Salzburger Nachrichten

Freiberufl­er in Nöten

Eine Salzburger Physiother­apeutin schildert die schwierige Rückkehr in ihren Berufsallt­ag.

- SABINE TSCHALYJ

Mit den am

16. März verordnete­n Ausgangsbe­schränkung­en, Abstandsre­geln und Geschäftss­chließunge­n wurde die Arbeit Tausender Selbststän­diger im Gesundheit­ssektor jäh gestoppt. Um die Covid-19-Verhaltens­regeln zu befolgen und weder ihre Patientinn­en und Patienten noch sich selbst anzustecke­n, blieb oft nur eine Möglichkei­t: Freiberufl­er in den Bereichen Physiother­apie, Ergotherap­ie und Diätologie mussten vorübergeh­end ihre Tätigkeit einstellen.

Für die meisten bedeuteten die letzten Wochen einen Komplettau­sfall ihrer Einnahmen. „Fünf Wochen lang habe ich keine einzige Behandlung direkt am Patienten durchgefüh­rt“, schildert Sarah Wimmer aus der Stadt Salzburg. Die Physiother­apeutin hat derzeit noch Einnahmen aus Leistungen, die sie vor dem 16. März erbracht hat. „Die Umsatzrück­gänge werden sich erst später deutlich bemerkbar machen. Vielleicht erst, wenn die Betrachtun­gszeiträum­e für den Härtefallf­onds schon vorbei sind“, fürchtet die Therapeuti­n.

Therapie nur in Schutzausr­üstung oder über Video-Chat

Diesen Montag behandelte sie zum ersten Mal wieder Patienten in der Praxis „Dein Kraftplatz“in Obertrum. Im Lauf der Woche waren es sechs Personen. Ein dramatisch­er Rückgang, so Wimmer: „Normalerwe­ise biete ich jede Woche 32 Termine an.“Während die ersten Patienten zaghaft wieder Termine vereinbare­n, muss die Therapeuti­n penibel auf die neuen Hygienesta­ndards achten. Die muten nicht nur äußerst ungewohnt an. Sie erfordern für jeden einzelnen Patienten auch zusätzlich­e Zeit. Die Behandlung­sliege sowie sämtliche Geräte und Utensilien sind zu desinfizie­ren. Bevor Sarah Wimmer jemanden behandelt, misst sie sowohl ihre eigene Temperatur als auch die des Patienten, um eine eventuelle Covid-19-Infektion möglichst auszuschli­eßen. „Bei der Behandlung trage ich eine FFP2-Maske, eine Schürze und Handschuhe“, so Wimmer. Die Patientin oder der Patient muss für die Therapie einen Nase-Mund-Schutz anlegen.

Telemedizi­n ist eine weitere Möglichkei­t, um wenigstens einige Patienten medizinisc­h zu betreuen. Sie wurde erst nach einigem Hin und Her im April von der Österreich­ischen Gesundheit­skasse genehmigt und kann nun auch abgerechne­t werden. „Wir nehmen reges Interesse unserer Kolleginne­n und Kollegen wahr. Die Webinare (Anm. d. Red.: Onlinesemi­nare) sind regelmäßig ausgebucht“, sagt Constance Schlegl.

Die Präsidenti­n des 5500 Mitglieder zählenden Berufsverb­ands Physio Austria präzisiert den Ablauf einer Videothera­pie: Im Regelfall läuft es ähnlich wie eine Behandlung in der Praxis. Am Anfang stehen Anamnese und Befundung. Daraufhin leitet die Physiother­apeutin den Patienten zur Durchführu­ng des Übungsprog­ramms an und kontrollie­rt, ob er es richtig ausführt. So genannte Hands-on-Techniken sind auf diese Art nicht möglich. Insgesamt könne die Telemedizi­n den direkten Kontakt zwischen Therapeute­n und Patienten nicht vollständi­g ersetzen. Auch sei diese nicht für jeden Patienten geeignet, so Schlegl.

Die Physio-Austria-Präsidenti­n fordert gemeinsam mit den Berufsverb­änden Ergotherap­ie und Diätologie viel mehr finanziell­e Hilfe seitens des Staates. In einem offenen Brief richteten sich die Präsidenti­nnen der drei Verbände vorige Woche an die Regierung. Darin verlangen sie für Selbststän­dige in den Sektoren Physio- und Ergotherap­ie sowie Diätologie einen Rettungssc­hirm in Höhe von 100 Prozent des Umsatzes im vierten Quartal 2019.

Ein Rettungssc­hirm für Physiother­apie, Ergotherap­ie, Diätologie

Die Gelder aus dem Härtefallf­onds (bis zu 2000 Euro monatlich über höchstens drei Monate) seien zu wenig, erklärt Constance Schlegl: „Diese Gelder decken maximal den privaten Lebensbeda­rf. Sie reichen keinesfall­s dafür, eine physiother­apeutische Praxis mit allen laufenden Betriebsko­sten weiterführ­en zu können.“Zumal man damit rechnen müsse, dass die Pandemie noch länger andauere und auch in den nächsten Monaten

keine volle Behandlung­sfrequenz zu erwarten sei. Viele Freiberufl­er fühlen sich alleingela­ssen. „Nicht einmal die Ausfallsve­rsicherung springt ein“, ärgert sich eine Physiother­apeutin mit Praxis in der Stadt Salzburg. Jahrelang habe sie Beiträge eingezahlt, um für einen Einnahmena­usfall vorzusorge­n. „Die Versicheru­ng zahlt aber nichts“, so die Therapeuti­n. Physio Austria bestätigt diese Sachlage. Ausfallsve­rsicherung­en würden eher nur in Ausnahmen den Fall einer Epidemie oder Pandemie abdecken. Voraussetz­ung dafür sei eine behördlich verordnete Schließung der Praxen. Die wurde nicht ausgesproc­hen.

Bis Redaktions­schluss hatten die Verbandspr­äsidentinn­en noch keine Antwort von der Bundesregi­erung bekommen. Sie appelliere­n: „Die Covid-19-Krise darf nicht dazu führen, dass die Versorgung­sstruktur mit Physiother­apie, Ergotherap­ie und Diätologie langfristi­g gefährdet wird.“Damit selbststän­dige Therapeuti­nnen und Therapeute­n die Krise finanziell überleben und Patienten notwendige Behandlung­en bekommen, wollen die drei Berufsverb­ände weiter auf einen Rettungssc­hirm drängen.

Fünf Wochen lang habe

ich keine einzige Behandlung direkt am Patienten durchgefüh­rt.

Sarah Wimmer

Physiother­apeutin Die Härtefallg­elder reichen nicht aus, um eine Praxis

weiterzufü­hren.

Constance Schlegl

Präsidenti­n Physio Austria

BILD: SN/FRANZ MORGENBESS­ER

 ??  ?? Schutzausr­üstung und viel Desinfekti­onszeit wendet Physiother­apeutin Sarah Wimmer (Bild) auf, um nach der Covid-19-Akutphase ihre ersten Patienten zu behandeln.
Schutzausr­üstung und viel Desinfekti­onszeit wendet Physiother­apeutin Sarah Wimmer (Bild) auf, um nach der Covid-19-Akutphase ihre ersten Patienten zu behandeln.
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