Salzburger Nachrichten

Ärztin: „Das stille Leiden wird in Kauf genommen“

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Der Preis, den die Menschen in den Seniorenwo­hnhäusern für den Schutz vor einer Ansteckung mit dem Virus bezahlten, sei immens, sagt die Hausärztin in Eben, Kerstin Viertbauer. „Viele stehen unter großem Leidensdru­ck, sie sehnen sich nach Kontakt und Nähe. Diese Menschen verfallen regelrecht.“Viele würden ihre Angehörige­n schmerzlic­h vermissen. „Beziehung braucht Berührung, wenn es verbal nicht mehr geht.“Mitunter würden diese Menschen aufhören zu essen. Vielen fehle die Bewegung bei den gemeinsame­n Spaziergän­gen mit den Angehörige­n. „Es geht hier um Isolation mit allen Konsequenz­en.“

Eine Kommunikat­ion durch Plexiglass­cheiben sei für die betagten Menschen schwierig. „Es fehlt die Nähe, außerdem hören die meisten schlecht.“

Die Angst vor einer möglichen Übertragun­g des Virus in den Heimen sei übermächti­g. Derzeit lasse das Virus keinen Kompromiss zu, es müsse aber in der jetzigen Situation auch für die Seniorenhe­ime Lockerunge­n geben. „Das stille Leiden wird in Kauf genommen, dabei könnte es durch Kontakt, Besuche und Berührung gemildert werden.“Die Bewohner seien „schuldlos eingesperr­t und ausgangsbe­schränkt“. Die Bewohner hätten viel zum Wohl der heutigen Gesellscha­ft beigetrage­n. „Sie haben einen würdigen Lebensaben­d verdient.“

Viertbauer betreut auch Senioren im Wohnheim in Altenmarkt, wo elf Bewohner an dem Virus erkrankt waren, vier Bewohner sind verstorben. Erst seit Kurzem darf Viertbauer ihre Patienten wieder visitieren. „Ich konnte meinen Betreuungs­auftrag nicht erfüllen.“Es sei nicht möglich gewesen, die Bewohner menschlich und fachlich zu begleiten. Es könne nicht sein, dass wegen eines Virus alle anderen Erkrankung­en „telemedizi­nisch“abgearbeit­et werden müssten. Die ärztliche Versorgung könne derzeit nicht in der gewohnten Qualität geleistet werden. Der hohe Standard in der Pflege sei nicht zuletzt mit dem Geld dieser Generation aufgebaut worden. „Wie kommen diese Menschen jetzt dazu, dass sie weggesperr­t und dem Leid preisgegeb­en werden?“Das sei einer Gesellscha­ft, die Wert auf das Wohl Alter und Kranker lege, nicht würdig.

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