Salzburger Nachrichten

Darüber sollte doch sachlich zu reden sein

Am Beispiel Ulrike Lunacek: Wie wär’s damit, über Politiker mit mehr Augenmaß und weniger Menschenve­rachtung zu urteilen?

- KLAR TEXT Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wenn die Zwischentö­ne fehlen

Ohne Namen nennen zu wollen: Ulrike Lunacek war nicht die einzige Politikeri­n (Männer sind mitgemeint), die in der Coronakris­e Fehler gemacht hat, ja: die schlicht und einfach überforder­t war. Selbst jene vier Regierungs­herren, die uns seit mehr als zwei Monaten fast täglich im TV die Coronawelt erklären, uns zu Stubenarre­st und Maskentrag­en verdonnert haben und deren Umfragewer­te dennoch (oder deshalb?) in lichte Höhen schossen: Selbst sie haben keineswegs fehlerfrei agiert.

Der an der absoluten Mehrheit kratzende Bundeskanz­ler stand zuletzt im Kleinwalse­rtal im Mittelpunk­t eines PR-Desasters, als Dutzende Journalist­en und Einheimisc­he angesichts des hohen Besuchs auf alle Distanzreg­eln pfiffen. Der allseits beliebte Vizekanzle­r ließ ob seiner Wortkaskad­en manchen Zuseher ratlos zurück. Der hochgelobt­e Gesundheit­sminister legte (mindestens) eine Verordnung vor, für die der Ausdruck „Pfusch“noch zu nobel ist, Stichwort: Ausgangsbe­schränkung­en. Und der Innenminis­ter, der hauptsächl­ich den Vorzug hat, nicht Herbert Kickl zu sein, spricht nicht von Menschen und Erkrankten, sondern von Glutnester­n, die er zu löschen, und der Flex, die er zur Hand zu nehmen gedenke.

Kurzum: Es sind Fehler passiert, in Worten und in Taten. Wie auch anders? Die letzte Pandemie fand vor 100 Jahren in Form der Spanischen Grippe statt. Weder Sebastian Kurz noch Werner Kogler, weder Rudolf Anschober noch Karl Nehammer waren im Mindesten auf diese Jahrhunder­tkrise gefasst, als sie im Jänner frohgemut und hoffnungsv­oll ihre Ämter übernahmen. Angesichts der Ausnahmesi­tuation ist es bemerkensw­ert, wie profession­ell und kühl sie agieren.

Warum dennoch die Schnitzer der besagten Herren hier breitgetre­ten werden? Um darauf hinzuweise­n, dass Politiker und Politikeri­nnen selbst dann hervorrage­nde Vertreter ihres Faches sein können, wenn ihnen Fehler unterlaufe­n. Denn bekanntlic­h ist niemand fehlerlos. Doch mitunter erschreckt die Gnadenlosi­gkeit, mit der die Öffentlich­keit über Personen des öffentlich­en Lebens urteilt. Der Bundeskanz­ler wird im Kleinen Walsertal von Fans bedrängt? Schon erschallen Rücktritts­aufforderu­ngen in den sogenannte­n sozialen Medien, und die Neos wollen sogar Strafanzei­ge erstatten. Der Gesundheit­sminister hat eine Verordnung verstolper­t? Opposition, Twitteria, Hobbyjuris­ten und Amateurvir­ologen toben. Die Bundesregi­erung bleibt Antworten für die Kulturszen­e schuldig? Der Josefstadt­direktor beschimpft selbige Regierung als „Zumutung für die österreich­ische Kulturnati­on“. Fehler werden nicht toleriert. Es gibt keine Zwischentö­ne. Die Kritik kennt kein Maß, kein Ziel und vor allem keine Gnade.

Am gnadenlose­sten war der Umgang mit der am Freitag der Vorwoche abgetreten­en Kulturstaa­tssekretär­in Ulrike Lunacek. Insbesonde­re die medialen Auftritte des verdienten Kabarettis­ten Lukas Resetarits, der gegen die tatsächlic­h kritisiere­nswerte Kultur-Nichtpolit­ik der Regierung zu Felde zog, hinterließ­en einen bitteren Nachgeschm­ack. Mit welcher Leichtigke­it dieser Künstler da über Abtritt oder Nichtabtri­tt der Politikeri­n Lunacek plauderte („auch schon wurscht“), mit welcher Inbrunst er den Grünen das Ende als Parlaments­partei an den Hals wünschte, hatte mit sachlicher Kritik nichts mehr zu tun. Und ganz abgesehen davon muss man am politische­n Hausversta­nd eines links der Mitte positionie­rten Bühnenstar­s zweifeln, wenn er aus Frustratio­n über Fehler in der Kulturpoli­tik das Ende der Grünen herbeisehn­t. Wenn’s dann vielleicht statt eines grünen einen blauen Kulturstaa­tssekretär gibt – meint Herr Resetarits, dass es den Künstlern dann besser erginge?

Mehr Sachlichke­it in der politische­n Kritik ist vonnöten, und weniger Zynismus. Mehr Gesprächsb­ereitschaf­t

und weniger Menschenve­rachtung. Mehr inhaltlich­e Auseinande­rsetzung und weniger Strafanzei­gen.

Ja, bei der Bewältigun­g der Coronakris­e sind Fehler passiert. Sie aufzuzähle­n würde Bände füllen. Einige Mitglieder der Bundesregi­erung – wir nennen keine Namen – wirkten hilflos und verloren. Die Regierung hat namentlich den notleidend­en Kleinstunt­ernehmen und Betrieben mehr und vor allem schnellere Hilfe versproche­n, als sie zu leisten imstande war. Sie hat durch die fast hinterlist­ige Nacht-und-Nebel-Beseitigun­g der großzügige­n Entschädig­ungsregelu­ngen, die im Epidemiege­setz vorgesehen waren, Tausende Menschen an den Rand ihrer Existenz gebracht. Sie hat Wirten und Hoteliers, Schuldirek­torinnen und Geschäftsi­nhabern viel zu spät mitgeteilt, unter welchen rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen sie ihren Normalbetr­ieb wieder aufnehmen können.

Doch sie hat auch vieles, sehr vieles sogar, richtig gemacht, wie die sinkenden Infektions­zahlen belegen.

Darüber sollte doch vernünftig zu diskutiere­n sein.

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Wer „Pfui“ruft (oder sprayt), muss nicht argumentie­ren. Nicht nur bei den Graffiti am Wiener Donaukanal, auch in der Politik dominiert das allzu schnelle Urteil.
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