Autohandel im digitalen Wandel
Trotz des Neustarts steckt die heimische Automobilwirtschaft weiter im Krisenmodus. Während die wieder geöffneten Schauräume meist noch leer bleiben, setzen die Hersteller massiv auf Online.
Der Kauf eines Neuwagens ist für den durchschnittlichen Österreicher der größte finanzielle Kraftakt nach der Anschaffung einer Immobilie. Kein Wunder also, dass selbst die Generation der Digital Natives – also jene, die den täglichen Umgang mit Smartphone, Laptop & Co. von der Wiege auf gewohnt sind – beim Autokauf verhältnismäßig konservativ handeln. Mit Ausnahme von Tesla, wo man von Anfang an massiv auf den Onlineverkauf setzte, verläuft der Vertragsabschluss im Autohandel hierzulande noch immer über den persönlichen Kontakt mit dem Verkäufer im Autohaus.
Zumindest war das bis zum Ausbruch der Coronakrise so. Denn in Zeiten von Maskenpflicht und Abstandhalten verlieren die bisherigen Stärken des Autohandels an Wirkung: der persönliche Kontakt, die kompetente Beratung vor Ort sowie vor allem das emotionale Erlebnis, ein neues Fahrzeug mit allen Sinnen erleben und testen zu können.
In Zahlen ausgedrückt entfaltet die aktuelle Situation ihren ganzen Schrecken: Laut Statistik Austria wurden im März um zwei Drittel weniger Pkw verkauft als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Im ersten Quartal beträgt das Minus knapp ein Drittel. Wenngleich die Zulassungsstellen mittlerweile wieder geöffnet sind und zumindest bereits bestellte Fahrzeuge angemeldet und damit auch an die Kunden ausgeliefert werden können, trifft die aktuelle Situation die ohnehin krisengeschüttelte Autobranche ins Mark: Denn obwohl Autos keine verderbliche Ware im klassischen Sinne sind, so haben diese doch ein eingebautes „Ablaufdatum“. Gerade Jung- und Gebrauchtwagen verlieren praktisch täglich an Wert und auch die momentan Stoßstange an Stoßstange geparkten Neuwagen binden enormes Kapital, das täglich finanziert werden muss. Laut Günther Kerle, Sprecher der Autoimporteure in Österreich, ist die Liquidität vieler Fahrzeughändler mittlerweile besorgniserregend, zumal die Autobranche jene mit dem größten Kapitaleinsatz im Handel sei. „Trotz Hilfen der Importeure ist die Vorfinanzierung
der Fahrzeuge extrem herausfordernd“, so Kerle. „Für viele Händler wird das ein Kampf ums Überleben.“Selbst wenn sich die Situation in den kommenden Monaten normalisiert, wird für das Gesamtjahr 2020 ein Minus von 30 Prozent bei den Zulassungen befürchtet.
Doch als eine der Leitbranchen der heimischen Wirtschaft mit 315.000 Arbeitsplätzen, davon allein 48.000 im Handel, ist die Automobilwirtschaft den Umgang mit Krisen gewohnt: Bereits wenige Tage nach Start der Ausgangsbeschränkungen startete die Porsche Holding eine beispiellose Onlinekampagne. Bei Reservierung eines Fahrzeugs über die Händler-Webseite samt Anzahlung von 100 Euro kommt der Kunde in den Genuss einer Onlineprämie von 1000 Euro.
Die Auslieferung der speziellen „Online Editions“wird derweil für Juni garantiert. Laut Richard Mieling, Leiter der Markenund Unternehmenskommunikation bei Porsche Austria, werden die Angebote auch dankbar angenommen. „Die Onlinedeals laufen gut. Wir merken, dass Kunden diesen Kanal auch wirklich annehmen. Seit Kurzem ist mit der Implementierung der Handysignatur auch ein weiteres wichtiges Element eines Onlinekaufprozesses umgesetzt worden. Damit ist erstmals eine durchgehende digitale Vollabwicklung mit eingebundener Händlerorganisation möglich.“
Für konkrete Verkaufszahlen, die den neuen digitalen Angeboten zurechenbar sind, sei es derweil noch zu früh. „Doch das Onlineangebot wird langfristig ein zusätzlicher Vertriebskanal bleiben, der bestehende Geschäftsmodelle noch besser ergänzen und es dem Kunden noch einfacher machen wird, sein Wunschfahrzeug zu finden“, so Mieling.
Auch bei BMW Austria bietet man seit Kurzem die Möglichkeit, Gebrauchtfahrzeuge direkt online und verbindlich zu reservieren. Neufahrzeuge können über die digitalen Portale der Händler konfiguriert, die Wunschfinanzierung berechnet und die Autos zum Teil auch verbindlich reserviert werden. „Digitale Kanäle sind für die BMW Group seit Langem eine fixe Größe, doch in den letzten Wochen haben wir einen besonders starken Anstieg der Zugriffe registriert“, so Markensprecher Michael Ebner. „Um in Zeiten wie diesen den direkten Kontakt mit anderen Personen so gering wie möglich zu halten, hat die BMW Group in Österreich digitale Angebote für Reparaturund Servicemaßnahmen eingerichtet – etwa Onlineterminvereinbarung oder die Auftragsbestätigung via Videobotschaft. Zudem bauen wir im Schulterschluss mit den Händlern unseren Online-Sales-Bereich ständig weiter aus.“
Christoph Stummvoll, als Sprecher des PSA-Konzerns für die Marken Peugeot, Citroën, DS und Opel verantwortlich, rechnet ob der aktuellen Ausnahmesituation auf jeden Fall mit einem massiven Modernisierungsschub im Fahrzeughandel. „OnlineWebshops waren bei uns schon sehr lang ein wichtiges Thema, aber auch wir haben bei den verschiedenen Marken zuletzt noch einmal kräftig investiert.“Doch trotz detaillierter Beschreibungen, Multimedia-Angebote und Feedback-Möglichkeiten in Echtzeit wird der Autokauf laut Stummvoll auf absehbare Zeit vom direkten Kontakt mit dem Fachhändler abhängig bleiben. „Bei Tesla, wo man in Sachen Onlineverkauf zweifellos Vorreiter ist, hat man den Vorteil, dass die vorhandenen Fahrzeuge extrem wenig Auswahlmöglichkeiten bieten. Unsere Modelle bieten im Vergleich dazu enorme Möglichkeiten zur Individualisierung. Dadurch erhöht sich natürlich auch der Beratungsbedarf.“Großes Potenzial sieht der PSA-Sprecher jedoch im Segment der Firmen- und Flottenkunden: Hier sei der Zugang pragmatischer, die Kunden ausstattungsaffiner. „Einen Firmenwagen kauft man in der Regel schneller online als ein Privatauto.“
Licht am Ende des Tunnels sieht auch Kia-Austria-Sprecher Gilbert Haake: „Allein in den ersten drei Tagen haben unsere neuen Onlineangebote rund 30 Leads generiert. Wie viele konkrete Kaufabschlüsse unterm Strich daraus tatsächlich entstehen, werden wir sehen. Fakt ist: Es wird auch nach der Krise noch ausreichend Kunden geben, die ein Auto brauchen. Ein Großteil der Kaufentscheidungen ist ja nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Diesbezüglich sind wir im Fahrzeughandel potenziell besser dran als im Tourismus oder in der Gastronomie.“Entscheidend werde dann neben den bisherigen Kriterien vor allem sein, dass man genügend Fahrzeuge in der Pipeline hat, um die individuellen Wünsche der Kundschaft auch erfüllen zu können.