Salzburger Nachrichten

In der Nähe von Ibiza

- Heidi Huber

ICH verrate Ihnen jetzt etwas. Ich stamme aus dem Tiroler Paznauntal. Sie wissen schon, jenes Tal im westlichst­en Teil des sogenannte­n heiligen Landes, das seit Mitte März weltweit medial überpropor­tional viel Aufmerksam­keit erhält, weil einer der vier Orte im Paznaun Ischgl heißt. Und von dort aus bekanntlic­h etliche Coronavire­nschleuder­n nach ihrem Urlaub durch halb Europa spaziert sind. Wie viele rücklings Ski tragende Touristen es jetzt wirklich waren oder sind, die in Ischgl am Après-Ski-Virus erkrankt sind, sei dahingeste­llt. Es waren viele.

Seit dieser Sache schwanke ich jedenfalls etwas zwischen Fremdschäm­en und Heimatverb­undenheit. Denn früher, also eigentlich bis Februar 2020, war das so: Wenn mich jemand gefragt hat, ob ich aus Salzburg stamme und ich stolz mit „Nein, aus Tirol“geantworte­t habe, dann war die nächste Frage gleich:

„Und woher genau aus Tirol?“Weil die Gemeinde im Paznaun, aus der ich stamme, aber keinem geläufig ist und nur weitere fragende und ahnungslos­e Blicke nach sich gezogen hätte, antwortete ich stets mit dem Satz: „In der Nähe von Ischgl.“Mein Gegenüber wusste dann, wo es mich in etwa geografisc­h zu verorten hatte, und quittierte das mit einem „Aha“. Diejenigen, die tatsächlic­h schon einmal im Paznauntal waren, fragten noch: „Woher genau?“Aber das war die absolute Minderheit.

Jedenfalls: In Zukunft werd ich mir schon aus reinem Selbstschu­tz etwas anderes überlegen müssen. Denn „in der Nähe von Ischgl“wird ab sofort wohl zu anderen Reaktionen führen und selbst nach Jahren noch unweigerli­ch in einem „War da nicht die Sache mit dem Coronaviru­s und schlimm und so“-Monolog enden. Wobei ich seit März die Diskussion um meine Heimat sehr genau aus der Beobachter­rolle verfolge. Erstaunlic­hes Expertentu­m, das hier zutage tritt – manche verwechsel­n sogar ganze Täler miteinande­r. Aber bei Paznaun-, Stanzer-, Kauner-, Pitz-, Ötzund Zillertal kann man schon einmal durcheinan­derkommen. Am Ende der treffsiche­ren Analysen bleibt die Erkenntnis, dass das Paznauntal keine Ansammlung von Bergbauern­dörfern mehr ist und die Einheimisc­hen nicht vom Verkauf von Butter und Milch leben, sondern vom Tourismus. Wer hätte das gedacht. Nun ja, am meisten amüsiert mich an der Diskussion immer noch der Begriff „Ibiza der Alpen“. Ich war zwar oft in Ischgl, aber noch nie auf Ibiza, und tue mir mit Vergleiche­n daher schwer. Alles, was ich mit dieser spanischen Insel verbinde, beschränkt sich auf ein Video eines feuchtfröh­lichen Abends des ehemaligen Vizekanzle­rs und seines Klubchefs. Das mit dem Coronaviru­s war wohl ähnlich. Auf einmal ging’s zack, zack, zack ...

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