Impfstoff muss ein globales öffentliches Gut sein
Im Lauf der vergangenen Wochen habe ich mich mit vielen Experten über Covid-19 unterhalten. Vieles weist deutlich darauf hin, dass diese Krankheit auf mehrere Arten diskriminiert: Sie tötet mehr Alte als Junge, mehr Männer als Frauen und betrifft Arme überproportional. Aber eines lässt sich nicht nachweisen: dass Covid-19 aufgrund der Nationalität diskriminiert. Das Virus kümmert sich nicht um Grenzen.
Ich erwähne das, denn seit sich die Welt Anfang des Jahres der Gefahr des Virus bewusst wurde, haben sich die Regierungen vor allem auf eine nationale Antwort konzentriert: Wie können die Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen leben, geschützt werden? Das ist nachvollziehbar. Aufgrund der hohen Infektiosität und der weiten Verbreitung dieses Virus muss den Verantwortlichen jedoch bewusst werden, dass es Menschen überall betrifft, solange SARS-CoV-2 existiert.
Bis jetzt hat das Virus viele Entwicklungsund Schwellenländer noch nicht besonders schwer getroffen. Wir wissen nicht genau, warum das so ist. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass sich die Krankheit letztendlich in diesen Ländern heftig ausbreiten wird. Die Fallzahlen und Todesraten werden das bisher Gesehene weit übertreffen.
Stellen Sie sich nun Folgendes vor: Covid-19 hat Metropolen wie New York an ihre Kapazitätsgrenzen geführt. Man kann davon ausgehen, dass ein einziges Krankenhaus in Manhattan über mehr Intensivbetten verfügt als die meisten Länder Afrikas. Millionen Menschen könnten sterben.
Sie müssen nicht in einem Entwicklungsland leben, um Angst davor zu haben, selbst davon betroffen zu sein. Auch wenn es wohlhabenden Nationen in den kommenden Monaten gelingen sollte, die Krankheit einzudämmen, könnte sie wieder aufflammen, solange die Pandemie anderswo aktiv bleibt. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein Teil unseres Planeten einen anderen erneut infiziert.
Aus diesem Grund bedarf es einer globalen Vorgehensweise im Kampf gegen die Krankheit. Es sind zumindest drei Schritte, die die Verantwortlichen in den Regierungen – insbesondere jene der G20 – sofort setzen können.
Der erste Schritt ist, sicherzustellen, dass die weltweiten Ressourcen für den Kampf gegen die Pandemie – Masken, Handschuhe, Virustests und dergleichen – wirksam verteilt werden. Da das weltweite Angebot begrenzt ist, müssen schwierige Entscheidungen klug und intelligent gefällt werden. Leider passiert dies gegenwärtig nicht immer.
In manchen Punkten sind sich Politiker mittlerweile einig – dass zum Beispiel Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die in direktem Kontakt zu den Kranken stehen, zuallererst getestet werden und bevorzugt Zugang zu Schutzausrüstung haben sollen. Denken Sie jedoch an die Entscheidungen, die auf höherer Ebene zu treffen sind.
Wie werden Masken und Tests in der einen Stadt oder der einen Nation verteilt, wie in der anderen? Derzeit läuft das oft auf eine beunruhigende Frage hinaus: Wer bietet am meisten? Ich bin ein großer Verfechter des Kapitalismus – aber manche Märkte funktionieren einfach nicht während einer Pandemie, und der Markt für lebenserhaltende Produkte gehört zweifelsohne dazu.
Ressourcen müssen so eingesetzt werden, dass gesundheitsrelevante und medizinische Bedürfnisse abgedeckt sind. Experten, die bereits gegen die Ebola- und HIV-Epidemien angekämpft haben, könnten nun helfen, Empfehlungen zu erstellen. Die Regierungen von Industrienationen wie auch Entwicklungsländern sollten diese Richtlinien gemeinsam mit der WHO und deren Partnern ausverhandeln.
Die beteiligten Länder sollten sich öffentlich zu diesen Richtlinien bekennen. Besondere Bedeutung wird diesen Vereinbarungen beigemessen werden, sobald ein Covid-19-Impfstoff zur Verfügung steht. Der einzige Weg, dieser Pandemie beizukommen, führt über die Immunisierung der Weltbevölkerung. Das bringt mich zum zweiten Schritt, den Führungskräfte setzen müssen: die Finanzierung der Forschung und der Entwicklung eines Impfstoffs.
