Tanzfreude, 2 – 3 – 4
Aber auch in der Krise gilt: Der Tanzsport hat viel zu bieten. Cha, cha, cha.
Tanzen wirkt. Da sind sich alle einig. Wirklich alle. In den Fokus der TVZuschauer gerät der Tanzsport gerne alle paar Jahre im Frühjahr, wenn beim ORF oder bei privaten TV-Stationen die „Dancing Stars“ihr Können zeigen. Promis, die sich zusammen mit Tanzprofis abmühen und am Ende doch die Botschaft vermitteln, die allen gefällt: „Früher war ich ein Antitänzer und Tanzmuffel. Aber jetzt schaut her, was ich kann.“Die Show ruht zurzeit wegen der Coronakrise. Keine Tanzstudios. Keine Tanzstunden.
Doch das Wissen um die Wirkung der Bewegung auf leisen Sohlen hält an. Tanzen in den eigenen vier Wänden ist trotzdem sinnvoll. Mit Onlineanleitung aus der Tanzschule? Oder über den Spartensender ORF Sport+, der seit Kurzem in der tanzfreien Zeit ein eigenes Magazin für alle anbietet. Aber bitte nur mit Partnern aus dem gemeinsamen Haushalt.
Manuela Stöckl ist in Salzburg so etwas wie eine Tanzlegende. Obwohl Legende vielleicht zu weit hergeholt ist – mit 38 Jahren. Sagen wir: Salzburgs Sportlerin des Jahres 2001 und 2002 (mit Florian Gschaider) ist eher eine Ikone ihres Sports in unseren Breitengraden. Nicht nur wegen ihres „Dancing Stars“-Siegs 2013 mit dem früheren Skifahrer Rainer Schönfelder, der sie für ein großes Publikum ins Rampenlicht gebracht hat: „Wenn ich jemandem gesagt habe, dass ich Tanzsport betreibe, dann hat sich Mitleid breitgemacht. Dann sind sie draufgekommen, dass ich bei ,Dancing Stars‘ gewonnen habe – plötzlich kam Hochachtung auf“, so Stöckl, die noch heute, sieben Jahre danach, auf ihren erfolgreichen TV-Auftritt damals angesprochen wird.
Sportlich ist ihre Karrierebilanz großartig: Zusammen mit Gschaider gelangen Weltcupsiege, bei EM und WM reichte es bei Amateuren und Profis regelmäßig für Finalqualifikationen in einer Sportart, die weltweit eine unglaubliche Dichte hat. Insgesamt 27 österreichische Staatsmeistertitel wurden es. Nach 23 Profijahren ging die Karriere 2015 zu Ende.
Der Tanzsport hat mehr zu bieten als temporäre Glücksgefühle in TV-Sendungen. Das bestätigt die ehemalige Profitänzerin Stöckl in ihrer Bachelorarbeit „Imageanalyse Tanzsport“an der Seeburg-Privatuniversität in Seekirchen im Jahr 2015: „Was die wenigsten
wissen: Tanzen ist nach dem Skisport die zweitbeliebteste Sportart in Österreich.“Zusatz: „Allerdings in der Theorie, nicht in der Praxis. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern hinken wir da hinterher.“
Hat der Bewegungshunger sich einmal durchgesetzt und wurden die Einstiegsbarrieren überwunden, dann warten viele Glücksgefühle. Kaum eine Sportart bringe so schnell Erfolgserlebnisse wie das Tanzen, sagt Stöckl, die seit vielen Jahren mit Gschaider als TSC Danceteam mehrere Tanzclubs betreibt. Die Sportwissenschafterin erklärt, dass man beim Tanzsport zwar nirgendwo extreme Werte brauche, aber eher von allem etwas: „Es braucht Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination.“
Welche Motivation hatte sie selbst, mit dem Tanzen anzufangen? „Bei mir begann alles spielerisch mit sechs Jahren“, erinnert sich die heute international tätige Wertungsrichterin, „eigentlich war ich eher ein faules Kind, aber schon in der Kindertanzschule war ich fasziniert von dieser Sportart. Das Hinausgehen auf das Parkett war für mich immer eine Freude.“In diesen zarten Anfängen lernte sie schon ihren späteren professionellen Tanzpartner Gschaider kennen. Übrigens 2016 auch ein „Dancing Star“-Sieger mit Verena Scheitz.
