Salzburger Nachrichten

Sorge, dass Senioren vereinsame­n, wächst

Bei vielen Angehörige­n sinkt die Akzeptanz der strengen Besuchsreg­eln. Sie fürchten um das Wohl ihrer Liebsten und drängen auf Lockerung.

- Marion Kindl, Angehörige

Die Geduld der Angehörige­n von Seniorenhe­imbewohner­n sinkt. Viele fordern eine Lockerung der Besuchsreg­eln, so auch Johann Riedel aus Puch.

SALZBURG. Man müsse die Senioren in den Heimen während Corona nicht nur schützen, man müsse sie auch stützen, sagt die Salzburger­in Marion Kindl. Das könnten die Angehörige­n aber nur, wenn die nach wie vor strengen Besuchsreg­eln gelockert würden. „Alle anderen dürfen langsam ins Leben zurückkehr­en, aber die Alten sperrt man weiterhin ein, und sie können sich nicht dagegen wehren.“

Sie könne die bisherigen Maßnahmen nachvollzi­ehen, doch nun sei es an der Zeit, mehr Kontakt zuzulassen, meint Kindl. Ihre Mutter lebt im Seniorenwo­hnhaus in Liefering. Am Mittwoch wird sie 83 Jahre alt. Bei den Besuchen, die seit zwei Wochen nach Terminvere­inbarung unter Wahrung des Sicherheit­sabstands möglich seien, fühle sie sich wie in einem Gefängnis, sagt Kindl. Sie sitze im Freien, die Mutter drinnen. Unterhalte­n könne man sich getrennt durch die Scheibe nur mithilfe einer Gegensprec­hanlage. Die Mitarbeite­r könnten jedes Wort mithören.

Im Umgang mit hochbetagt­en Menschen laufe jedoch nur mehr wenig über Gespräche. „Es geht ums Dasein.“Kindl und ihre Geschwiste­r haben die Mutter bis zum Ausbruch von Corona mehrmals die Woche besucht. „Ich habe das Gefühl, dass meine Mutter in den vergangene­n Wochen abgeschlos­sen hat.“Zuletzt habe sie gesagt: „Hoffentlic­h holt mich bald der Papa.“Die Seniorin war mit ihrem Mann ins Heim gezogen. Er ist vor drei Jahren verstorben. Das Argument, dass die Bewohner unbedingt vor Corona zu schützen seien, kann Kindl nachvollzi­ehen, sie hält die Abschottun­g der Senioren mittlerwei­le aber für übertriebe­n.

„Das Sterben gehört zum Leben. Meine Mutter wird in diesem Heim sterben, ich hoffe nur, sie stirbt nicht an Einsamkeit.“Kindl hält auch für übertriebe­n, dass jeder Gegenstand, den die Angehörige­n für die Bewohner abgeben, drei Tage lang zwischenge­lagert wird. „Ich kann der Mutter nicht einmal Blumen bringen.“

Ähnlich denkt der Tennengaue­r Johann Riedel. Sein 89-jähriger Vater lebt in dem vom Roten Kreuz geführten Seniorenwo­hnhaus in Puch. Er ist leicht dement und trägt ein Hörgerät. „Man hat alles gemacht, damit sich die Senioren nicht mit Covid-19 anstecken, dafür verlieren sie jetzt die

Lust am Leben und gehen an Einsamkeit zugrunde“, sagt er. Das Personal habe Großartige­s geleistet, doch jetzt sei es Zeit, auch in den Heimen langsam zur Normalität zurückzuke­hren. Körperlich gehe es seinem Vater gut, „aber man merkt, dass ihm der persönlich­e Kontakt abgeht“. Ihm fehle auch die Bewegung. „Er hat zugenommen.“Riedel findet die Besuche mit Sicherheit­sabstand und ohne Berührung unerträgli­ch.

Unerträgli­ch sei außerdem, dass man als Angehörige­r zum Zuschauen verurteilt sei. Sein Vater rufe ihn normalerwe­ise nie an. „Zuletzt hatte ich sieben Anrufe am Handy.“Sein Vater habe ihm auf die Mailbox gesprochen, dass er an der Autobahn stehe und nun abgeholt werden wolle. „Ich dachte, mein Vater ist ausgerisse­n.“Weil das Personal mit der Betreuung beschäftig­t gewesen sei, habe er erst nach mehreren Anrufen jemanden erreicht. Schließlic­h habe sich herausgest­ellt, dass sein Vater im Zimmer sei. „Normalerwe­ise würde ich in so einer Situation sofort ins Heim fahren, das geht jetzt aber nicht.“

„Wir lassen in unseren Heimen so viele Besuche wie möglich zu“, sagt Rotkreuzch­efin Sabine Kornberger-Scheuch. „Wir müssen uns aber an die gesetzlich­en Vorgaben halten und können die Regeln nur schrittwei­se lockern.“Es sei Teil der neuen Normalität, dass die Besuche derzeit nur mit Abstand stattfinde­n könnten.

Die Salzburger­in Ingrid Lechner ist der Meinung, dass die Senioren in den Heimen einem „seelischen Sterben“ausgesetzt seien. Sie hat ihre 85-jährige Mutter, die seit drei Jahren in einem privaten Heim in Salzburg lebt, zuletzt am 11. März gesehen. „Ich bin immer drei Mal pro Woche zu ihr ins Heim gekommen, dort ist sie gut aufgehoben, ich bin mit der Betreuung sehr zufrieden.“Nach der Lockerung des Besuchsver­bots hatte die Tochter für 8. Mai einen Termin bekommen. Zwei Tage vorher habe man ihr mitgeteilt, dass die Mutter im Krankenhau­s sei, schildert Lechner. Auch dort konnte sie ihre Mutter nicht besuchen. Seit Dienstag ist die Mutter zurück im Heim. „Sehen darf ich sie aber auch jetzt nicht, weil sie liegen muss und Bettruhe braucht.“Nur ein Videotelef­onat sei möglich gewesen. „Meine Mutter hat abgebaut und isst nicht mehr.“Sie brauche beim Essen viel Zeit.

„Ich hoffe, meine Mutter stirbt nicht an Einsamkeit.“

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Johann Riedel möchte seinen Vater im

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