„Geisterspiele im TV sind die Beatmungsgeräte für Fußball“
Der Weltmeister von 1990, Lothar Matthäus, verrät im Interview mit den „Salzburger Nachrichten“, wie er sich Fußball in der Coronakrise vorstellt, und würde auch mit Mundschutz kommentieren.
Er war mit Deutschland Weltmeister 1990 und 1991 Weltfußballer des Jahres. Aktuell arbeitet der ehemalige Topstar von Bayern München als Experte beim TV-Sender Sky, der die Übertragungsrechte für die deutsche und österreichische Bundesliga hat. Die Kommentare und Analysen von Matthäus finden weltweit Beachtung. Im SN-Interview erklärt der 58-Jährige, der in Budapest lebt, was er sich jetzt von seinem Arbeitgeber erhofft. Und er sieht in Geisterspielen die einzige Möglichkeit, Clubs zu retten.
SN: Wie erleben Sie diese absurden Zeiten aufgrund der Coronapandemie?
Lothar Matthäus: Es geht mir ganz gut, auch wenn ich den Fußball vermisse. Ich nehme alle Probleme, die sich ergeben, an. Die psychische Belastung ist schon zur Normalität geworden. Aber ich genieße es auch, zu Hause bei meiner Familie zu sein. Mein fünfjähriger Sohn Milan freut sich sehr, dass sich der Papa oft mit ihm beschäftigen kann.
SN: Wie läuft so ein Tag im Hause Matthäus ab?
Ganz wichtig ist, sich diszipliniert zu verhalten. Das machen aber auch alle Ungarn. Ich halte mich mit regelmäßigen Läufen fit, das ist wichtig für den Körper und den Geist. Dazu hält mich Milan auf Trab. Ich spiele mit ihm Fußball im Park, da kommt man auf andere Gedanken. Und ich informiere mich täglich über alles, was im Fußball passiert. Ich sehe viele Fußballklassiker im Fernsehen. Bei vielen war ich ja ohnehin live am Platz dabei.
SN: Wie sehr fehlt Ihnen der Fußball und Ihre Arbeit als Sky-Experte?
Ich vermisse die Arbeit im Stadion, die Spieler, die Trainer und die Kollegen
rund um ein Spiel. Aber ich drehe nicht durch und hoffe, dass es bald etwas zu kommentieren gibt. Wenn es sein muss, werde ich mir beim Kommentieren aus dem Stadion eine Maske aufsetzen. Aber ich glaube, wir werden die Spiele nur im Studio verfolgen. Ich hätte aber keine Bedenken, bei Geisterspielen ins Stadion zu gehen.
SN: Sind Geisterspiele die einzige Möglichkeit, den Fußball zu retten?
Nicht den Fußball, den wird es nach jeder Krise geben. Geisterspiele retten die Clubs. Es geht um die Existenz vieler Vereine in ganz Europa. Die Clubs leben von TV-Geldern und daher sollte gespielt werden. Ich verstehe auch die Bedenken von vielen Fans, aber ohne Spiele wird es einige Clubs ganz hart treffen. Im Fußball heißt das Beatmungsgerät Geisterspiele im TV. Sie sind die einzige Möglichkeit, um die Ligen in dieser Form weiter zu erhalten. Daher plädiere ich dafür: Lasst sie uns durchführen. Sie wären für viele Menschen in Österreich und
Deutschland ein Schritt in eine positive Zukunft.
SN: Und was sagen Sie den Kritikern unter den Fans?
Die sogenannten Plastik-Clubs, die von Red Bull oder Bayer unterstützt werden, würden die Krise schon überleben. Aber was passiert mit vielen Traditionsclubs? Viele würden bei Abbruch der Saison kaputtgehen. Dann geht noch mehr Tradition im Fußball verloren. Wir müssen die Geisterspiele annehmen.
SN: Die kann man live im TV nur mit einem Sky-Abo sehen.
Aus meiner Sicht hat auch Sky jetzt eine Verantwortung. Zum Wohl der Gesellschaft sollte die Bundesliga, wenn das rechtlich und technisch möglich ist, auf Sky für alle frei empfangbar sein. Das wäre auch für den Sender eine große Chance, um an Image zu gewinnen. Und vielleicht holt sich nach der Krise dann so mancher Fußballfan ein Abo.
SN: Noch könnte es aber auch zu einem Abbruch der
Ligen kommen. Wer soll dann zum Meister gekürt werden?
Ganz einfach: jene Clubs, die aktuell an der Spitze stehen. In Deutschland eben Bayern und in Österreich der LASK. Sie haben es sich verdient, weil sie die Tabellen anführen. Die Abstiegsfrage wird schon heikler. Denn da geht es um viele Millionen Euro. Ein Aufstocken der höchsten Ligen wäre schon eine Lösung. Zwanzig Teams in der deutschen Bundesliga sind schon denkbar und in Österreich mit Sicherheit auch 14 Mannschaften. Können die Ligen fortgesetzt werden, dann tippe ich auf Bayern und Red Bull Salzburg als Meister.
SN: Red Bull Salzburg bestimmt seit 15 Jahren den Fußball in Österreich.
Sie waren, als Sie 2006 als Trainer nach Salzburg kamen, ein Mann der ersten Stunde bei den Bullen. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?
Der erste Titelgewinn 2007 und die Begeisterung in Salzburg. Aber auch, dass ich als Cheftrainer verpflichtet worden bin und nicht einen Tag als Cheftrainer gearbeitet habe. Ich hatte den Vertrag unterschrieben und sollte von der Bundesligamannschaft bis zum Unter-15-Team verantwortlich sein. Ich konnte den Vertrag aber nie erfüllen, weil über Nacht Italiens Startrainer Giovanni Trapattoni mir vor die Nase gesetzt wurde. Der Dosenverkauf lief in Italien nicht richtig. Mit Trapattoni war Red Bull auch täglich in den Schlagzeilen. Aber ich war mit Sicherheit der teuerste Co-Trainer, der je in Österreich gearbeitet hat. Damals konnte ich es kaum fassen, von einem Tag auf den anderen degradiert worden zu sein. Aber heute kann ich darüber schmunzeln.