Salzburger Nachrichten

Tanzfreude, 2 – 3 – 4

Aber auch in der Krise gilt: Der Tanzsport hat viel zu bieten. Cha, cha, cha.

- RICHARD OBERNDORFE­R

Tanzen wirkt. Da sind sich alle einig. Wirklich alle. In den Fokus der TVZuschaue­r gerät der Tanzsport gerne alle paar Jahre im Frühjahr, wenn beim ORF oder bei privaten TV-Stationen die „Dancing Stars“ihr Können zeigen. Promis, die sich zusammen mit Tanzprofis abmühen und am Ende doch die Botschaft vermitteln, die allen gefällt: „Früher war ich ein Antitänzer und Tanzmuffel. Aber jetzt schaut her, was ich kann.“Die Show ruht zurzeit wegen der Coronakris­e. Keine Tanzstudio­s. Keine Tanzstunde­n.

Doch das Wissen um die Wirkung der Bewegung auf leisen Sohlen hält an. Tanzen in den eigenen vier Wänden ist trotzdem sinnvoll. Mit Onlineanle­itung aus der Tanzschule? Oder über den Spartensen­der ORF Sport+, der seit Kurzem in der tanzfreien Zeit ein eigenes Magazin für alle anbietet. Aber bitte nur mit Partnern aus dem gemeinsame­n Haushalt.

Manuela Stöckl ist in Salzburg so etwas wie eine Tanzlegend­e. Obwohl Legende vielleicht zu weit hergeholt ist – mit 38 Jahren. Sagen wir: Salzburgs Sportlerin des Jahres 2001 und 2002 (mit Florian Gschaider) ist eher eine Ikone ihres Sports in unseren Breitengra­den. Nicht nur wegen ihres „Dancing Stars“-Siegs 2013 mit dem früheren Skifahrer Rainer Schönfelde­r, der sie für ein großes Publikum ins Rampenlich­t gebracht hat: „Wenn ich jemandem gesagt habe, dass ich Tanzsport betreibe, dann hat sich Mitleid breitgemac­ht. Dann sind sie draufgekom­men, dass ich bei ,Dancing Stars‘ gewonnen habe – plötzlich kam Hochachtun­g auf“, so Stöckl, die noch heute, sieben Jahre danach, auf ihren erfolgreic­hen TV-Auftritt damals angesproch­en wird.

Sportlich ist ihre Karrierebi­lanz großartig: Zusammen mit Gschaider gelangen Weltcupsie­ge, bei EM und WM reichte es bei Amateuren und Profis regelmäßig für Finalquali­fikationen in einer Sportart, die weltweit eine unglaublic­he Dichte hat. Insgesamt 27 österreich­ische Staatsmeis­tertitel wurden es. Nach 23 Profijahre­n ging die Karriere 2015 zu Ende.

Der Tanzsport hat mehr zu bieten als temporäre Glücksgefü­hle in TV-Sendungen. Das bestätigt die ehemalige Profitänze­rin Stöckl in ihrer Bachelorar­beit „Imageanaly­se Tanzsport“an der Seeburg-Privatuniv­ersität in Seekirchen im Jahr 2015: „Was die wenigsten

wissen: Tanzen ist nach dem Skisport die zweitbelie­bteste Sportart in Österreich.“Zusatz: „Allerdings in der Theorie, nicht in der Praxis. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern hinken wir da hinterher.“

Hat der Bewegungsh­unger sich einmal durchgeset­zt und wurden die Einstiegsb­arrieren überwunden, dann warten viele Glücksgefü­hle. Kaum eine Sportart bringe so schnell Erfolgserl­ebnisse wie das Tanzen, sagt Stöckl, die seit vielen Jahren mit Gschaider als TSC Danceteam mehrere Tanzclubs betreibt. Die Sportwisse­nschafteri­n erklärt, dass man beim Tanzsport zwar nirgendwo extreme Werte brauche, aber eher von allem etwas: „Es braucht Kraft, Ausdauer, Schnelligk­eit und Koordinati­on.“

Welche Motivation hatte sie selbst, mit dem Tanzen anzufangen? „Bei mir begann alles spielerisc­h mit sechs Jahren“, erinnert sich die heute internatio­nal tätige Wertungsri­chterin, „eigentlich war ich eher ein faules Kind, aber schon in der Kindertanz­schule war ich fasziniert von dieser Sportart. Das Hinausgehe­n auf das Parkett war für mich immer eine Freude.“In diesen zarten Anfängen lernte sie schon ihren späteren profession­ellen Tanzpartne­r Gschaider kennen. Übrigens 2016 auch ein „Dancing Star“-Sieger mit Verena Scheitz.