Es gibt nur wenig Positives über Covid-19 zu berichten, mit einer Ausnahme: der Wissenschaft. Vor drei Jahren gründete unsere Stiftung Wellcome Trust mit einigen Staatsregierungen die Coalition for Epidemic Preparedness Innovation – CEPI (Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung), mit dem Ziel, die Testphase von Impfstoffen zu verkürzen und in erster Linie eine neue, schnellere Entwicklung von Impfstoffen zu finanzieren. Wir wollten vorbereitet sein, sollte sich ein neuartiges Virus auf der Welt verbreiten.
CEPI arbeitet bereits an der Entwicklung von acht möglichen Seren gegen Covid-19. Die Wissenschafter sind zuversichtlich, innerhalb von 18 Monaten zumindest einen Impfstoff zur Verfügung stellen zu können.
Diese Zeitleiste hängt jedoch von der Finanzierung ab. Viele Staaten haben in den vergangenen zwei Wochen CEPI finanziell unterstützt, aber die Koalition benötigt zumindest zwei Milliarden US-Dollar, um ihre Arbeit fortzusetzen. Das ist eine grobe Schätzung – Innovation lässt sich nicht berechnen –, aber die G20 sollte jetzt unmissverständliche Zusagen machen.
Es muss klar sein, dass diese Summen lediglich zur Entwicklung eines Impfstoffs gebraucht werden und nicht zu dessen Herstellung und Auslieferung. Dafür werden noch weitere Mittel und Projektierungen nötig sein. Und das ist der dritte Punkt, über den sich die G20 Gedanken machen muss. Zum einen wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welcher der in Entwicklung befindlichen Impfstoffe am effizientesten sein wird, und jedes Serum verlangt nach einem individuellen Herstellungsverfahren. Daher müssen Staaten schon jetzt eine Vielzahl verschiedener Produktionsanlagen errichten, im Bewusstsein, dass einige davon niemals in Gebrauch genommen werden. Andernfalls würde es nach erfolgreicher Entwicklung Monate dauern, bis ein Hersteller seine Anlage aufrüstet – was eine immense Zeitvergeudung wäre.
Gleichzeitig muss jeglicher Covid-19-Impfstoff als „globales öffentliches Gut“deklariert werden, das erschwinglich und für jedermann zugänglich ist. Glücklicherweise gibt es Organisationen wie die Impfallianz Gavi, die Entwicklungsund Schwellenländern den Zugang zu überlebenswichtigen Impfstoffen ermöglicht.
Gavi konnte in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Kooperation mit der WHO und UNICEF – und dank beträchtlicher Unterstützung von Großbritannien – den 73 ärmsten Ländern der Welt 13 neue Impfstoffe, darunter auch die Ebola-Impfung, zur Verfügung stellen. Die Organisation wäre in der Lage, das auch mit einem Covid-19-Impfstoff zu tun – doch dazu sind weitere finanzielle Mittel nötig.
Konkret veranschlagt Gavi für die nächsten fünf Jahre 7,4 Mrd. US-Dollar – allein um ihre gegenwärtigen Immunisierungsinitiativen fortführen zu können. Zusätzlich einen Covid-19Impfstoff zu liefern wird noch mehr Geld erfordern. Diese Summen mögen riesig erscheinen – vor allem in einer Zeit, in der ganze Wirtschaftssysteme zum Erliegen kommen. Aber sie machen sich verschwindend klein aus im Vergleich zu einer vermasselten Immunisierungskampagne und einem langfristigen Wüten der Krankheit.
Seit 20 Jahren bitte ich Staatenlenker, in die Gesundheit der ärmsten Weltbevölkerung zu investieren. Ich habe immer angeführt, dass dies der richtige Weg sei – und er ist der richtige. Pandemien führen uns vor Augen, dass es nicht nur richtig ist, anderen zu helfen, sondern auch ziemlich klug.
Die Menschheit ist nicht nur durch gemeinsame Werte und soziale Beziehungen miteinander verbunden. Wir sind auch biologisch verlinkt – durch ein mikroskopisch kleines Netzwerk, das die Gesundheit eines einzelnen mit der Gesundheit aller Menschen verbindet.
Durch diese Pandemie sind wir alle miteinander verbunden. Unsere Antwort darauf muss es ebenso sein.
Bill Gates
gründete 1975 gemeinsam mit Paul Allen das Unternehmen Microsoft und gilt infolgedessen heute mit einem geschätzten Vermögen von 110 Milliarden US-Dollar als einer der reichsten Menschen der Welt. 2008 hat er sich jedoch aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und ist seither über die von ihm und seiner Frau gegründete, wohltätige Bill & Melinda Gates Foundation hauptsächlich als Philanthrop aktiv.