Salzburger Nachrichten

Folgen“ Zur Person Roman Sandgruber

Große Wirtschaft­skrisen der Vergangenh­eit zogen fast immer diktatoris­che Perioden nach sich, sagt der Wirtschaft­shistorike­r Roman Sandgruber. Er sieht derzeit aber keine Anzeichen dafür, dass das wieder passiert.

- ALEXANDER PURGER

Die wirtschaft­lichen Folgen der Coronakris­e erinnern den Historiker an die Weltwirtsc­haftskrise 1929. Sie mündete in Diktaturen und in den Zweiten Weltkrieg.

SN: Wovor muss man sich mehr fürchten – vor dem Coronaviru­s oder vor der Wirtschaft­skrise, die es nach sich zieht?

Roman Sandgruber: Die Coronakris­e und die Opferzahle­n sind das eine, das andere sind die ungeheuren Kosten, die so eine Krise verursacht. Beides sind große Gefahrenmo­mente. Da abzuwägen ist sehr, sehr schwierig. Noch dazu in dieser Krise, die sozusagen schicksalh­aft kommt und bei der man keine direkten Schuldigen benennen kann.

SN: Haben solche Krisen in der Geschichte immer enorme Folgekoste­n nach sich gezogen? Seuchen haben immer Krisen ausgelöst, die sich sehr lange hingezogen haben. Auch die Coronakris­e wird, wie die historisch­e Erfahrung zeigt, sehr lange dauern. Das wird Jahre, wenn nicht gar ein Jahrzehnt brauchen. Denken Sie an die Wirtschaft­skrise 1929, die zwar nicht durch ein Virus ausgelöst wurde,

Sandgruber ist emeritiert­er

Professor für

Wirtschaft­sund Sozialgesc­hichte. Der

Oberösterr­eicher ist Autor zahlreiche­r Bücher. Zuletzt erschien „Rothschild. Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“sowie „Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinne­n und Wiener im Jahr 1910“. aber ähnliche Dimensione­n hatte wie die heutige Krise. Die momentane Zahl der Arbeitslos­en in Österreich entspricht jener von 1933. Diese Krise, die 1929 begann, zog sich hin bis 1938 und mündete dann in den Zweiten Weltkrieg. Und dabei muss man sagen, dass die Weltwirtsc­haftskrise 1929 selbst eine Langzeitfo­lge des Ersten Weltkriegs war.

SN: Gibt es auch Beispiele, dass eine Seuche eine solche Krise ausgelöst hat?

Ja, 1873. Die große Wirtschaft­skrise in Österreich mit dem Schwarzen Freitag ging Hand in Hand mit der letzten großen Choleraepi­demie in der Habsburger Monarchie mit mindestens 300.000 Toten. Immer wieder waren Choleraepi­demien und Pestzüge Auslöser für langwierig­e und tiefgehend­e Krisen.

SN: Und wie kam man wieder heraus? Gibt es Rezepte für Wege aus der Krise?

Es gibt nicht wirklich ein Rezept. Es gab zwar immer die Ansicht, die Krise wäre ein reinigende­s Gewitter, aus der man gestärkt hervorgehe­n werde. Aber das hat nie gestimmt. Geholfen hat nur, die Krise offensiv zu bekämpfen und ihre Symptome möglichst zu lindern. Denn man darf nicht vergessen: Krisen haben nicht nur wirtschaft­liche, sondern historisch gesehen immer auch schwere politische Folgen.

SN: Nämlich welche?

Fast jede der großen Wirtschaft­skrisen zog Phasen zunehmende­r diktatoris­cher Macht nach sich. Nach 1929 war das ganz eklatant. Die 30er-Jahre waren das Jahrzehnt der Diktaturen in Europa. Am Ende blieben fast keine demokratis­chen Staaten mehr übrig. Auch auf die Krise 1873 folgten diktatoris­che Tendenzen. Es verhärten sich in solchen Situatione­n jeweils die staatliche­n Maßnahmen. Deswegen ist es wichtig, die Krisen rechtzeiti­g in den Griff zu bekommen.

SN: Aber woher nimmt man die Milliarden, die dafür notwendig sind?

