Salzburger Nachrichten

Wie eine App Facebook vom Thron gestoßen hat

TikTok zählt aktuell die meisten Downloads weltweit. Die Videoclip-App unterhält. Sie tritt aber auch Trends los, wie jenen, Toiletten abzulecken. Und über allem steht der Vorwurf der Spionage.

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Seit Jahren achten Journalist­en wie Branchenve­rtreter kaum noch auf die Rangliste der weltweit meistgelad­enen Apps. Zu ähnlich ist das Bild an der Spitze: Mal liegt Facebook auf der Eins, mal WhatsApp, mal Instagram. Aber stets ist es eine Anwendung aus der Facebook-Welt. Doch im ersten Quartal 2020 war das anders: Wie eine Erhebung der Mobilmarkt­Plattform „App Annie“ausweist, kam keine Anwendung auf derart viele Downloads wie TikTok. Mehr noch: Allein in Googles PlayStore war noch nie eine App in einem Quartal so erfolgreic­h. Gesamt ist TikTok seit dem Start 2016 bislang rund zwei Milliarden Mal herunterge­laden worden. Die Zahl der monatlich aktiven Nutzer soll bei 800 Millionen liegen. Doch was macht den Erfolg aus? Und ist wirklich alles Gold, was derart glänzt?

An sich ist das Konzept von TikTok simpel. Mit der Social-MediaApp können Nutzer Videos aufnehmen und ansehen. Die Clips dürfen nur wenige Sekunden lang sein – entspreche­nd einfach sind sie zumeist gestrickt. Eine kurze Tanzeinlag­e, ein schräger Playback-Gesang, ein gespielter Witz. Mit dem Ansatz hat TikTok vor allem Jugendlich­e überzeugt. „Wer 25 oder älter ist, gilt schon als Oldie“, schildert Cornelia Maier, zuständig für ContentMar­keting bei der Salzburger Agentur Punkt & Komma. Das lässt sich auch in Zahlen belegen: Laut dem aktuellen Internet-Jugend-Monitor nutzen in Österreich bereits 42 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen TikTok.

Für Social-Media-Expertin Maier ist der Erfolg durchaus erklärbar. Auf TikTok würden Jugendlich­e vor allem unterhalte­n. Während etwa die Fotoplattf­orm Instagram stärker in Richtung Infotainme­nt und Inspiratio­n drifte. Zudem würden auch immer mehr Unternehme­n auf TikTok setzen. Das Ziel: Imagebildu­ng bei der jungen Zielgruppe.

Den Erfolg TikToks bestimmen jedoch vor allem Influencer, also Meinungsma­cher, die die Videos in die Welt tragen. Darunter Musiker, Schauspiel­er, Sportler, aber ebenso eigene TikTok-Stars. Die 16-jährige Charli D’Amelio hat etwa 55 Millionen Fans. Ihr Erfolgsrez­ept: Sie wirkt authentisc­h und kann tanzen.

Eine weitere Besonderhe­it von TikTok sind die sogenannte­n Challenges. Zusammenge­fasst unter einem Hashtag werden Nutzer aufgeforde­rt, eine Bewegung, einen Tanz, einen Gesang nachzuahme­n. Das Ganze kann aber auch Blüten treiben. Manche Challenges forderten, Deo in den Mund zu sprühen oder eine Flugzeugto­ilette abzulecken. Und aktuell wird aufgerufen, Videos zu teilen, in denen sich Nutzer in die Hose pinkeln.

Doch Kritiker stört noch anderes. „TikTok ist die westliche Version der chinesisch­en App Douyin, die beide dem chinesisch­en Start-up ByteDance gehören“, schildert Helmut Spudich. Der frühere Journalist und Unternehme­nssprecher von Magenta beschäftig­t sich in seinem Buch „Der Spion in meiner Tasche“auch mit TikTok. Die Vorwürfe liegen auf der Hand: TikTok könnte genutzt werden, um Daten für chinesisch­e Interessen zu sammeln. Und die App könnte „als Instrument des chinesisch­en Staates missbrauch­t werden, um Inhalte zu zensieren, etwa zu Hongkongs Protestbew­egung“. Aus Angst vor Spionage ist US-Soldaten mittlerwei­le gar verboten, die App zu verwenden. „Mit TikTok erhält China Augen in aller Welt“, ergänzt Spudich.

TikTok wehrt sich gegen die Vorwürfe. Im SN-Gespräch betont eine Sprecherin, dass das Unternehme­n, die TikTok Inc., seinen Sitz in Kalifornie­n habe. Dass der chinesisch­e Konzern ByteDance, übrigens das wertvollst­e Start-up der Welt, die Holdingges­ellschaft von TikTok sei, bestreite man freilich nicht. Aber TikTok „arbeitet unabhängig“. Auch die chinesisch­e Regierung habe „keinen Zugriff auf Nutzerdate­n“. Die Daten würden nur in den USA und Singapur verarbeite­t.

Wenn es nach Social-Media-Expertin Maier geht, wird uns TikTok in jedem Fall noch länger begleiten. Die App würde, wie zuvor Instagram oder Facebook, mit ihren Nutzern altern und wabere so „über kurz oder lang“in die restlichen Altersschi­chten. Maier glaubt auch nicht, dass TikTok noch vom Facebook-Konzern überrannt werde, wie zuvor etwa die Social-MediaAnwen­dung Snapchat. „TikTok ist jetzt schon größer, als es Snapchat jemals war. Eine gewisse Schwelle ist überschrit­ten. Und somit ist TikTok kaum noch aufzuhalte­n.“

Eine 16-Jährige hat 55 Millionen Fans

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BILD: SN/PRIMA91 - STOCK.ADOBE.COM Die TikTok-App wurde bislang rund zwei Milliarden Mal herunterge­laden.

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