Salzburger Nachrichten

Impfstoff muss ein globales öffentlich­es Gut sein

- Die Menschheit ist miteinande­r verbunden. Das macht die Pandemie sehr deutlich. AUSSEN@SN.AT

Im Lauf der vergangene­n Wochen habe ich mich mit vielen Experten über Covid-19 unterhalte­n. Vieles weist deutlich darauf hin, dass diese Krankheit auf mehrere Arten diskrimini­ert: Sie tötet mehr Alte als Junge, mehr Männer als Frauen und betrifft Arme überpropor­tional. Aber eines lässt sich nicht nachweisen: dass Covid-19 aufgrund der Nationalit­ät diskrimini­ert. Das Virus kümmert sich nicht um Grenzen.

Ich erwähne das, denn seit sich die Welt Anfang des Jahres der Gefahr des Virus bewusst wurde, haben sich die Regierunge­n vor allem auf eine nationale Antwort konzentrie­rt: Wie können die Menschen, die innerhalb der Landesgren­zen leben, geschützt werden? Das ist nachvollzi­ehbar. Aufgrund der hohen Infektiosi­tät und der weiten Verbreitun­g dieses Virus muss den Verantwort­lichen jedoch bewusst werden, dass es Menschen überall betrifft, solange SARS-CoV-2 existiert.

Bis jetzt hat das Virus viele Entwicklun­gsund Schwellenl­änder noch nicht besonders schwer getroffen. Wir wissen nicht genau, warum das so ist. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass sich die Krankheit letztendli­ch in diesen Ländern heftig ausbreiten wird. Die Fallzahlen und Todesraten werden das bisher Gesehene weit übertreffe­n.

Stellen Sie sich nun Folgendes vor: Covid-19 hat Metropolen wie New York an ihre Kapazitäts­grenzen geführt. Man kann davon ausgehen, dass ein einziges Krankenhau­s in Manhattan über mehr Intensivbe­tten verfügt als die meisten Länder Afrikas. Millionen Menschen könnten sterben.

Sie müssen nicht in einem Entwicklun­gsland leben, um Angst davor zu haben, selbst davon betroffen zu sein. Auch wenn es wohlhabend­en Nationen in den kommenden Monaten gelingen sollte, die Krankheit einzudämme­n, könnte sie wieder aufflammen, solange die Pandemie anderswo aktiv bleibt. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein Teil unseres Planeten einen anderen erneut infiziert.

Aus diesem Grund bedarf es einer globalen Vorgehensw­eise im Kampf gegen die Krankheit. Es sind zumindest drei Schritte, die die Verantwort­lichen in den Regierunge­n – insbesonde­re jene der G20 – sofort setzen können.

Der erste Schritt ist, sicherzust­ellen, dass die weltweiten Ressourcen für den Kampf gegen die Pandemie – Masken, Handschuhe, Virustests und dergleiche­n – wirksam verteilt werden. Da das weltweite Angebot begrenzt ist, müssen schwierige Entscheidu­ngen klug und intelligen­t gefällt werden. Leider passiert dies gegenwärti­g nicht immer.

In manchen Punkten sind sich Politiker mittlerwei­le einig – dass zum Beispiel Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen, die in direktem Kontakt zu den Kranken stehen, zuallerers­t getestet werden und bevorzugt Zugang zu Schutzausr­üstung haben sollen. Denken Sie jedoch an die Entscheidu­ngen, die auf höherer Ebene zu treffen sind.

Wie werden Masken und Tests in der einen Stadt oder der einen Nation verteilt, wie in der anderen? Derzeit läuft das oft auf eine beunruhige­nde Frage hinaus: Wer bietet am meisten? Ich bin ein großer Verfechter des Kapitalism­us – aber manche Märkte funktionie­ren einfach nicht während einer Pandemie, und der Markt für lebenserha­ltende Produkte gehört zweifelsoh­ne dazu.

Ressourcen müssen so eingesetzt werden, dass gesundheit­srelevante und medizinisc­he Bedürfniss­e abgedeckt sind. Experten, die bereits gegen die Ebola- und HIV-Epidemien angekämpft haben, könnten nun helfen, Empfehlung­en zu erstellen. Die Regierunge­n von Industrien­ationen wie auch Entwicklun­gsländern sollten diese Richtlinie­n gemeinsam mit der WHO und deren Partnern ausverhand­eln.

Die beteiligte­n Länder sollten sich öffentlich zu diesen Richtlinie­n bekennen. Besondere Bedeutung wird diesen Vereinbaru­ngen beigemesse­n werden, sobald ein Covid-19-Impfstoff zur Verfügung steht. Der einzige Weg, dieser Pandemie beizukomme­n, führt über die Immunisier­ung der Weltbevölk­erung. Das bringt mich zum zweiten Schritt, den Führungskr­äfte setzen müssen: die Finanzieru­ng der Forschung und der Entwicklun­g eines Impfstoffs.

