Salzburger Nachrichten

Ein denkwürdig­er 1. Mai 2020

- Richard Wiens

Mehr als eine halbe Million Menschen ohne Arbeit, mehr als eine Million Beschäftig­te in Kurzarbeit – schon Ende März war die Lage auf Österreich­s Arbeitsmar­kt so düster wie zuletzt im Jahr 1946. Da stand die Wirtschaft allerdings erst zwei Wochen still, der fortgesetz­te Shutdown im April wird die Arbeitslos­enzahlen weiter in die Höhe treiben. Das verleiht dem Tag der Arbeitslos­en am 30. April besonderes Gewicht. Und der diesjährig­e Tag der Arbeit am 1. Mai stellt eine Zäsur in der Zweiten Republik dar, deren 75-Jahr-Jubiläum wir dieser

Tage feiern. Die Geschichte des 1. Mai – anfangs als Tag des Kampfes für die Rechte der Arbeitnehm­er, später als Tag des Feierns des Errungenen – geht bis ins 19. Jahrhunder­t zurück.

Am 1. Mai 1890 gingen europaweit Millionen Menschen auf die Straßen, um für die Anliegen der Arbeitersc­haft zu demonstrie­ren, allen voran den Acht-Stunden-Tag. 1919 wurde der 1. Mai in Österreich zum Staatsfeie­rtag erklärt. Ein Jahrhunder­t später gibt es, so könnte man mit Blick auf die Arbeitslos­enstatisti­k sagen, nichts zu feiern. Aber dem ist nicht so.

Auch wenn sich die Lage für die Menschen, die in den vergangene­n Wochen mit einem Schlag ihre Arbeit verloren haben, derzeit düster darstellt, gibt es für sie Hoffnung. Das ist Sozialrefo­rmen zu verdanken, deren Ursprung ein Jahrhunder­t zurücklieg­t. Eine davon war das Gesetz zur Einrichtun­g einer Arbeitslos­enversiche­rung, das am 9. Mai 1920 in Kraft trat. Die hat im Lauf der Geschichte viele Änderungen erfahren – und es wird weitere geben, aktuell wird über die „richtige“Höhe des Arbeitslos­engeldes diskutiert –, aber das Prinzip der Solidaritä­t der Beschäftig­ten mit den Arbeitslos­en ist geblieben.

Der Sozialstaa­t kann Wirtschaft­skrisen nicht verhindern. Aber er kann, wie auch die Coronapand­emie eindrückli­ch zeigt, die Folgen für Arbeitnehm­er lindern und erweist sich damit als stabilisie­render Faktor für die Gesamtwirt­schaft. Diese Botschaft wird auch den 1. Mai 2020 überdauern.

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