Viennale-Chefin: „Wir versuchen eine flexible Architektur“
Große Filmfestivals verfolgen verschiedene Wege, um mit der Ungewissheit umzugehen. Wie plant Eva Sangiorgi für Wien?
WIEN. Während die Ausgangsbeschränkungen in den meisten Ländern Europas gelockert werden, rumpelt es weiter in der Filmfestivallandschaft. Aktuellstes Opfer der Coronakrise ist das Karlovy Vary Film Festival, das seine für Juli geplante Ausgabe 2020 am Dienstag abgesagt hat: „Wir glauben daran, dass es eine intensive und unersetzliche Erfahrung ist, einen Film mit anderen Menschen in einem Kino zu sehen“, so Festivalpräsident Jiří Bartoška. „Eine alternative Version abzuhalten liefe unserer grundsätzlichen Mission zuwider: Publikum und Filmschaffende zueinander zu bringen, um gemeinsam Kino zu genießen.“
Bartoška findet damit klarere
Worte als sein Kollege Thierry
Frémaux aus Cannes, der die endgültige Absage seines Festivals, das Mitte Mai stattfinden hätte sollen, in der Hoffnung auf einen Alternativtermin immer noch hinausschiebt. „Seit Beginn der Krise haben wir nachgedacht, etwas gemeinsam mit Venedig zu machen, wenn Cannes abgesagt wird. Wir reden weiter darüber“, sagte Frémaux in einem Interview mit dem Branchenblatt „Variety“, worauf der Biennale-Präsident Roberto Cicutto ihm über Medien ausrichten ließ, es liege momentan „keine Hypothese“auf dem Tisch für eine gemeinsame Initiative, Venedig plane das Festival zum üblichen Termin Anfang September, wenn auch angepasst an die veränderten Bedingungen. Einen Tag später allerdings sagte Alberto Barbera, Direktor des Filmfestivals in Venedig, er sei offen für die Idee einer Zusammenarbeit mit Cannes, als Zeichen der Solidarität während der Krise.
Viennale-Chefin Eva Sangiorgi, die bis zu ihrem Festival noch ein halbes Jahr Zeit hat, sagt den SN: „Ich hab diese ganze Telenovela nicht im Detail verfolgt, aber ich fände eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Festivals eine schöne Idee, das wäre eine Revolution.“
Für Sangiorgi sind die Herausforderungen unterdessen andere: Bei der Viennale laufen üblicherweise kaum Weltpremieren, sondern meist Filme, die bereits auf großen internationalen Festivals zu sehen waren. Doch viele dieser anderen Aufführungsmöglichkeiten fallen heuer aus oder sind teils online verlegt. Eine solche Onlineversion komme für die Viennale nicht infrage, sagt Sangiorgi: „Dafür brauchen die Filmschaffenden uns nicht, da gibt es Streamingplattformen. Ein Festival ist aber doch eine kuratierte Auswahl. Ich will nicht, dass das verloren geht. Was wir uns aber auch für die Viennale ansehen, ist die Option von Videoeinführungen durch Filmschaffende mit anschließendem ,Publikumsgespräch‘“, sagt Sangiorgi: „So können wir die Interaktion zwischen Filmschaffenden und Publikum ermöglichen, auch wenn etwa eine Regisseurin nicht persönlich anreisen kann.“
Die Viennale hat mit ihrem späten Oktobertermin gegenüber den Frühlingsfestivals einen entscheidenden Vorteil in der Planung: „Klar ist, dass auch die Viennale 2020 anders aussehen wird. Ich bin schon glücklich, wenn wir die Kinosäle auch nur zur Hälfte besetzen dürfen, aber ich bezweifle, dass das erlaubt sein wird“, so Sangiorgi. „Wir versuchen jetzt eine flexible Architektur des Festivals. Wir haben genug Vorlaufzeit, und die Gelegenheit, ein Festival umzusetzen, das der Situation wirklich angemessen ist.“