Darüber sollte doch sachlich zu reden sein
Am Beispiel Ulrike Lunacek: Wie wär’s damit, über Politiker mit mehr Augenmaß und weniger Menschenverachtung zu urteilen?
Wenn die Zwischentöne fehlen
Ohne Namen nennen zu wollen: Ulrike Lunacek war nicht die einzige Politikerin (Männer sind mitgemeint), die in der Coronakrise Fehler gemacht hat, ja: die schlicht und einfach überfordert war. Selbst jene vier Regierungsherren, die uns seit mehr als zwei Monaten fast täglich im TV die Coronawelt erklären, uns zu Stubenarrest und Maskentragen verdonnert haben und deren Umfragewerte dennoch (oder deshalb?) in lichte Höhen schossen: Selbst sie haben keineswegs fehlerfrei agiert.
Der an der absoluten Mehrheit kratzende Bundeskanzler stand zuletzt im Kleinwalsertal im Mittelpunkt eines PR-Desasters, als Dutzende Journalisten und Einheimische angesichts des hohen Besuchs auf alle Distanzregeln pfiffen. Der allseits beliebte Vizekanzler ließ ob seiner Wortkaskaden manchen Zuseher ratlos zurück. Der hochgelobte Gesundheitsminister legte (mindestens) eine Verordnung vor, für die der Ausdruck „Pfusch“noch zu nobel ist, Stichwort: Ausgangsbeschränkungen. Und der Innenminister, der hauptsächlich den Vorzug hat, nicht Herbert Kickl zu sein, spricht nicht von Menschen und Erkrankten, sondern von Glutnestern, die er zu löschen, und der Flex, die er zur Hand zu nehmen gedenke.
Kurzum: Es sind Fehler passiert, in Worten und in Taten. Wie auch anders? Die letzte Pandemie fand vor 100 Jahren in Form der Spanischen Grippe statt. Weder Sebastian Kurz noch Werner Kogler, weder Rudolf Anschober noch Karl Nehammer waren im Mindesten auf diese Jahrhundertkrise gefasst, als sie im Jänner frohgemut und hoffnungsvoll ihre Ämter übernahmen. Angesichts der Ausnahmesituation ist es bemerkenswert, wie professionell und kühl sie agieren.
Warum dennoch die Schnitzer der besagten Herren hier breitgetreten werden? Um darauf hinzuweisen, dass Politiker und Politikerinnen selbst dann hervorragende Vertreter ihres Faches sein können, wenn ihnen Fehler unterlaufen. Denn bekanntlich ist niemand fehlerlos. Doch mitunter erschreckt die Gnadenlosigkeit, mit der die Öffentlichkeit über Personen des öffentlichen Lebens urteilt. Der Bundeskanzler wird im Kleinen Walsertal von Fans bedrängt? Schon erschallen Rücktrittsaufforderungen in den sogenannten sozialen Medien, und die Neos wollen sogar Strafanzeige erstatten. Der Gesundheitsminister hat eine Verordnung verstolpert? Opposition, Twitteria, Hobbyjuristen und Amateurvirologen toben. Die Bundesregierung bleibt Antworten für die Kulturszene schuldig? Der Josefstadtdirektor beschimpft selbige Regierung als „Zumutung für die österreichische Kulturnation“. Fehler werden nicht toleriert. Es gibt keine Zwischentöne. Die Kritik kennt kein Maß, kein Ziel und vor allem keine Gnade.
Am gnadenlosesten war der Umgang mit der am Freitag der Vorwoche abgetretenen Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek. Insbesondere die medialen Auftritte des verdienten Kabarettisten Lukas Resetarits, der gegen die tatsächlich kritisierenswerte Kultur-Nichtpolitik der Regierung zu Felde zog, hinterließen einen bitteren Nachgeschmack. Mit welcher Leichtigkeit dieser Künstler da über Abtritt oder Nichtabtritt der Politikerin Lunacek plauderte („auch schon wurscht“), mit welcher Inbrunst er den Grünen das Ende als Parlamentspartei an den Hals wünschte, hatte mit sachlicher Kritik nichts mehr zu tun. Und ganz abgesehen davon muss man am politischen Hausverstand eines links der Mitte positionierten Bühnenstars zweifeln, wenn er aus Frustration über Fehler in der Kulturpolitik das Ende der Grünen herbeisehnt. Wenn’s dann vielleicht statt eines grünen einen blauen Kulturstaatssekretär gibt – meint Herr Resetarits, dass es den Künstlern dann besser erginge?
Mehr Sachlichkeit in der politischen Kritik ist vonnöten, und weniger Zynismus. Mehr Gesprächsbereitschaft
und weniger Menschenverachtung. Mehr inhaltliche Auseinandersetzung und weniger Strafanzeigen.
Ja, bei der Bewältigung der Coronakrise sind Fehler passiert. Sie aufzuzählen würde Bände füllen. Einige Mitglieder der Bundesregierung – wir nennen keine Namen – wirkten hilflos und verloren. Die Regierung hat namentlich den notleidenden Kleinstunternehmen und Betrieben mehr und vor allem schnellere Hilfe versprochen, als sie zu leisten imstande war. Sie hat durch die fast hinterlistige Nacht-und-Nebel-Beseitigung der großzügigen Entschädigungsregelungen, die im Epidemiegesetz vorgesehen waren, Tausende Menschen an den Rand ihrer Existenz gebracht. Sie hat Wirten und Hoteliers, Schuldirektorinnen und Geschäftsinhabern viel zu spät mitgeteilt, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen sie ihren Normalbetrieb wieder aufnehmen können.
Doch sie hat auch vieles, sehr vieles sogar, richtig gemacht, wie die sinkenden Infektionszahlen belegen.
Darüber sollte doch vernünftig zu diskutieren sein.