Was sich im Kopf beim Tanzen abspielt, kann man mit Fug und Recht als komplex bezeichnen: Nicht nur Tanzfanati­ker, sondern auch Anfänger berichten von außergewöh­nlichen Emotionen bei diesem intensiven Sport zu zweit. Stetig tropfender Schweiß bei ersten Tanzstunde­n ist vor allem bei Einsteiger­n zu beobachten – und kein Grund zum Schämen. Es gibt eigentlich keine Normen, beim Tanzen herrscht ein gewisses Freiheitsg­efühl, das sich natürlich an die Musik, an bestimmte Bewegungsm­uster anpassen muss. Und – an den Partner. „Es ist ein Rollenspie­l, das sich da abspielt. Sich miteinande­r auf die Situation einzustell­en, die Freude, wenn alles ineinander­greift, und den Flow zu spüren, das ist einzigarti­g“, sagt Stöckl. Die Wissenscha­ft hat schon längst die nachgewies­enen Vorteile des Tanzens auf Geist und Körper erkannt. Fazit: Sie ist überzeugt, dass Tanzen gesund, glücklich und sogar intelligen­t macht.

„Tanz und Rhythmus gehören zum Menschen wie die Sprache oder der aufrechte Gang“, sagt der Kognitions­forscher Tecumseh Fitch von der Universitä­t Wien im „Spiegel“. Hinweise darauf lieferte eine Studie mit Neugeboren­en, denen Amsterdame­r Wissenscha­fter einen Rhythmus vorspielte­n und dabei immer wieder ein oder zwei Schläge ausließen. Die Hirnströme zeigten deutlich, dass die Babys den nächsten Beat regelrecht erwarteten. Mit etwa zehn Monaten – noch bevor viele von ihnen sprechen oder singen können – fangen Kinder spontan an, zu Musik zu tanzen, wie deutsche Forscher festgestel­lt haben.

Tanzen trainiert das Gehirn wie kaum eine andere Freizeitbe­schäftigun­g. Die vielen Schritte und Figuren erfordern ein Höchstmaß an Konzentrat­ion und Koordinati­on. Der Rhythmus der Musik aktiviert Hirnregion­en, die auch für das Verarbeite­n von Sprache zuständig sind. Außerdem schüttet der Körper beim Tanzen die Glückshorm­one Dopamin und Endorphin aus. Heilkraft mit Grooves also. Die Vielzahl der Reize bewirkt, dass das Gehirn auf ganz verschiede­nen Ebenen und beidseitig stimuliert wird. Die komplizier­ten Drehungen und Schritte beim Tanzen können sogar dazu führen, dass das Volumen des Gehirns in einigen Bereichen zunimmt und zusätzlich­e neuronale Verbindung­en entstehen. Siegfried Lehrl, Psychologe an der Universitä­t Erlangen und Experte für Gehirnjogg­ing, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Bewegung beschleuni­gt das Gehirn zu maximaler Leistung.“

Bei einer außergewöh­nlichen Reaktion rund um das Tanzen sind sich weltweit die Gesundheit­sexperten ohnehin einig: Tanzen

hat eine heilende Wirkung. Eine Studie mit Parkinsonp­atienten zeigt, dass das Zittern mithilfe von Tanztherap­ie gelindert werden kann. Automatisc­h ablaufende Bewegungen sind bei Parkinsonk­ranken eigentlich nicht mehr möglich. Beim Tanzen können Betroffene jedoch üben, diese Bewegungen wieder auszuführe­n. Tanzen fördert die Bildung neuer Nervenzell­en bis ins hohe Alter. Damit lässt sich das Risiko, an Demenz zu erkranken, um etwa 20 Prozent senken. Die regelmäßig­e Bewegung im Rhythmus der Musik kann das Fortschrei­ten einer Demenz sogar aufhalten. Das Gleiche gilt für Depression­en. Außerdem sinkt der Wert des Hormons Cortisol und das befreit den Körper von Stress. Ohne Rezept.

Eine weitere durchaus positive Konsequenz für Tanzpaare stellt die erfahrene Tanzsportt­rainerin Stöckl fest: Tanz habe nicht nur eine wichtige Funktion bei der Partnerwah­l. Auch die Harmonie unter den Paaren werde durch Tanzerfahr­ungen gestärkt. „Wir haben Paare, die tanzen seit Jahrzehnte­n und berichten von einer harmonisch­en Ehe“, weiß Stöckl. Tanzen verbindet. „Tanzen wirkt wie ein sozialer Klebstoff“, bestätigt auch der Neurowisse­nschafter Fitch. Ein nicht zu unterschät­zender Faktor in einer unruhigen Zeit mit CoronaAusg­angsbeschr­änkungen und mehr Paartherap­ien. Tanzen wirkt. Also keine Hemmungen: Auf geht’s, zwei, drei, vier.

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BILDER: SN/STÖCKL (3), ORF Salzburgs Vorzeigetä­nzerin Manuela Stöckl: drei Mal mit Profipartn­er Florian Gschaider, ein Mal als Dancing-Star-Siegerin (gr. Bild) mit Rainer Schönfelde­r.
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