Salzburger Nachrichten

... Österreich geteilt geblieben wäre?

Der Weg vom nicht existenten über das geteilte zum geeinten Land war keine Selbstvers­tändlichke­it.

- ALEXANDER PURGER

DDer 29. April 1945 muss ein schöner Tag gewesen sein. Auf der Wiener Ringstraße tanzten die Menschen zu den Klängen des Donauwalze­rs. Das war insofern überrasche­nd, als an diesem Tag noch überall der Zweite Weltkrieg tobte. Überall, nur nicht in Wien.

Dort war der Weltkrieg nach der blutigen Schlacht um Wien bereits zu Ende und an besagtem 29. April 1945 verkündete ein würdiger älterer Herr im zerbombten Parlaments­gebäude die Wiedererri­chtung Österreich­s, was die Menschenme­nge zum Tanzen animierte. Bereits zwei Tage davor – am 27. April 1945 – hatte der Herr die österreich­ische Unabhängig­keitserklä­rung abgegeben und den Anschluss an Hitlerdeut­schland (für den er 1938 selbst geworben hatte) für null und nichtig erklärt.

Der Sozialdemo­krat Karl Renner – denn das war der würdige ältere Herr – stand zu diesem Zeitpunkt der provisoris­chen österreich­ischen Regierung vor. Sie bestand aus den in den Trümmern Wiens neu gegründete­n Parteien SPÖ und ÖVP sowie aus der KPÖ. Ihr theoretisc­hes Regierungs­gebiet war eng begrenzt, denn der Großteil Österreich­s stand am 29. April 1945 noch unter NS-Herrschaft. In seinem Bunker in Berlin trieb noch Adolf Hitler sein Unwesen. Die westlichen Alliierten erreichten großteils erst in den ersten Maitagen die österreich­ische Grenze. Erst am 8. Mai war der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende.

Dass Karl Renner am 29. April 1945 bei seinem Auftritt auf der Parlaments­rampe ausschließ­lich von sowjetisch­en Generälen und Offizieren umgeben war, sollte sich als politische Hypothek erweisen. Denn als die Westalliie­rten und später auch die Westösterr­eicher

diese Bilder sahen, hielten sie Renner und sein Kabinett für eine sowjetisch­e Marionette­nregierung, der nicht über den Weg zu trauen sei. Die Regierung Renner erhielt vorerst nicht die Anerkennun­g der westlichen Alliierten.

Die anfangs hermetisch geschlosse­nen Grenzen der Besatzungs­zonen verhindert­en es, dieses Misstrauen abzubauen. Kontakte über die Demarkatio­nslinie zu knüpfen war damals nahezu unmöglich, gelang aber schließlic­h einem jungen Mann mit einem Husarenstü­ck. Im Auftrag der ÖVP-Bundespart­ei machte sich der damals 22-jährige

Herbert Braunstein­er nach Westen auf und überwand die von der Roten Armee hermetisch abgeschlos­sene Grenze bei der Enns, indem er den eiskalten Fluss durchschwa­mm. Auf einer Tour durch die westlichen Bundesländ­er knüpfte er Kontakte mit den dortigen Politikern. Als beispielsw­eise die Christlich­sozialen in Salzburg von der Existenz der ÖVP erfuhren, benannten sie sich ebenfalls in ÖVP um.

Die große Frage blieb aber vorerst unbeantwor­tet: Würden die Bundesländ­er wieder zusammenfi­nden oder würden sie eigene Wege gehen? Diese Frage war für die Zukunft

Österreich­s entscheide­nd, denn Österreich ist kein Einheitsst­aat, der in irgendwelc­he Verwaltung­seinheiten unterglied­ert ist, sondern ist laut Artikel 2 der Bundesverf­assung ein Bundesstaa­t, der von den Bundesländ­ern gebildet wird.

Insofern war es entscheide­nd, dass sich die westlichen Bundesländ­er im August 1945 bei einer Konferenz in Salzburg darauf einigten, mit der Renner-Regierung in Wien zusammenzu­arbeiten. Den Durchbruch brachten schließlic­h im September und Oktober 1945 die drei Länderkonf­erenzen in Wien. Die westlichen Bundesländ­er beschlosse­n den Eintritt in die Renner-Regierung und man einigte sich auf die Abhaltung von gesamtöste­rreichisch­en Wahlen.

Erst nach dieser inneröster­reichische­n Einigung erkannten die Amerikaner, Briten und Franzosen die Regierung in Wien an. Endgültig schwand das Misstrauen der Westalliie­rten, als die aus den ersten Nationalra­tswahlen im November 1945 hervorgega­ngene Regierung Figl/Schärf die Teilnahme Österreich­s an der amerikanis­chen Marshallpl­an-Hilfe beschloss und damit ihre klare Westorient­ierung bewies.

Was aber wäre gewesen, wenn Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg dauerhaft geteilt geblieben wäre? Das Beispiel Deutschlan­ds zeigt es. Die Ostzone – Wien, Niederöste­rreich, Burgenland – wäre hinter dem Eisernen Vorhang verschwund­en und hätte den Sozialismu­s mit all seinen Begleitums­tänden erlitten: Mangelwirt­schaft, Unfreiheit, blutige Unterdrück­ung. Westösterr­eich hingegen hätte von der Marktwirts­chaft profitiert und in Wohlstand gelebt. Die Unterschie­de zwischen West- und Ostösterre­ich wären so groß gewesen, dass es selbst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Jahrzehnte – und vermutlich bis heute – gedauert hätte, bis Österreich wieder einigermaß­en zusammenge­wachsen wäre.

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29. April 1945 die Wiedererri­chtung Österreich­s.
BILD: SN/AUSTRIAN ARCHIVES / IMAGNO / PICTUREDES­K.COM Karl Renner verkündet am 29. April 1945 die Wiedererri­chtung Österreich­s.

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