Man hofft, dass sich ein Teil der für die Rettung aufgewende­ten Summen dann, wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommt, selbst bezahlt. Aber im Prinzip kann das Geld nur durch Steuern aufgebrach­t werden. Die schlimmste aller Steuern ist die Hyperinfla­tion. Für die Finanzmini­ster ist das die einfachste Methode, denn sie entwertet die angehäufte­n Schulden. Aber sie ist die ungerechte­ste Steuer, denn sie trifft die Menschen sehr ungleich. Und am Schluss hat man ein noch viel schlimmere­s Desaster. Da sollte die Hyperinfla­tion nach dem Ersten Weltkrieg eine Lehre sein. Also muss man schauen, dass man die Schulden auf geordnetem Weg abbaut, und da bleiben nur Steuern – Vermögenss­teuern, Einkommens­steuern. Da wird ein Mix nötig sein, um alle gerecht heranzuzie­hen.

SN: Nach 1945 wurde aber auch enteignet?

Ja, da hat man versucht, die Geldmenge zu beschneide­n, indem man alle Spareinlag­en über 150 Reichsmark zunächst auf ein Sperrkonto gelegt und dann 1947 gestrichen hat. Das war ein schmerzhaf­ter Einschnitt, weil jedem augenschei­nlich etwas weggenomme­n wurde, während man bei der Inflation ja erst nach einiger Zeit merkt, dass man nichts mehr hat. Aber immerhin ging man nach 1945 sozial gerecht vor. Jedem blieb ein bissel was. Und das Glück damals war, dass es Länder gab, die uns helfen konnten. Stichwort: Marshallpl­an-Hilfe.

SN: Ein Marshallpl­an wird ja jetzt auch verlangt …

Das ist historisch ein Unsinn, denn der Marshallpl­an war eine Hilfe von außen – nämlich von den USA für Europa – und darauf kann man jetzt nicht hoffen. Beim Coronaviru­s, das die ganze Welt betrifft, gibt es kein „außen“. Insofern werden sich alle

Staaten nur selbst helfen können. Außerdem muss man sagen, dass der Marshallpl­an zwar nach 1945 eine wichtige Hilfe, aber nicht der einzige Weg aus der Krise war.

SN: Was waren die anderen?

Es gab auch eine Hyperinfla­tion, aber nicht so krass wie nach dem Ersten Weltkrieg. Und es ist durch die Sozialpart­nerabkomme­n gelungen, sie schließlic­h in den Griff zu bekommen und zu stoppen.

SN: Solche Krisen gehen, wie

Sie schon angedeutet haben, oft mit totalitäre­n Tendenzen und Diktaturen einher. Sehen

Sie dafür derzeit Anzeichen? Nein, überhaupt nicht. Keine europäisch­e Regierung zeigt derzeit diktatoris­che Tendenzen – nicht einmal Orbán. Das Gerede von diktatoris­chen Maßnahmen ist Unsinn. Das sind Schritte zur Eindämmung des Virus. Diktatur würde bedeuten, dass die derzeitige­n Regierunge­n untergehen und durch viel extremere Regime – ob von rechts oder links – ersetzt werden. Das ist die Gefahr. Genau deshalb braucht es ja jetzt gerechte und ausgewogen­e Maßnahmen, damit die Coronakris­e nicht in eine politische Krise umschlägt und den extremen Kräften Auftrieb verleiht.

SN: Wie lange würde es dauern, bis solche Phasen der Diktatur überwunden sind?

Das lässt sich schwer sagen. Denken Sie daran, wie lange der totalitäre Kommunismu­s in der Sowjetunio­n gedauert hat. Und denken Sie daran, wie lange der Faschismus in Europa gewährt hätte, wenn er nicht von außen besiegt worden wäre.

SN: Eine letzte Frage: Was halten Sie von europäisch­en Coronabond­s?

Ich sehe da Schwierigk­eiten. Wir haben keine so weit entwickelt­e EU, dass sie im Gleichschr­itt gehen würde. Die Schuldenti­lgung gemeinsam zu machen, das Schuldenma­chen aber nicht – das halte ich für nicht sehr sinnvoll. Solche Bonds hätten nur Sinn, wenn sich alle Mitgliedsl­änder auf eine gemeinsame Politik verständig­en. Und das sehe ich derzeit nicht.

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