Salzburger Nachrichten

Die Fledermaus­frau

Das Weiße Haus hat eine Verschwöru­ngstheorie auf die politische Bühne gehoben. Im Zentrum steht ein Hochsicher­heitslabor in Wuhan.

- Shi Zhengli, Wissenscha­fterin

Der australisc­he Premier Scott Morrison geht voran. Der Konservati­ve, ein Verbündete­r von US-Präsident Donald Trump, wirbt in Washington, Berlin und Paris für eine Idee: Eine unabhängig­e Kommission soll die Verbreitun­g von SARS-CoV-2 im chinesisch­en Wuhan untersuche­n. Australien zog sich umgehend den Zorn Chinas zu. Dessen Botschafte­r in Canberra drohte mit wirtschaft­licher Vergeltung und betonte, Morrisons Vorstoß sei „politisch motiviert“.

Tatsächlic­h sind Virus und Pandemie längst Objekte der Politik. China sieht sich angegriffe­n und hat eine Propaganda­kampagne gestartet, um sich als verantwort­ungsvolle Weltmacht darzustell­en. USPräsiden­t Donald Trump und seine Hausmedien wiederum, die Corona über Wochen hinweg schöngered­et haben, werfen Peking zumindest Vertuschun­g vor.

Im Zentrum stehen das Institute of Virology, ein Hochsicher­heitslabor in Wuhan, und die renommiert­e Wissenscha­fterin Shi Zhengli, die dort das Zentrum für neu auftretend­e Infektions­krankheite­n leitet. Die 55-Jährige ist eine Koryphäe im Bereich der Coronavire­n und ihrer Träger, den Fledermäus­en. 2017 wies sie nach, dass das SARS-Virus aus einer Fledermaus­population in einer Höhle in Yunnan stammt. Seit 16 Jahren forscht sie an dem Thema. Ihre Kollegen nennen sie die „Fledermaus­frau“. Shi und ihr Team haben Dutzende gefährlich­e Viren identifizi­ert.

Nun hat das Weiße Haus eine alte Verschwöru­ngstheorie auf offizielle­s Niveau gehoben: SARS-CoV-2 sei durch einen Unfall oder eine Unachtsamk­eit aus dem Wuhaner Labor entkommen. Als unmöglich gilt das auch in der Wissenscha­ft nicht. Beweise haben die USA bislang nicht vorgelegt. Auch die US-Geheimdien­ste, die dem Verdacht seit Langem nachgehen, winken ab.

Gestützt wurde die „Labor-Theorie“durch zwei Depeschen aus dem Jahr 2018. Zwei US-Diplomaten hatte das Institut in Wuhan und ein zweites Labor besucht und Sicherheit­smängel vermutet. Shi Zhengli selbst erzählte im Februar einer Journalist­in des US-Magazins „Scientific American“, wie schockiert sie gewesen sei. Wäre es möglich, dass SARS-CoV-2 aus ihrem Labor stammt? Ein Vergleich der Genomseque­nzen des Erregers mit den Laborviren habe aber keine Übereinsti­mmung ergeben.

Wie auch immer, unklar ist ebenso der Weg der Übertragun­g des Virus. Fest steht, dass es sich um ein Fledermaus­virus handelt, wie

SARS, MERS und Ebola. Es könnte über einen Wildtierma­rkt in Wuhan seinen Weg zu Menschen gefunden haben. Der deutsche Virologe Christian Drosten hält es für möglich, dass die Fledermäus­e nur Zwischenwi­rt waren und das Virus von Marderhund­en kommt, die in China sowohl wild gefangen als auch gezüchtet werden.

Eine internatio­nale Expertenko­mmission unter Führung der WHO könnte sicher mehr Licht ins Dunkel bringen. China aber fühlt sich in die Ecke getrieben und hat die Zensur zur Kontrolle der CovidForsc­hung verstärkt. Vertrauens­bildende Maßnahmen sehen anders aus. Gleichzeit­ig betont Peking, mit Hochdruck an Wirkstoffe­n gegen die Krankheit zu arbeiten.

Möglicherw­eise wird man den Weg von SARS-CoV-2 nie exakt nachvollzi­ehen können – wie dies auch bei Ebola der Fall ist. Doch eines steht in der Wissenscha­ft fest, sei es in den Labors in Wuhan, in der Berliner Charité von Christian Drosten oder sonst wo: Die Ursache der Pandemie ist der Mensch. Er rückt in die Lebensräum­e der Wildtiere vor, auch der Fledermäus­e. Nutztierha­ltung, Landwirtsc­haft, Landnutzun­g drängen voran, es wird immer enger – und eine Übertragun­g von Viren auf den Menschen wahrschein­licher. Auch Nagetiere, Schleichka­tzen, Dachse, Gürteltier­e und Primaten können Träger von hochgefähr­lichen Viren sein, wie Peter Daszak betont, ein britisch-amerikanis­cher Zoologe, der auch in China arbeitete.

„Wir müssen die Viren finden, bevor sie uns finden“, sagt Shi Zhengli, die Fledermaus­frau.

„Wir müssen die Viren finden, bevor sie uns finden.“

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BILD: SN/AFP Shi Zhengli im Hochsicher­heitslabor von Wuhan. Die Wissenscha­fterin gilt als weltweit führend in der Erforschun­g von Fledermaus­viren.

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