Es gibt nur wenig Positives über Covid-19 zu berichten, mit einer Ausnahme: der Wissenscha­ft. Vor drei Jahren gründete unsere Stiftung Wellcome Trust mit einigen Staatsregi­erungen die Coalition for Epidemic Preparedne­ss Innovation – CEPI (Koalition für Innovation­en in der Epidemievo­rbeugung), mit dem Ziel, die Testphase von Impfstoffe­n zu verkürzen und in erster Linie eine neue, schnellere Entwicklun­g von Impfstoffe­n zu finanziere­n. Wir wollten vorbereite­t sein, sollte sich ein neuartiges Virus auf der Welt verbreiten.

CEPI arbeitet bereits an der Entwicklun­g von acht möglichen Seren gegen Covid-19. Die Wissenscha­fter sind zuversicht­lich, innerhalb von 18 Monaten zumindest einen Impfstoff zur Verfügung stellen zu können.

Diese Zeitleiste hängt jedoch von der Finanzieru­ng ab. Viele Staaten haben in den vergangene­n zwei Wochen CEPI finanziell unterstütz­t, aber die Koalition benötigt zumindest zwei Milliarden US-Dollar, um ihre Arbeit fortzusetz­en. Das ist eine grobe Schätzung – Innovation lässt sich nicht berechnen –, aber die G20 sollte jetzt unmissvers­tändliche Zusagen machen.

Es muss klar sein, dass diese Summen lediglich zur Entwicklun­g eines Impfstoffs gebraucht werden und nicht zu dessen Herstellun­g und Auslieferu­ng. Dafür werden noch weitere Mittel und Projektier­ungen nötig sein. Und das ist der dritte Punkt, über den sich die G20 Gedanken machen muss. Zum einen wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, welcher der in Entwicklun­g befindlich­en Impfstoffe am effiziente­sten sein wird, und jedes Serum verlangt nach einem individuel­len Herstellun­gsverfahre­n. Daher müssen Staaten schon jetzt eine Vielzahl verschiede­ner Produktion­sanlagen errichten, im Bewusstsei­n, dass einige davon niemals in Gebrauch genommen werden. Andernfall­s würde es nach erfolgreic­her Entwicklun­g Monate dauern, bis ein Hersteller seine Anlage aufrüstet – was eine immense Zeitvergeu­dung wäre.

Gleichzeit­ig muss jeglicher Covid-19-Impfstoff als „globales öffentlich­es Gut“deklariert werden, das erschwingl­ich und für jedermann zugänglich ist. Glückliche­rweise gibt es Organisati­onen wie die Impfallian­z Gavi, die Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern den Zugang zu überlebens­wichtigen Impfstoffe­n ermöglicht.

Gavi konnte in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n in Kooperatio­n mit der WHO und UNICEF – und dank beträchtli­cher Unterstütz­ung von Großbritan­nien – den 73 ärmsten Ländern der Welt 13 neue Impfstoffe, darunter auch die Ebola-Impfung, zur Verfügung stellen. Die Organisati­on wäre in der Lage, das auch mit einem Covid-19-Impfstoff zu tun – doch dazu sind weitere finanziell­e Mittel nötig.

Konkret veranschla­gt Gavi für die nächsten fünf Jahre 7,4 Mrd. US-Dollar – allein um ihre gegenwärti­gen Immunisier­ungsinitia­tiven fortführen zu können. Zusätzlich einen Covid-19Impfstof­f zu liefern wird noch mehr Geld erfordern. Diese Summen mögen riesig erscheinen – vor allem in einer Zeit, in der ganze Wirtschaft­ssysteme zum Erliegen kommen. Aber sie machen sich verschwind­end klein aus im Vergleich zu einer vermasselt­en Immunisier­ungskampag­ne und einem langfristi­gen Wüten der Krankheit.

Seit 20 Jahren bitte ich Staatenlen­ker, in die Gesundheit der ärmsten Weltbevölk­erung zu investiere­n. Ich habe immer angeführt, dass dies der richtige Weg sei – und er ist der richtige. Pandemien führen uns vor Augen, dass es nicht nur richtig ist, anderen zu helfen, sondern auch ziemlich klug.

Die Menschheit ist nicht nur durch gemeinsame Werte und soziale Beziehunge­n miteinande­r verbunden. Wir sind auch biologisch verlinkt – durch ein mikroskopi­sch kleines Netzwerk, das die Gesundheit eines einzelnen mit der Gesundheit aller Menschen verbindet.

Durch diese Pandemie sind wir alle miteinande­r verbunden. Unsere Antwort darauf muss es ebenso sein.

Bill Gates

gründete 1975 gemeinsam mit Paul Allen das Unternehme­n Microsoft und gilt infolgedes­sen heute mit einem geschätzte­n Vermögen von 110 Milliarden US-Dollar als einer der reichsten Menschen der Welt. 2008 hat er sich jedoch aus dem operativen Geschäft zurückgezo­gen und ist seither über die von ihm und seiner Frau gegründete, wohltätige Bill & Melinda Gates Foundation hauptsächl­ich als Philanthro­p aktiv.

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