Was sich im Kopf beim Tanzen abspielt, kann man mit Fug und Recht als komplex bezeichnen: Nicht nur Tanzfanatiker, sondern auch Anfänger berichten von außergewöhnlichen Emotionen bei diesem intensiven Sport zu zweit. Stetig tropfender Schweiß bei ersten Tanzstunden ist vor allem bei Einsteigern zu beobachten – und kein Grund zum Schämen. Es gibt eigentlich keine Normen, beim Tanzen herrscht ein gewisses Freiheitsgefühl, das sich natürlich an die Musik, an bestimmte Bewegungsmuster anpassen muss. Und – an den Partner. „Es ist ein Rollenspiel, das sich da abspielt. Sich miteinander auf die Situation einzustellen, die Freude, wenn alles ineinandergreift, und den Flow zu spüren, das ist einzigartig“, sagt Stöckl. Die Wissenschaft hat schon längst die nachgewiesenen Vorteile des Tanzens auf Geist und Körper erkannt. Fazit: Sie ist überzeugt, dass Tanzen gesund, glücklich und sogar intelligent macht.
„Tanz und Rhythmus gehören zum Menschen wie die Sprache oder der aufrechte Gang“, sagt der Kognitionsforscher Tecumseh Fitch von der Universität Wien im „Spiegel“. Hinweise darauf lieferte eine Studie mit Neugeborenen, denen Amsterdamer Wissenschafter einen Rhythmus vorspielten und dabei immer wieder ein oder zwei Schläge ausließen. Die Hirnströme zeigten deutlich, dass die Babys den nächsten Beat regelrecht erwarteten. Mit etwa zehn Monaten – noch bevor viele von ihnen sprechen oder singen können – fangen Kinder spontan an, zu Musik zu tanzen, wie deutsche Forscher festgestellt haben.
Tanzen trainiert das Gehirn wie kaum eine andere Freizeitbeschäftigung. Die vielen Schritte und Figuren erfordern ein Höchstmaß an Konzentration und Koordination. Der Rhythmus der Musik aktiviert Hirnregionen, die auch für das Verarbeiten von Sprache zuständig sind. Außerdem schüttet der Körper beim Tanzen die Glückshormone Dopamin und Endorphin aus. Heilkraft mit Grooves also. Die Vielzahl der Reize bewirkt, dass das Gehirn auf ganz verschiedenen Ebenen und beidseitig stimuliert wird. Die komplizierten Drehungen und Schritte beim Tanzen können sogar dazu führen, dass das Volumen des Gehirns in einigen Bereichen zunimmt und zusätzliche neuronale Verbindungen entstehen. Siegfried Lehrl, Psychologe an der Universität Erlangen und Experte für Gehirnjogging, geht sogar noch einen Schritt weiter: „Bewegung beschleunigt das Gehirn zu maximaler Leistung.“
Bei einer außergewöhnlichen Reaktion rund um das Tanzen sind sich weltweit die Gesundheitsexperten ohnehin einig: Tanzen
hat eine heilende Wirkung. Eine Studie mit Parkinsonpatienten zeigt, dass das Zittern mithilfe von Tanztherapie gelindert werden kann. Automatisch ablaufende Bewegungen sind bei Parkinsonkranken eigentlich nicht mehr möglich. Beim Tanzen können Betroffene jedoch üben, diese Bewegungen wieder auszuführen. Tanzen fördert die Bildung neuer Nervenzellen bis ins hohe Alter. Damit lässt sich das Risiko, an Demenz zu erkranken, um etwa 20 Prozent senken. Die regelmäßige Bewegung im Rhythmus der Musik kann das Fortschreiten einer Demenz sogar aufhalten. Das Gleiche gilt für Depressionen. Außerdem sinkt der Wert des Hormons Cortisol und das befreit den Körper von Stress. Ohne Rezept.
Eine weitere durchaus positive Konsequenz für Tanzpaare stellt die erfahrene Tanzsporttrainerin Stöckl fest: Tanz habe nicht nur eine wichtige Funktion bei der Partnerwahl. Auch die Harmonie unter den Paaren werde durch Tanzerfahrungen gestärkt. „Wir haben Paare, die tanzen seit Jahrzehnten und berichten von einer harmonischen Ehe“, weiß Stöckl. Tanzen verbindet. „Tanzen wirkt wie ein sozialer Klebstoff“, bestätigt auch der Neurowissenschafter Fitch. Ein nicht zu unterschätzender Faktor in einer unruhigen Zeit mit CoronaAusgangsbeschränkungen und mehr Paartherapien. Tanzen wirkt. Also keine Hemmungen: Auf geht’s, zwei, drei, vier.