Folgen“ Zur Person Roman Sandgruber
Große Wirtschaftskrisen der Vergangenheit zogen fast immer diktatorische Perioden nach sich, sagt der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber. Er sieht derzeit aber keine Anzeichen dafür, dass das wieder passiert.
Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise erinnern den Historiker an die Weltwirtschaftskrise 1929. Sie mündete in Diktaturen und in den Zweiten Weltkrieg.
SN: Wovor muss man sich mehr fürchten – vor dem Coronavirus oder vor der Wirtschaftskrise, die es nach sich zieht?
Roman Sandgruber: Die Coronakrise und die Opferzahlen sind das eine, das andere sind die ungeheuren Kosten, die so eine Krise verursacht. Beides sind große Gefahrenmomente. Da abzuwägen ist sehr, sehr schwierig. Noch dazu in dieser Krise, die sozusagen schicksalhaft kommt und bei der man keine direkten Schuldigen benennen kann.
SN: Haben solche Krisen in der Geschichte immer enorme Folgekosten nach sich gezogen? Seuchen haben immer Krisen ausgelöst, die sich sehr lange hingezogen haben. Auch die Coronakrise wird, wie die historische Erfahrung zeigt, sehr lange dauern. Das wird Jahre, wenn nicht gar ein Jahrzehnt brauchen. Denken Sie an die Wirtschaftskrise 1929, die zwar nicht durch ein Virus ausgelöst wurde,
Sandgruber ist emeritierter
Professor für
Wirtschaftsund Sozialgeschichte. Der
Oberösterreicher ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“sowie „Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910“. aber ähnliche Dimensionen hatte wie die heutige Krise. Die momentane Zahl der Arbeitslosen in Österreich entspricht jener von 1933. Diese Krise, die 1929 begann, zog sich hin bis 1938 und mündete dann in den Zweiten Weltkrieg. Und dabei muss man sagen, dass die Weltwirtschaftskrise 1929 selbst eine Langzeitfolge des Ersten Weltkriegs war.
SN: Gibt es auch Beispiele, dass eine Seuche eine solche Krise ausgelöst hat?
Ja, 1873. Die große Wirtschaftskrise in Österreich mit dem Schwarzen Freitag ging Hand in Hand mit der letzten großen Choleraepidemie in der Habsburger Monarchie mit mindestens 300.000 Toten. Immer wieder waren Choleraepidemien und Pestzüge Auslöser für langwierige und tiefgehende Krisen.
SN: Und wie kam man wieder heraus? Gibt es Rezepte für Wege aus der Krise?
Es gibt nicht wirklich ein Rezept. Es gab zwar immer die Ansicht, die Krise wäre ein reinigendes Gewitter, aus der man gestärkt hervorgehen werde. Aber das hat nie gestimmt. Geholfen hat nur, die Krise offensiv zu bekämpfen und ihre Symptome möglichst zu lindern. Denn man darf nicht vergessen: Krisen haben nicht nur wirtschaftliche, sondern historisch gesehen immer auch schwere politische Folgen.
SN: Nämlich welche?
Fast jede der großen Wirtschaftskrisen zog Phasen zunehmender diktatorischer Macht nach sich. Nach 1929 war das ganz eklatant. Die 30er-Jahre waren das Jahrzehnt der Diktaturen in Europa. Am Ende blieben fast keine demokratischen Staaten mehr übrig. Auch auf die Krise 1873 folgten diktatorische Tendenzen. Es verhärten sich in solchen Situationen jeweils die staatlichen Maßnahmen. Deswegen ist es wichtig, die Krisen rechtzeitig in den Griff zu bekommen.
SN: Aber woher nimmt man die Milliarden, die dafür notwendig sind?
Man hofft, dass sich ein Teil der für die Rettung aufgewendeten Summen dann, wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommt, selbst bezahlt. Aber im Prinzip kann das Geld nur durch Steuern aufgebracht werden. Die schlimmste aller Steuern ist die Hyperinflation. Für die Finanzminister ist das die einfachste Methode, denn sie entwertet die angehäuften Schulden. Aber sie ist die ungerechteste Steuer, denn sie trifft die Menschen sehr ungleich. Und am Schluss hat man ein noch viel schlimmeres Desaster. Da sollte die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg eine Lehre sein. Also muss man schauen, dass man die Schulden auf geordnetem Weg abbaut, und da bleiben nur Steuern – Vermögenssteuern, Einkommenssteuern. Da wird ein Mix nötig sein, um alle gerecht heranzuziehen.
SN: Nach 1945 wurde aber auch enteignet?
Ja, da hat man versucht, die Geldmenge zu beschneiden, indem man alle Spareinlagen über 150 Reichsmark zunächst auf ein Sperrkonto gelegt und dann 1947 gestrichen hat. Das war ein schmerzhafter Einschnitt, weil jedem augenscheinlich etwas weggenommen wurde, während man bei der Inflation ja erst nach einiger Zeit merkt, dass man nichts mehr hat. Aber immerhin ging man nach 1945 sozial gerecht vor. Jedem blieb ein bissel was. Und das Glück damals war, dass es Länder gab, die uns helfen konnten. Stichwort: Marshallplan-Hilfe.
SN: Ein Marshallplan wird ja jetzt auch verlangt …
Das ist historisch ein Unsinn, denn der Marshallplan war eine Hilfe von außen – nämlich von den USA für Europa – und darauf kann man jetzt nicht hoffen. Beim Coronavirus, das die ganze Welt betrifft, gibt es kein „außen“. Insofern werden sich alle
Staaten nur selbst helfen können. Außerdem muss man sagen, dass der Marshallplan zwar nach 1945 eine wichtige Hilfe, aber nicht der einzige Weg aus der Krise war.
SN: Was waren die anderen?
Es gab auch eine Hyperinflation, aber nicht so krass wie nach dem Ersten Weltkrieg. Und es ist durch die Sozialpartnerabkommen gelungen, sie schließlich in den Griff zu bekommen und zu stoppen.
SN: Solche Krisen gehen, wie
Sie schon angedeutet haben, oft mit totalitären Tendenzen und Diktaturen einher. Sehen
Sie dafür derzeit Anzeichen? Nein, überhaupt nicht. Keine europäische Regierung zeigt derzeit diktatorische Tendenzen – nicht einmal Orbán. Das Gerede von diktatorischen Maßnahmen ist Unsinn. Das sind Schritte zur Eindämmung des Virus. Diktatur würde bedeuten, dass die derzeitigen Regierungen untergehen und durch viel extremere Regime – ob von rechts oder links – ersetzt werden. Das ist die Gefahr. Genau deshalb braucht es ja jetzt gerechte und ausgewogene Maßnahmen, damit die Coronakrise nicht in eine politische Krise umschlägt und den extremen Kräften Auftrieb verleiht.
SN: Wie lange würde es dauern, bis solche Phasen der Diktatur überwunden sind?
Das lässt sich schwer sagen. Denken Sie daran, wie lange der totalitäre Kommunismus in der Sowjetunion gedauert hat. Und denken Sie daran, wie lange der Faschismus in Europa gewährt hätte, wenn er nicht von außen besiegt worden wäre.
SN: Eine letzte Frage: Was halten Sie von europäischen Coronabonds?
Ich sehe da Schwierigkeiten. Wir haben keine so weit entwickelte EU, dass sie im Gleichschritt gehen würde. Die Schuldentilgung gemeinsam zu machen, das Schuldenmachen aber nicht – das halte ich für nicht sehr sinnvoll. Solche Bonds hätten nur Sinn, wenn sich alle Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Politik verständigen. Und das sehe ich derzeit nicht.