Sanierungsoffensive als Turbo
Die „Sanierungsrate“wurde neu definiert, ein Steuermodell könnte Anreize setzen.
Die Prognosen der Wirtschaftsforscher lassen keine Jubelchöre aufkommen, ganz im Gegenteil. Impulse für die Wirtschaft sind in den nächsten Monaten notwendig wie nie. Einer davon könnte eine thermische Sanierungsoffensive im Wohnbau sein. Das würde nicht nur dem Klima helfen, sondern eben auch der Bauwirtschaft und den angeschlossenen Branchen.
Nun haben fünf Verbände (ARGE Qualitätsgruppe Wärmedämmsysteme, F.B.I. – Forschungsverband der österreichischen Baustoffindustrie, GDI 2050 – Gebäudehülle+Dämmstoff Industrie 2050, WKO – Fachverband der Stein- und keramischen Industrie und ZIB – Zentralverband Industrieller Bauproduktehersteller) zwei Studien in Auftrag gegeben, um einerseits Stand und Entwicklung der Sanierung in Österreich zu erheben, andererseits auch steuerliche Fördermaßnahmen zu entwickeln, um solche thermischen Maßnahmen zu unterstützen.
„Unser Ziel ist es, die Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig den Klimaschutz zu fördern“, sagt Wolfgang Amann, Geschäftsführer des IIBW Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH: „Dazu war es aus unserer Sicht notwendig, den Begriff ,Sanierungsrate‘ genau zu definieren.“In der neuen Definition fließen laut Wolfgang Schieder vom Umweltbundesamt die Faktoren Dach/oberste Geschoßdecke, Fenster, Fassadenfläche, Kellerdecke und Haustechnik/Heizung mit ein. Demnach berechnet sich die neue „Sanierungsrate“aus der Summe der umfassenden Sanierungen plus der Summe der äquivalenten Einzelmaßnahmen gebrochen durch den Gesamtbestand an Wohnungen. Der Vorteil dieser Methode liegt laut Amann in der Messbarkeit, im konkreten Bezug auf die Maßnahme, in der Möglichkeit einer sektoralen und regionalen Aufgliederung und in einer relativ raschen Auswertungszeit.
Basis der Zahlen sind laut Schieder die Mikrozensuserhebung, Branchenstatistiken zu Dämmstoffen, Fenstern und Heizungen, die einschlägige Wohnbauförderungsstatistik sowie Schätzungen zu ungeförderten Sanierungsmaßnahmen und Wohnraum ohne
Hauptwohnsitze. Die rückwirkende Berechnung der Sanierungsrate nach diesen Vorgaben für den Zeitabschnitt zwischen 2009 und 2018 zeigt, dass es im geförderten Bereich einen Rückgang von 1,8 Prozent auf
0,5 Prozent gab.
Im ungeförderten Bereich zeigt sich hingegen ein umgekehrtes Bild: Hier stieg die Sanierungsrate von knapp 0,4 Prozent im Jahr 2009 auf 1,0 Prozent 2018. Der Anstieg ist dabei nicht auf umfassende Sanierungen zurückzuführen, dieser Anteil stagnierte bei rund 0,2 Prozent, sondern auf Einzelmaßnahmen. Für Amann ist das ein Aufruf an die öffentliche Hand, jene sanierungsbereiten Eigentümer „abzuholen“und mit Fördermaßnahmen zu umfassenden Sanierungen zu bewegen. Über alle Sektoren gerechnet liege man derzeit bei einer Sanierungsrate von 1,4 Prozent, der Wert lag 2010 schon bei 2,1 Prozent. Die neue Berechnungsmethode liefere nun die Möglichkeit, zuverlässliche Zeitreihen darzustellen. Um die Klimaziele der Bundesregierung bis 2040 zu erreichen, sei jedenfalls kurzfristig eine
Sanierungsrate von 2,5 Prozent und mittelfristig von 3,0 Prozent notwendig.
Um dorthin zu gelangen, sei ein Bündel an Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen eine Reform des Wohnrechts für Miet- und Eigentumswohnungen, eine Ausweitung der Förderung auf alle Segmente und vor allem steuerliche Anreize für Eigenheim- und private Mietwohnungsbesitzer. Gerade auf den Bereich Eigenheime entfallen in Österreich 2,1 Millionen Wohnsitze. Da nach Meinung der Experten die bisherigen Ansätze zur Sanierungsförderung unzureichend sind und gerade bei Eigenheimen ein hohes Potenzial liegt, das aber schwer zu heben ist, könnten steuerliche Vorteil eine wichtige Möglichkeit sein.
„Die Sanierungskosten sollten von der Lohn- und Einkommensteuer absetzbar sein“, schlägt Walter Stingl von der Stingl Top Audit Steuerberatung GmbH in Wien vor. Die Erstellung eines Sanierungskonzepts durch die Energieberatung sollte demnach komplett steuerlich absetzbar sein. Wird eine umfassende Sanierung vorgenommen, die den Heizwärmebedarf oder die Gesamtenergieeffizienz um mehr als 60 Prozent verbessert, sollten 65 Prozent der Kosten absetzbar sein, bei Teilsanierungen sieht der Vorschlag eine Absetzbarkeit von 40 Prozent vor. Stingl: „Man sollte die Förderungen auch auf Eigentumswohnungen erweitern. Denn die derzeitigen Reserven für den Erhaltungsaufwand zielen nicht auf die Energieeffizienz ab, sondern auf bautechnische Aspekte.“
Damit alles steuerlich umgesetzt werden könne, sollte das jeweilige örtliche Bauamt die Einzelmaßnahmen bestätigen, da diese „einen direkten Bezug zum Objekt“hätten. Dies sei zielführender als eine Genehmigung durch das Finanzamt. Für Niedrigverdiener sieht das Konzept eine Negativsteuer vor. Die Kosten sollten in fünf Teilbeträgen in einem Zeitraum von fünf Jahren absetzbar sein. Ähnliche Steuermodelle sollten auch für Besitzer von privaten Mietwohnungen Anreiz für Sanierungen sein.
„Bisher gab es in den einzelnen Bundesländern oft sehr detailreiche Vorgaben für eine Förderung“, ergänzt Georg Bursik vom F.B.I.: „Eine solche umfassende Sanierung eines Eigenheims verursacht Gesamtkosten von 60.000 bis 80.000 Euro. Es gibt also nur eine sehr eingeschränkte Zahl von Besitzern, die sich das auch leisten kann.“
Für Amann ist das Maßnahmenpaket jedenfalls mit positiven Effekten für Umwelt und Wirtschaft verbunden. Es käme zu einer massiven Erhöhung der Sanierungsrate, einer Einsparung von zwei Millionen Tonnen CO2 innerhalb von zehn Jahren und einem zusätzlichen Bruttoproduktionswert von 2,6 Mrd. Euro pro Jahr. „Den steuerlichen Mindereinnahmen des Staates von 620 Mill. Euro würden zusätzliche Einnahmen aus Lohn- und Umsatzsteuer sowie eingesparter Arbeitslosenunterstützung von 790 Mill. Euro gegenüberstehen“, sagt Amann.
Ziel müsse es sein, nicht einfach eine Ölheizung durch eine Wärmepumpe zu ersetzen, sondern den „Energiehunger“zu reduzieren. Das sollte auch Antrieb für die Sanierung von privaten Häusern sein, denn rein wirtschaftlich rechnet sich eine solche Sanierung nicht. „Nur mit der Energieeinsparung lässt sich das nicht finanzieren, aber es geht schließlich auch um den dauerhaften Bestand des Gebäudes durch eine thermische Sanierung“, betont Amann.