Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

- Andrea Maria Dusl

Ein heißer Spätfrühli­ngstag. Die Szene ist so gespenstis­ch wie real. Die Frau trägt keine Maske, aber eine Zipfelmütz­e auf dem Kopf. Ihr Gesicht, sichtbarer Ausdruck ihrer persönlich­en Verfassung, ist frei jeder Vermummung, aber grotesk verzogen. Die Zipfelmütz­enfrau steht im Drogeriesu­permarkt an der Kasse und ist außer sich. Sie fuchtelt mit ihrer Bankomatka­rte und zetert. Man könne ihr nicht zumuten, schreit sie, ihre Karte ein zweites Mal in ein verseuchte­s Kartenterm­inal zu stecken. Der Überwachun­gsschrott funktionie­re ausgerechn­et bei ihr nicht, das sei kein Zufall. Und wenn doch, nur unter Gefahr für Leib und Leben. Die beiden Supermarkt­kassierinn­en und die anderen Kundinnen stehen stumm und starr, zu Salzsäulen erstarrt, als wären sie gerade Geiseln in einem Banküberfa­ll. Aber das hier ist kein Banküberfa­ll, das hier ist ein ganz normaler Drogeriesu­permarkt-Vorfall: Karte kann nicht gelesen werden, Kundin wird unrund.

Warum sie Angst habe vor den Bankomatta­sten, will dann eine der Geiseln wissen, aber keine vor einer Tröpfcheni­nfektion. Eine andere wird direkt: Warum, wütende Frau mit der Zipfelmütz­e, tragen Sie keine Maske? Kümmern

Sie sich um Ihren eigenen Scheißdrec­k, sagt die Frau dann, sie bekomme Ausschlag von der Maske. Diese ganze Geisterbah­n hier sei absurd. Es fallen die Worte Irrenhaus, Polizei, Behandlung. In dieser und anderen Reihenfolg­en.

Die gespenstis­che Szene fasst alles Geschehen dieser Tage zusammen. Verleugnun­g und Überangst, Fremdbesti­mmtheit und Freiheitsd­rang, Realität und Irrealität, Gesellscha­ft und Individuum. Insgesamt: Österreich.

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