Die Oma sitzt im Laptop
Videotelefonie zwischen Enkeln und Großeltern wird in der Krise alltäglich. Was dabei passiert, wird in Salzburg schon länger erforscht – mit Sanduhren und Westen, die atmen.
IRIS BURTSCHER
Die Videokonferenz dauert wieder etwas länger. Diskutiert werden das Warenangebot, die Preisentwicklung und Zustellerprobleme. Mit dabei: Oma, Opa, zwei Kuscheltiere und der Zweijährige vor seinem Kaufmannsladen. Die Coronakrise hat zwar viele persönliche Treffen zwischen Großeltern und Enkelkindern verhindert. Virtuelle Zusammenkünfte finden dafür in vielen Haushalten viel öfter statt. „Diesen Anwendungsfall hatten wir natürlich nicht am Radar, als wir starteten“, sagt Verena Fuchsberger. Ihr Forschungsprojekt „re:tangent“hat wegen der Coronakrise innerhalb kurzer Zeit enorm an Aktualität gewonnen – und auch die Zahl der Betroffenen ist enorm gestiegen. Seit zwei Jahren beschäftigt sie sich mit ihrem Team am „Center for HumanComputer Interaction“(HCI) der Universität Salzburg mit der Frage, wie Großeltern und Enkel Distanzen mithilfe von Spielen überwinden können. Technologien werden erforscht, die es den verschiedenen Generationen ermöglichen, trotz Entfernung physisch miteinander in Verbindung zu sein. „Der Fokus liegt dabei auf dem gemeinsamen Spiel sowie darauf, die Beziehung zwischen den Generationen über Distanzen hinweg greifbar zu machen“, erklärt Fuchsberger. Bis vor Kurzem hatte man eher Familien im Blick, deren Mitglieder weit voneinander entfernt wohnen. In Coronazeiten, in denen auch Enkel, die nur ein paar Häuser weiter leben, ihre Großeltern nicht sehen sollen, erhält die Forschung zusätzliche Bedeutung. Audio- und Videokommunikation wird selbstverständlich. „Wir haben plötzlich eine wahnsinnig große Nutzergruppe. Wenn wir vor einem Jahr gefragt hätten, wie viele Großeltern mit ihren Enkeln
Skype oder ähnliche Programme nutzen, wäre der Anteil wohl gering gewesen“, erzählt die Projektleiterin. Jetzt hätten viele Omas und Opas ganz selbstverständlich Apps auf dem Handy installiert. „Für viele Kinder ist das Tablet wie eine Plexiglasscheibe: Dahinter sind gleich die Großeltern, die mit ihnen spielen oder ihnen vorlesen.“
Schon zu Beginn des Projekts hatte sich gezeigt, dass Objekte bei der Kommunikation über Distanz oft eine Rolle spielen. Diese Grundannahme zeige sich nun auch in der Krise: So werde oft Spielzeug in die Kamera gehalten. Auch Fuchsbergers eineinhalbjährige Tochter präsentierte schon stolz ihre Kuscheltiere. „Man versucht, gemeinsam Dinge zu tun, auch wenn man sich nur sieht und hört“, erklärt Fuchsberger. Gleichzeitig werde klar, dass vieles fehle, vor allem wenn es um ebenjene Nähe gehe, die durch haptische Erlebnisse und Körperlichkeit geprägt sei.
Entwickelt werden am HCI deshalb hybride Brettspiele und Spielzeuge. Getestet wird eine Sanduhr: Dreht die Oma diese während des Spiels um, bewegt sich eine zweite Sanduhr gleichzeitig bei der Enkelin. Prototypen gibt es bereits. Gearbeitet wird auch an einem speziellen Spieltisch, der die Geräusche von Objekten überträgt, etwa jenen eines Würfels auf dem Tisch. „Wir wollen testen, ob das reicht, um den realen Eindruck zu übertragen.“
Weil sich gezeigt hat, wie wichtig das Fühlen der körperlichen Nähe ist, wird nun auch mit Kleidungsstücken experimentiert. Sie sollen diese Lücke füllen. „Aktivitäten sind häufig vom körperlichen Kontakt geprägt, gerade bei Großeltern und Enkeln. Umarmungen sind wichtig. Wir haben überlegt, wie wir das auf die Distanz übertragen können“, erklärt Fuchsberger. Herausgekommen ist unter anderem eine „atmende“Weste: Verabreden sich zwei Personen oft zu Videotelefonaten, spürt derjenige, der die Weste trägt, den „Atem“des anderen stark. Sind die Kontakte seltener, wird er schwächer. Zudem wird an einem Umhang gearbeitet: Berührt
etwa das Enkelkind eine Stelle, spürt das gleichzeitig die Oma. „Ziel des Projekts ist auch herauszufinden, ob man diese Nähe überhaupt herstellen kann und wie viel Nähe man über die Distanz aushält“, erklärt die Wissenschafterin.
Von beiden Kleidungsstücken gibt es erst Prototypen. Bei vielen Personen testen kann man sie deshalb noch nicht. „Das ist natürlich schade. Wir wären natürlich lieber schon weiter, als wir derzeit sind. Wir hätten gerne schon Lösungen auf dem Tisch“, sagt sie.
Die Coronapandemie hat auch die Pläne für das Forschungsprojekt „re:tangent“über den Haufen geworfen. Geplante praktische Studien und Treffen mit Teilnehmern mussten verschoben werden, dafür wird nun eine neue Schiene eingezogen: „Wir wollen mit Großeltern und ihren Enkeln reden, die in der Krise auf andere Kommunikationsformen, etwa Videotelefonie, zurückgegriffen haben. Hier ist eine Fülle an kreativen Ideen aufgetaucht.“Auch die Zielgruppe wird adaptiert: Hatte man vor dem Coronaausbruch vor allem Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren im Fokus, werden nun auch jüngere einbezogen. „Es zeigt sich jetzt, dass Technologie in jedem Alter eine größere Rolle spielt, egal ob die Enkel zwei oder 30 Jahre alt sind.“
Das Projekt läuft noch ein Jahr, gemeinsam mit der belgischen Universität Leuven. Fuchsberger hofft, dass es verlängert wird. Zu erforschen gäbe es noch einiges. Derzeit wird sie dabei von zwei Doktoranden unterstützt. Auf einen dritten wartet sie noch: „Er kommt aus China und sitzt gerade dort fest.“
„Für viele Kinder ist ein Tablet wie eine Plexiglasscheibe.“
RETANGENT@HCI.SBG.AC.AT