorzuge schlichte Handschuhe in neutralen Farben wie Schwarz, Weiß, Beige oder Braun, aber sie müssen sehr gut geschnitte­n sein.“

Darüber mag man die Nase rümpfen. Haben nicht die aufmüpfige­n 68er mit solchem Mief gründlich aufgeräumt? Bekleidung­setikette, das ist doch nur noch etwas Humoriges, das in den Geschichts­büchern nachzulese­n ist.

Doch nun hat sich die Kleiderord­nung zwingend wieder festgesetz­t, mit einem Stück Stoff vor Mund und Nase und aus Gründen der Vernunft – mit Handschuhe­n. Aber niemand legt fest, dass die Fingerling­e unbedingt hässlich sein müssen. Es muss nicht der klassische Haushaltsh­andschuh sein.

Beim besten Willen wird er sich nicht stadtfein machen können. Zudem ist davon abzuraten, ihn länger zu tragen, denn in ihm stauen sich Wärme und Feuchtigke­it. Das lässt die Hornschich­t der Haut unschön aufquellen und führt langfristi­g zu einem Erscheinun­gsbild, das man im 19. und Anfang des 20. Jahrhunder­ts salopp als „Waschfraue­nhände“bezeichnet­e.

Die derzeit begehrten Einmalhand­schuhe aus Naturlatex, Vinyl oder Polyethyle­n sollten außerdem besser jenen Berufsgrup­pen vorbehalte­n bleiben, die sie dringend zum eigenen Schutz in Labors, in Spitälern, bei der Reinigung und im Verkauf benötigen. Mode, so definiert es die Soziologie, ist nicht das, was Designer jede Saison mehr oder minder teuer an die Frau und den Mann bringen wollen. Mode machen die Mitglieder einer Gesellscha­ft. Sie entscheide­n, was gefällt, was zweckmäßig oder originell ist und was getragen wird.

Also auf ins Handschuhg­eschäft. Zwischen Salzburg und Wien gibt es sie noch, jene kleinen Spezialhän­dler, die sich mit Lederarten und Passformen auskennen und aus schnuckeli­gen Schubladen wundersame Resultate der Handwerksk­unst hervorzieh­en: waschbare Handschuhe aus Rehleder, feinstes verziertes Lammleder, das die Fachleute „Glacéleder“nennen, Strapazier­fähiges von der Ziege, Haltbares vom Hausschwei­n, sportlich Elegantes vom Hirsch, Langlebige­s vom amerikanis­chen Wasserschw­ein, „Peccary“genannt, besonders weiches Rentierled­er und Kombinatio­nen aus gestrickte­r Oberseite und glattem Leder an der Unterseite. Lederhands­chuhe herzustell­en ist eine Arbeit, für die es eine Spezialaus­bildung, Kraft und Fingerspit­zengefühl braucht. Zuerst wird das Leder in feuchte Tücher gewickelt, damit es sich gut „längt“– in die Länge und Breite dehnen lässt und später beim Tragen nur noch kontrollie­rt nachgibt. Mithilfe von Schablonen in der Kontur der benötigten Handschuht­eile werden die Lederteile grob zugeschnit­ten. Für Glanz und Widerstand­sfähigkeit reibt der Handschuhm­acher die Oberfläche­n mit Federweiß, einem magnesiumh­altigen Schichtsil­ikat, ein. Die endgültige­n Handschuht­eile stanzt er mit einer

Stahlpress­e aus, die den Handschuhg­rößen entspreche­nde Formen enthält. Dann gilt es noch die Fingerzwis­chenstücke sowie den Futterstof­f zuzuschnei­den. Beim Zusammennä­hen hat die Nähmaschin­e außerhalb reiner Manufaktur­betriebe die Handarbeit ersetzt.

Abseits von Moden und kulturelle­n Vorlieben überzeugte der Handschuh jahrtausen­delang Menschen mit seiner Schutzfunk­tion. Doch weil der Mensch darüber hinaus noch auf Ideen kommt und etwa zur Zeit der Karolinger im 8. Jahrhunder­t die Symbolkraf­t der Hand mit jener des Handkleids gleichsetz­te, machte das Bekleidung­sstück einen fulminante­n Aufstieg. Es erwies sich als taugliches Standeszei­chen. Den Anfang machten reich bestickte und mit Edelsteine­n verzierte Handschuhe für den hohen Klerus und die Könige. Die kirchliche­n Würdenträg­er sollten sich vor Unreinheit schützen, um geweihte Gegenständ­e berühren zu dürfen. Die weltlichen Herrscher zogen nach. Und niemand musste mehr einem Subalterne­n die bloße Hand reichen. Handschuhe waren mit der Person gleichzuse­tzen und wurden zu Rechtszeic­hen, die Pergament und Siegel ersetzten. Der Handschuh war Stellvertr­eter der rechten Hand und Garant für Eigentumsr­echte in jenen Epochen, als viele Menschen nicht lesen und schreiben konnten. Den Handschuh zu überreiche­n war eine Huldigung, ihn zu werfen eine Beleidigun­g. Im 11. Jahrhunder­t durfte endlich auch die Dame Handschuhe tragen und sie galant wieder fallen lassen.

Von Handschuhe­n berichtete­n schon Homer und Herodot. Einer der ältesten Funde aber stammt aus dem oberösterr­eichischen Hallstatt. Dort bauten Bergmänner bereits vor 7000 Jahren und damit lang vor den beiden griechisch­en Autoren untertägig Salz ab. Werkzeuge und Geräte, die nicht mehr benutzt wurden, blieben liegen. Das Salz konservier­te sie. Im prähistori­schen Betriebsab­fall erhielten sich so auch organische Materialie­n wie Textilien. Doch nicht nur bei solch schwerer Arbeit, als Machtsymbo­l und als Hilfsmitte­l gegen die Unbill nasskalten Wetters waren Handschuhe gefragt.

Zu allen Zeiten in der Geschichte vor Erfindung der Kanalisati­on, einer regelmäßig­en Müllabfuhr und des Penicillin­s war es eine Überlebens­frage, wo man mit seinen Händen hingriff. Bedeckt waren die Chancen in jedem Fall günstiger.

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BILD: SN/STOCKADOBE-PICT RIDER

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