DIE ILLUSTRIERTE KOLUMNE
Ein heißer Spätfrühlingstag. Die Szene ist so gespenstisch wie real. Die Frau trägt keine Maske, aber eine Zipfelmütze auf dem Kopf. Ihr Gesicht, sichtbarer Ausdruck ihrer persönlichen Verfassung, ist frei jeder Vermummung, aber grotesk verzogen. Die Zipfelmützenfrau steht im Drogeriesupermarkt an der Kasse und ist außer sich. Sie fuchtelt mit ihrer Bankomatkarte und zetert. Man könne ihr nicht zumuten, schreit sie, ihre Karte ein zweites Mal in ein verseuchtes Kartenterminal zu stecken. Der Überwachungsschrott funktioniere ausgerechnet bei ihr nicht, das sei kein Zufall. Und wenn doch, nur unter Gefahr für Leib und Leben. Die beiden Supermarktkassierinnen und die anderen Kundinnen stehen stumm und starr, zu Salzsäulen erstarrt, als wären sie gerade Geiseln in einem Banküberfall. Aber das hier ist kein Banküberfall, das hier ist ein ganz normaler Drogeriesupermarkt-Vorfall: Karte kann nicht gelesen werden, Kundin wird unrund.
Warum sie Angst habe vor den Bankomattasten, will dann eine der Geiseln wissen, aber keine vor einer Tröpfcheninfektion. Eine andere wird direkt: Warum, wütende Frau mit der Zipfelmütze, tragen Sie keine Maske? Kümmern
Sie sich um Ihren eigenen Scheißdreck, sagt die Frau dann, sie bekomme Ausschlag von der Maske. Diese ganze Geisterbahn hier sei absurd. Es fallen die Worte Irrenhaus, Polizei, Behandlung. In dieser und anderen Reihenfolgen.
Die gespenstische Szene fasst alles Geschehen dieser Tage zusammen. Verleugnung und Überangst, Fremdbestimmtheit und Freiheitsdrang, Realität und Irrealität, Gesellschaft und Individuum. Insgesamt: Österreich.