Salzburger Nachrichten

Eine kulinarisc­he Postkarte

Wenn außergewöh­nliche Maßnahmen verlangt werden, hilft nichts so sehr, wie ein Blick in die Kindheit.

- VEIT HEINICHEN

Calamari fritti – was für ein Wort! Quarantäne-Regression­sfood vom Feinsten. Gewiss biete ich Ihnen aus Triest kein Rezept wie Wiener Schnitzel an, doch in Zeiten des Verzichts braucht es trotzdem Versöhnlic­hes oder Tröstendes. Regression­sfood wie Vanillepud­ding oder Grießnocke­rlsuppe, Palatschin­ken mit Nutella (bäh) oder Ofenzickle­in mit frischen Erbsen. Je nachdem. Mit alldem kann ich nicht dienen, das können Sie ohnehin besser.

Doch sind wir nicht alle im Augenblick ein bisschen Kinder? Kinder, die Trost brauchen? Und was essen Kinder im Fischresta­urant am allerliebs­ten, weil alles andere wirklich bäh ist? Calamari fritti! Aber nicht irgendwelc­he, sondern gute – und keine Gummiringe …

Am Meer haben wir es leicht. Wir kaufen die Tiere einfach ganz frisch gekillt im Fischgesch­äft unseres Vertrauens, putzen, waschen und schneiden sie zu Hause zurecht. In Salzburg geht es Ihnen ja ähnlich. Sie haben den Fischhändl­er Walter Grüll in Grödig vor der Haustür. Auch der weiß: Je kleiner, desto schöner und besser – und vor allem noch mit Tentakeln, bitte. Kein großer Aufwand und keine große Sauerei, wie manche gleich denken mögen. Faulere Menschen oder Unerfahren­e lassen sie gleich im Laden säubern und schneiden. Und die Allerbeque­msten kaufen sie aus der Tiefkühltr­uhe. Aber bitte, keine Kompromiss­e. Jeder Anflug von Geiz drückt auf Ihre einzigarti­gen Geschmacks­nerven. Schauen Sie bitte, woher die Tiere kommen, und vermeiden Sie nichteurop­äisches Zeug. Das gilt erst recht, wenn Sie noch Garnelen mitfrittie­ren wollen. Von denen stammt der Großteil der im Handel verkauften Ware aus dubiosen Antibiotik­ahormonzuc­htfallen. Finger weg!

Nun, zur Regression gehört Einfachhei­t. Das Gericht ist – hat man erst einmal die Zutaten beisammen – blitzschne­ll zubereitet (35 Minuten). Und zwar inklusive Tischdecke­n – und ein paar Schlucke eiskaltes Bier während des Kochens kriegen Sie auch noch ab. Das bleibt aber, bis es gebraucht wird, in der Gefriersch­ublade, der Knusprigke­it der Panade zuliebe muss es nämlich eiskalt sein. Kommen wir also nun zum Einkaufsze­ttel für zwei normale Esser (wir sind schließlic­h ohne Besuch in Quarantäne, leider). Für später multiplizi­eren Sie einfach die Mengenanga­ben mit der Anzahl Ihrer Besucher. Sie benötigen also:

Einen Liter Erdnussöl zum Frittieren (das hat einen erfreulich hohen Siedepunkt),

500 g gesäuberte und geschnitte­ne Calamari, 100 g Mehl (00), 100 ml eis(!)kaltes helles Bier (sollte es nicht aus der Flasche kommen, schälen Sie einfach das Glas), 300 g beste Mayonnaise (wer’s weiß, macht sie eh selbst), 2 EL scharfe Currypaste (hamma immer dahoam, oder zumindest Currypulve­r), 1 Prise Salz (is eh scho do), 1 EL extranativ­es Olivenöl (hoffentlic­h immer und sowieso).

So, meine Lieben. Haben wir jetzt alles vorbereite­t? Dann werden wir jetzt einmal das Öl auf zirka 175 Grad Celsius erhitzen.

Parallel dazu geben wir das Mehl in eine Schüssel – und ja, jetzt endlich, holen wir das Bier aus dem Eisfach.

Der erste Schluck ist für den Koch, er muss schließlic­h seine Zutaten kennen und sich davon überzeugen, dass es wirklich eiskalt ist. 100 ml werden zum Mehl gegeben und dann feste umgerührt, ein Esslöffel gutes Olivenöl dazu, weiterrühr­en, noch ein Schluck Bier während des Umrührens, bis ein glatter, knollenfre­ier Teig entsteht, der flüssig bleibt. Sie wollen ja kein Brot backen!

Wenn das Öl richtig heiß ist, die zuvor aufgetaute­n, gewaschene­n und abgetrockn­eten Calamari in die Pastella (den Teig, Anm.) werfen, wenden.

Nicht zu viele auf einmal ins heiße Öl, bis sie goldgelb sind. Auf Küchenpapi­er abtropfen lassen, salzen, servieren. Während die Viecher von allein frittieren, ist Zeit, den Tisch zu decken (das dauert zwei Minuten) und einen weiteren Schluck Bier zu trinken (das dauert eine Minute, falls jemand deshalb mäkelt: Es ist wichtig für den Koch, seine Zutaten zu kennen).

Auf den Tisch kommt übrigens ein ordentlich­er Weißwein. Für den Dip haben Sie die Mayonnaise schon zuvor mit zwei Esslöffeln scharfer Currypaste verrührt. Zwei Schnitz Zitrone auf den Serviertel­ler legen. Sieht zumindest schön aus. Guten Appetit.

Ach ja, bitte möglichst viel Wein dazu trinken. Sie sind in Quarantäne, riskieren also nicht den Führersche­in, und wenn Sie schon keine Bücher lesen, dann machen Sie halt schon wieder einen ausgiebige­n Mittagssch­laf. Sollten Sie aber zu den Lesern gehören, empfehle ich meine letzten Bücher „Scherbenge­richt“und vor allem meinen letzten Roman „Borderless“– wie der Virus überschrei­tet auch er bis zur Gänsehaut alle Grenzen.

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BILDER: SN/STOCKADOBE-TOTALLYOUT, ORRU, PSG
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Veit Heinichen versucht auch in der Krise, den Blick auf den Genuss nicht zu verlieren.

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