Brasilien taumelt auf den Höhepunkt zu
Leichen werden in Massengräbern beerdigt, während Bolsonaro die Wirtschaft wieder öffnen will.
Zwei Gesundheitsminister in einem Monat gegangen, explodierende Zahlen bei den Coronainfektionen und ein irrlichternder Präsident, der noch vor Erreichen des Höhepunkts der Pandemie in seinem Land die Wirtschaft nach und nach wieder öffnen will.
Brasilien taumelt führungslos durch diese harten Zeiten und hat sich so zum neuen Corona-Hotspot auf dem amerikanischen Kontinent entwickelt. Die Infektionskurve im größten Land Lateinamerikas steigt weiter steil an. Längst hat Brasilien Deutschland und Italien bei den Ansteckungen überholt. Laut Johns-Hopkins-Universität waren bis zum Sonntag rund 233.500 Menschen infiziert, mehr als 15.600 erlagen der Lungenkrankheit.
Derweil regiert Präsident Jair Bolsonaro immer autoritärer, während die Bevölkerung vom rechtsextremen Staatsoberhaupt zunehmend die Nase voll hat.
Am vergangenen Freitag ging mit Nelson Teich der zweite Gesundheitsminister in kurzer Zeit, still, kommentarlos und schwer frustriert, nachdem Bolsonaro selbstherrlich verkündet hatte, Schönheitssalons,
Friseure und Fitnessstudios seien „systemrelevant“, und die Wiedereröffnung per Dekret verfügte. Zudem hatte er durchzusetzen versucht, dass das MalariaMittel Chloroquin trotz nicht nachgewiesener Wirksamkeit zur Bekämpfung
der Lungenkrankheit eingesetzt wird. Der Onkologe Teich wurde am 17. April als Gesundheitsminister installiert, nachdem Bolsonaro dessen Vorgänger Luiz Henrique Mandetta entlassen hatte. Auch Mandetta hatte Differenzen mit Bolsonaro über Abstandsregeln, Ausgangssperren und die Anwendung von Chloroquin.
Vorerst übernimmt die Nummer zwei im Ministerium, General Eduardo Pazuello, die Leitung des Ressorts, bis ein Nachfolger gefunden ist. Damit zeichnet sich ein Stück weiter die „Militarisierung“der brasilianischen Regierung ab.
Zehn Generäle bekleiden in Bolsonaros Kabinett entscheidende Posten, und Vizepräsident Hamilton Mourão gilt als wichtiger Berater und auch bisweilen Korrektiv des unberechenbaren Präsidenten.
Der ehemalige Fallschirmjäger Bolsonaro fühlt sich unter Militärs wohler als unter Politikern, und er verherrlicht die Diktatur im Land noch immer nostalgisch. Und seine Offiziersminister haben daran Gefallen gefunden, eine Welt zu gestalten, die ihnen seit dem Ende der Gewaltherrschaft im Jahre 1985 verschlossen war.
Die Nachricht vom Rücktritt Teichs schürt bei vielen Brasilianern weiter die Wut auf den reaktionären Staatschef, der die Pandemie in seinem Land trotz gegenteiliger Zahlen kleinredet und für eine Wiedereröffnung weiterer Wirtschaftssektoren und der Schulen wirbt. Auch die Nachbarländer Brasiliens besorgt der nachlässige Umgang mit der Pandemie zunehmend.