Hängt in der Luft
Abgesagte Sommerjobs und Berufspraktika, weniger Lehrstellen und überproportional steigende Arbeitslosigkeit: Die Jugend trifft die Coronakrise besonders hart.
Für Lea Stauffer wäre im Juni ein Traum wahr geworden. Drei Monate hätte die 17-jährige HLWSchülerin aus Salzburg auf der spanischen Ferieninsel Menorca verbracht, um dort in einem Hotel ihr Berufspraktikum zu absolvieren. Dann kam Corona und nichts davon blieb übrig. Nicht einmal in Österreich. Auf „ganz viele Bewerbungen“für einen Ersatzpraktikumsplatz habe sie „ganz viele Absagen erhalten“, berichtet die 17-Jährige. Das Hauptargument der Betriebe: Man wisse nicht, wann man wieder aufsperre, und überhaupt, die Situation sei gerade zu schwierig. Die Schülerin steht damit vor der Tatsache, dass es für sie heuer wohl keinen Praktikumsplatz geben wird. Und diese Chance, einen ersten Schritt in die Berufswelt zu tun, verlieren derzeit ganz viele Junge.
„Es hagelt Absagen, Absagen, Absagen“, sagt vida-Gewerkschafter Berend Tusch, der mittlerweile für ein Komplettaussetzen der diesjährigen Pflichtpraktika eintritt. „Damit hätten alle die gleichen Verhältnisse.“Im Bildungsministerium hält man an einem Sowohl-alsauch fest: Wer einen Praktikumsplatz habe, solle ihn antreten, wer nicht, der könne auch ohne ihn die Ausbildung abschließen. Allerdings müsse man nachweisen, dass man sich um einen Platz bemüht habe. So sammelt Lea Stauffer derzeit ihre Absagen, um beweisen zu können, dass sie nicht gewollt wird.
Frust und Enttäuschung aus der Berufswelt prägen neben dem einsamen E-Learning derzeit den Alltag vieler Jugendlicher in Österreich. Auch bei den Sommerjobs häufen sich die „Leider nein“-Briefe, selbst wenn es schon eine Zusage gab. Die Jugendinfo Akzente Salzburg, die eine Jobbörse betreibt, hat alle 56 Firmen, die Stellen anbieten, angeschrieben. Immer öfter heiße es, „bitte mal ruhend stellen“oder „bitte ganz löschen“, sagt Mitarbeiterin Bettina Berger. „Es läuft gerade schleppend, es zeichnet sich ab, dass das Angebot weniger wird.“Einige, wie etwa die Post, würden jedoch weiterhin Jobs in unbegrenzter Zahl anbieten. „Die meisten Betriebe aber warten irgendwie ab“, sagt Berger. Die Jobbörse sei jedenfalls offen, interessierte Betriebe könnten sich gratis eintragen.
Auch bei den Lehrstellen dünnt sich das Angebot zusehends aus. Im April erreichten die Wirtschaftskammer Salzburg aus den Betrieben um 15 bis 20 Prozent weniger Anmeldungen für Lehrstellen als im April des Vorjahres. „Den Unternehmen fehlt einfach die Planungssicherheit“, betont der Lehrlingsbeauftragte Norbert Hemetsberger. Dabei habe man seit 2016 und nach einer Delle in der Finanzkrise wieder einen stetigen Zuwachs bei den Lehrstellen gehabt.
Geradezu dramatisch hat sich zuletzt die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich entwickelt. 61.216 Jugendliche unter 25 Jahren waren Ende April ohne Job, zeigen Zahlen des AMS. Das sind mehr als doppelt so viele als ein Jahr zuvor. Gab es in der Gesamtbevölkerung eine Zunahme von 76 Prozent, sind es bei Jugendlichen 109 Prozent. Johann Bacher, Professor für empirische Sozialforschung an der JohannesKepler-Universität Linz, befürchtet, dass diese Zahlen bald noch weiter auseinanderklaffen werden. Er rechnet bis Jahresende mit 80.000 arbeitslosen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren. Die Arbeitslosigkeit würde sich laut Prognose – berechnet nach internationaler Definition – von 8,4 auf 15,3 Prozent erhöhen. „Wie sich der Arbeitsmarkt für Jugendliche entwickelt, bereitet uns Sorgen“, sagt Bacher und verweist auf langfristige ökonomische Folgen. „Wenn man in jungen Jahren erwerbslos ist, hat das meist dauerhafte Einkommensverluste zur Folge. Viele holen das nie mehr auf“, sagt Bacher. Hinzu kämen die sozialen und gesundheitlichen Folgen.
„Arbeitslosigkeit bei Menschen, die noch gar nicht gearbeitet haben, hat weitaus dramatischere psychische Folgen als bei Leuten, die bereits einen Job hatten“, erklärt Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung. „Wenn junge Leute in dieser wichtigen Lebensphase das Gefühl haben, dass sie keiner braucht, führt das oft zu eklatanten Selbstbewusstseinskrisen.“Die Erfahrung der Zurückweisung führe oft zur nachhaltigen Beeinträchtigung und misstrauischen Menschen, die sich betrogen fühlen. „Und die anfälliger sind für populistische politische Konzepte.“
Laut der aktuellen Jugendwertestudie des Instituts hat sich der Blick in die Zukunft für fast 50 Prozent der Österreicher im Alter zwischen 16 und 29 Jahren verdunkelt. Besonders düster ist der Blick bei jenen mit mittlerer oder niedriger Bildung und bei den unter 20-Jährigen. 80 Prozent der Befragten fürchten sich vor einer Weltwirtschaftskrise. Zwei Drittel haben Angst vor einer Massenarbeitslosigkeit. „Junge Menschen sehen sehr deutlich, dass sie zu den Hauptbetroffenen der Krise zählen werden“, sagt der Jugendforscher.
Bei den Sozialberatungsstellen der Caritas steigen die Anfragen von betroffenen Jugendlichen. „Es kommen Jugendliche, die ihre Lehrstellen nicht wie geplant beginnen können. Sie hängen in der Luft und wissen nicht, ob sie überhaupt jemals ihre Lehre anfangen können, weil ungewiss ist, ob die Firma die Krise übersteht“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau. Junge Menschen treffe die Krise hart. „Weil die Jobchancen für Schulabsolventen stark reduziert, Lehrstellen nur begrenzt verfügbar sind und jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern häufig schneller gekündigt wird.“Die Caritas fordert einen Beschäftigungsscheck für Jugendliche in der Höhe des durchschnittlichen Jahresarbeitslosengeldes, der bei Betrieben eingelöst werden kann.
Ein umfassendes Jugendrettungspaket fordert die Arbeiterkammer, darunter eine Jobgarantie für 19- bis 24-Jährige. Ähnlich der Aktion 20.000 sollen Betriebe, die junge Erwachsene anstellen, eine Förderung erhalten. Zudem sollen die Kürzungen der Ausbildungsbeihilfen in der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung zurückgenommen werden. „Wir müssen alles tun, um dieser Generation zu helfen, damit sie nicht verloren geht“, betont die AK-Bildungschefin in Salzburg, Hilla Lindhuber.