Alte Nazis im Pakt mit Ex-Austrofaschisten
Die Uni Salzburg und ihre ersten Professoren. Eine Allianz aus ehemaligen Austrofaschisten und Ex-Nazis dominierte die Anfangsjahre. Die politischen Grabenkämpfe der 60er- und 70er-Jahre hat Historiker Alexander Pinwinkler jetzt aufgearbeitet.
AAlexander Pinwinkler ist habilitierter Zeithistoriker an der Universität Wien und Lehrbeauftragter an der Universität Salzburg. In seinem neuen Buch über die „Gründergeneration“der Universität Salzburg greift er so manches heiße Eisen an.
SN: Herr Dr. Pinwinkler, Sie schreiben über die „Selbstprovinzialisierung“der Uni Salzburg. Wie ist denn das zu verstehen?
Alexander Pinwinkler: Genau gesagt spreche ich von einer „autochthonen Selbstprovinzialisierung“, die die österreichische Hochschullandschaft in den Nachkriegsjahrzehnten insgesamt gekennzeichnet hat. Kurzum: Viele Forscher, die 1938 vor den Nazis flüchten mussten, wurden nach 1945 nicht zurückberufen, die österreichische Wissenschaft erlebte einen nachhaltigen „Braindrain“. Wen man aber nach dem Krieg sehr wohl wieder geholt hat: ehemalige Sympathisanten des austrofaschistischen „Ständestaats“.
SN: Aber um die Nationalsozialisten von früher hat man dann doch einen großen Bogen gemacht?
Die ehemaligen NS-Parteigänger konnte man wegen deren Belastung vielfach erst ab 1957 wieder ansprechen, als auch die letzten amnestiert worden waren. Dann sind auch sie häufig reintegriert worden. Als die Uni Salzburg 1962 wiedergegründet wurde, gab es im Professorenkollegium der Gründungsphase daher diese spezifische Mischung aus Katholiken und früheren Austrofaschisten und ehemals dem Nationalsozialismus Nahestehenden.
SN: Katholisch ist die Uni ja vorher schon gewesen.
Ja, es existierte bis 1810 eine Benediktineruniversität, seit 1850 eine staatliche Katholisch-Theologische Fakultät. Diese wurde aber nach dem „Anschluss“an Deutschland im Jahr 1938 von den Nationalsozialisten geschlossen, im Herbst 1945 dann wiedereröffnet. In den 1950er-Jahren sollte in Salzburg eine katholische „Weltanschauungsuniversität“errichtet werden, 1962 wurde es dann aber eine staatliche Universität. Aber natürlich in besagter Weise ideologisch dominiert.
SN: Wer war eigentlich für diese Schlagseite verantwortlich?
Dazu muss man wissen, dass es damals noch keine Uni-Autonomie gab. Die Professoren bestimmte im Wesentlichen das Unterrichtsministerium, das in ÖVP-Hand war. Also dominierten auch konservative Professorenbestellungen – zumindest bis in die frühen 1960er-Jahre im Sinne einer regelrechten Koalition zwischen ÖVP-nahen ExAustrofaschisten und früheren Nazis.
SN: Wer waren diese ersten Professoren?
Der erste gewählte Rektor, Egon Lendl, war etwa ein Geograph aus dem katholisch-nationalen Milieu. Ihn hat der damalige Unterrichtsminister Drimmel nur mit Mühe „durchgebracht“, dessen frühere NS-Nähe beschrieb Drimmel selbst als „nicht sehr sympathisch“. Lendl hatte 1938 in seinem Beitrittsantrag damit geprahlt, dass er schon in der Verbotszeit der NSDAP einschlägige Vorträge im NS-Lehrerbund gehalten habe. Im Ministerium setzte sich aber letztlich die Ansicht durch, dass seit der Nazizeit ja schon so viel Zeit vergangen sei und man das daher nicht so stark gewichten dürfe.
SN: Wie kommen Sie eigentlich zu diesen Informationen?
Ich habe einerseits die Personalakten im Staatsarchiv in Wien analysiert. Und andererseits die Korrespondenzen der beteiligten Politiker, etwa von LH Hans Lechner. Sie lagern teils im ÖVP-Archiv.
SN: Heute hat man nicht mehr den Eindruck einer stramm nationalen Professorenschaft.
Keineswegs. Denn es hat in weiterer Folge auch der typisch österreichische Proporz seine Wirkung gezeigt: für jede schwarze Postenbesetzung dafür anderswo eine rote. Die Salzburger Uni galt damals eher als schwarz, jene in Linz als rot. So wurde eben „junktimiert“– das mag man heute nicht mehr schön finden, aber es brachte immerhin eine gewisse Buntheit in die frühere Monokultur, und bald konnten auch progressiver Gesinnte forschen und unterrichten. Da gab es etwa den katholischen Sozialdemokraten Norbert Leser, einen Politikwissenschafter. Oder den Eisenbahnersohn Hans Floretta für Arbeits- und Sozialrecht. Oder den früheren SN-Chefredakteur René Marcic, der erstmals interdisziplinäre Lehrveranstaltungen für Rechtsphilosophie und Politik abgehalten hat.
SN: Es soll aber auch Rote gegeben haben, die zuvor braun waren.
Das stimmt. Ein Beispiel ist der Philosoph und Geologe Walter Del-Negro: Er landete trotz NS-Belastung beim Bund Sozialdemokratischer Akademiker. Es gab aber auch liberale Aushängeschilder: etwa die Zeithistorikerin Erika Weinzierl, die 1969 ordentliche Professorin wurde.
SN: Ist es also das, was Sie mit der „Selbstprovinzialisierung“meinen?
Na ja, nicht nur. So beabsichtigte etwa Hans Lechner, internationale Kapazitäten nach Salzburg zu holen. Die waren aber oft an Unis in Deutschland, wo sie viel besser bezahlt wurden. Salzburg war zwar als Festspielstadt attraktiv, aber das wissenschaftliche Umfeld war nicht so besonders. Übrigens gab es damals auch schon diese Knappheit an Wohnraum.
SN: Anders gesagt – die besten Leute wollten gar nicht kommen?
Gute Köpfe gab es sehr wohl. Der 1972 von der SPÖ-Ministerin Hertha Firnberg nach Salzburg berufene Psychologe Igor Caruso ist ein Beispiel. Er galt als liberal und weltoffen. Aber: Er war in der Nazizeit in der berüchtigten Wiener Anstalt „Am Spiegelgrund“tätig gewesen. Es gibt den Verdacht, dass dort Kinder aufgrund seiner Gutachten ermordet wurden.
SN: Auch Herbert von Karajan war ja Ehrendoktor der Uni, eine weitere umstrittene Persönlichkeit.
Ja, er wurde 1968 Ehrensenator und 1978 Ehrendoktor. Eine kuriose Sache – es gab massiven Widerstand der Studentenschaft. Aber nicht wegen Karajans Nähe zum NSKulturbetrieb, sondern weil man ihn als „Vertreter des Establishments“ansah. So wurde der Ehrendoktortitel in kleinem Rahmen im Büro des Rektors verliehen. Verzichten wollte man nicht darauf – sich mit Karajans Namen zu schmücken, war doch zu reizvoll.