Auch die Demokratie braucht einen Neustart
Der politische Diskurs war in den vergangenen Wochen fast ausschließlich auf die Regierenden fokussiert. Auch damit muss jetzt Schluss sein.
Der Staat entlässt seine Bürger aus den Wohnungen und erlaubt Betrieben, ihren Geschäften wieder nachzugehen. Doch selbst jetzt, da die massivste Freiheitsbeschränkung seit 70 Jahren beendet ist, will keine große Erleichterung aufkommen. Zu massiv und einschneidend ist den Menschen all das in die Glieder gefahren, was beinahe über Nacht als Corona-Lockdown in die Geschichte eingehen wird. Und Normalität, wie wir sie von früher – sprich von vor zwei Monaten – kennen, wird es vermutlich lange noch nicht geben.
Dass viele wirtschaftlichen oder auch seelischen Schaden davongetragen haben, ist mittlerweile klar. Aber hat auch die Demokratie Schaden genommen?
Leider ja. Der öffentliche Diskurs hat sich massiv verschoben, die bunten und kontroversen Debatten, die früher selbstverständlich waren, sind fast zum Erliegen gekommen. Nur zur Erinnerung: Der Staat hat seine Ordnungsmacht in einer Massivität ausgeübt, wie er dies seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gemacht hat. Und die Bürgerinnen und Bürger des Landes, selbst die Opposition, sind der Regierung dabei fast ohne jedes Murren gefolgt. So wie es 2015 die Bilder von Flüchtlingsmassen auf dem
Balkan waren, die ihre Wirkung nicht verfehlten, waren es jetzt die Fotos aus überfüllten Intensivstationen in Italien, die dem Land einen kollektiven Schrecken eingejagt haben. Die Regierung handelte umgehend und konsequent, was italienische Verhältnisse im Keim verhinderte. Vergleichsweise schnell flachte die Zahl der Infizierten in Österreich ab, wofür die Regierung – zu Recht – vielfach beklatscht wurde. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass auch schwere Fehler passierten. So wurden etwa die Skigebiete – Stichwort: Ischgl – zu spät geschlossen. Gerade Infektionsherde in Tirol und auch Salzburg hätten möglicherweise früher eingedämmt werden können. Landeck in Tirol sowie der Pongau und Pinzgau wiesen lange die höchsten Infektionsraten auf. Auch die Situation in den Seniorenheimen wurde von den Regierenden lange unterschätzt – erst als es hohe Erkrankungsraten und Todesfälle gab, kamen sie in Bewegung.
Nein, es geht hier nicht um Besserwisserei, die im Nachhinein bekanntlich sehr leicht fällt. Es geht darum, dass Demokratie die Auseinandersetzung und Aufarbeitung von Fehlern braucht. Auch, um für die Zukunft daraus zu lernen.
Nur zur Erinnerung: Als Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat in den frühen 2000er-Jahren während der Vogelgrippe Millionen von Schutzmasken bestellte, wurde sie milde belächelt und dann viele Jahre verspottet, weil die Schutzmasken in Zentrallagern herumdümpelten. Hätte diesmal ein Gesundheitsminister frühzeitig Masken bestellt, wäre er oder sie zum großen Helden geworden. Stattdessen bleibt die Not an Schutzmasken und -bekleidung bis in Spitäler, Arztpraxen oder Seniorenheimen ein trauriger Beleg dafür, wie unvorbereitet die Pandemie die Politik erwischte.
Trotzdem: Krisenzeiten gehören den Regierenden. Sie haben ja auch die Verantwortung, die in einer derart prekären Situation ausgesprochen schwer wiegt. Die Exekutive entscheidet, gibt den Takt vor – und die Regierung Kurz hat das auch genutzt. Beinahe täglich trat sie auf, um neue Details zu verkünden – dosierte Angstportionen inklusive. Für Kritik und Opposition blieb da kaum Raum und Platz übrig. Auch weil in Extremsituationen Kritik schnell als verantwortungslos oder unsolidarisch gilt.
Spätestens jetzt, da die Ausgangsbeschränkungen ein Ende haben, muss auch der Ausnahmezustand der Demokratie enden. Seit Jahren ist eine schleichende Entwertung von Parlamenten gegenüber den Regierenden zu beobachten. Auch die unabhängige Justiz steht immer öfter infrage. Umso mehr gilt es zu beachten, dass Corona die fragwürdige Tendenz nicht verstärkt.
Die Schutzmaske darf jedenfalls nicht zum Symbol fürs Kuschen werden, auch nicht zum Symbol der Unlust, weil es keinen Spaß macht, mit Maske einzukaufen. Denn wie sehr der staatlich verordnete Lockdown den Wohlstand gerade auch in Salzburg ramponiert hat, ist möglicherweise in seiner ganzen Wucht noch gar nicht klar.
Umso mehr braucht es lebendige Demokratie. Vitale Opposition. Sachliche Auseinandersetzung. Und die uneingeschränkte Wiederherstellung von Freiheit und Würde des Einzelnen.