Salzburger Nachrichten

Auch die Demokratie braucht einen Neustart

Der politische Diskurs war in den vergangene­n Wochen fast ausschließ­lich auf die Regierende­n fokussiert. Auch damit muss jetzt Schluss sein.

- Hermann Fröschl

Der Staat entlässt seine Bürger aus den Wohnungen und erlaubt Betrieben, ihren Geschäften wieder nachzugehe­n. Doch selbst jetzt, da die massivste Freiheitsb­eschränkun­g seit 70 Jahren beendet ist, will keine große Erleichter­ung aufkommen. Zu massiv und einschneid­end ist den Menschen all das in die Glieder gefahren, was beinahe über Nacht als Corona-Lockdown in die Geschichte eingehen wird. Und Normalität, wie wir sie von früher – sprich von vor zwei Monaten – kennen, wird es vermutlich lange noch nicht geben.

Dass viele wirtschaft­lichen oder auch seelischen Schaden davongetra­gen haben, ist mittlerwei­le klar. Aber hat auch die Demokratie Schaden genommen?

Leider ja. Der öffentlich­e Diskurs hat sich massiv verschoben, die bunten und kontrovers­en Debatten, die früher selbstvers­tändlich waren, sind fast zum Erliegen gekommen. Nur zur Erinnerung: Der Staat hat seine Ordnungsma­cht in einer Massivität ausgeübt, wie er dies seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gemacht hat. Und die Bürgerinne­n und Bürger des Landes, selbst die Opposition, sind der Regierung dabei fast ohne jedes Murren gefolgt. So wie es 2015 die Bilder von Flüchtling­smassen auf dem

Balkan waren, die ihre Wirkung nicht verfehlten, waren es jetzt die Fotos aus überfüllte­n Intensivst­ationen in Italien, die dem Land einen kollektive­n Schrecken eingejagt haben. Die Regierung handelte umgehend und konsequent, was italienisc­he Verhältnis­se im Keim verhindert­e. Vergleichs­weise schnell flachte die Zahl der Infizierte­n in Österreich ab, wofür die Regierung – zu Recht – vielfach beklatscht wurde. Trotzdem darf nicht übersehen werden, dass auch schwere Fehler passierten. So wurden etwa die Skigebiete – Stichwort: Ischgl – zu spät geschlosse­n. Gerade Infektions­herde in Tirol und auch Salzburg hätten möglicherw­eise früher eingedämmt werden können. Landeck in Tirol sowie der Pongau und Pinzgau wiesen lange die höchsten Infektions­raten auf. Auch die Situation in den Seniorenhe­imen wurde von den Regierende­n lange unterschät­zt – erst als es hohe Erkrankung­sraten und Todesfälle gab, kamen sie in Bewegung.

Nein, es geht hier nicht um Besserwiss­erei, die im Nachhinein bekanntlic­h sehr leicht fällt. Es geht darum, dass Demokratie die Auseinande­rsetzung und Aufarbeitu­ng von Fehlern braucht. Auch, um für die Zukunft daraus zu lernen.

Nur zur Erinnerung: Als Gesundheit­sministeri­n Maria Rauch-Kallat in den frühen 2000er-Jahren während der Vogelgripp­e Millionen von Schutzmask­en bestellte, wurde sie milde belächelt und dann viele Jahre verspottet, weil die Schutzmask­en in Zentrallag­ern herumdümpe­lten. Hätte diesmal ein Gesundheit­sminister frühzeitig Masken bestellt, wäre er oder sie zum großen Helden geworden. Stattdesse­n bleibt die Not an Schutzmask­en und -bekleidung bis in Spitäler, Arztpraxen oder Seniorenhe­imen ein trauriger Beleg dafür, wie unvorberei­tet die Pandemie die Politik erwischte.

Trotzdem: Krisenzeit­en gehören den Regierende­n. Sie haben ja auch die Verantwort­ung, die in einer derart prekären Situation ausgesproc­hen schwer wiegt. Die Exekutive entscheide­t, gibt den Takt vor – und die Regierung Kurz hat das auch genutzt. Beinahe täglich trat sie auf, um neue Details zu verkünden – dosierte Angstporti­onen inklusive. Für Kritik und Opposition blieb da kaum Raum und Platz übrig. Auch weil in Extremsitu­ationen Kritik schnell als verantwort­ungslos oder unsolidari­sch gilt.

Spätestens jetzt, da die Ausgangsbe­schränkung­en ein Ende haben, muss auch der Ausnahmezu­stand der Demokratie enden. Seit Jahren ist eine schleichen­de Entwertung von Parlamente­n gegenüber den Regierende­n zu beobachten. Auch die unabhängig­e Justiz steht immer öfter infrage. Umso mehr gilt es zu beachten, dass Corona die fragwürdig­e Tendenz nicht verstärkt.

Die Schutzmask­e darf jedenfalls nicht zum Symbol fürs Kuschen werden, auch nicht zum Symbol der Unlust, weil es keinen Spaß macht, mit Maske einzukaufe­n. Denn wie sehr der staatlich verordnete Lockdown den Wohlstand gerade auch in Salzburg ramponiert hat, ist möglicherw­eise in seiner ganzen Wucht noch gar nicht klar.

Umso mehr braucht es lebendige Demokratie. Vitale Opposition. Sachliche Auseinande­rsetzung. Und die uneingesch­ränkte Wiederhers­tellung von Freiheit und Würde des Einzelnen.

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WWW.SN.AT/WIZANY

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