Vorwärts zurück zur „alten“Normalität? Der Babyelefant ist zum Zwerghasen geschrumpft
Von den guten Vorsätzen zu Beginn der Coronakrise ist nicht mehr viel geblieben. Der Tanz auf dem Vulkan hat begonnen.
Gleich zu Beginn der Coronakrise haben uns Zukunftsforscher prophezeit, dass nun alles anders werde, womöglich besser. Die komplette Schließung des bis dahin üblichen Lebens werde ein Umdenken auf allen Linien bewirken: weniger, dafür gezielterer Konsum von in erster Linie regionalen Produkten, die Rückverlagerung der Herstellung systemrelevanter Waren in die nähere Heimat, weniger Verkehr und dafür bessere Umwelt, Abschied von Kurzstreckenflügen, Aufwertung der Pflegeberufe, die Besinnung auf die wahren Werte des Lebens, die da wären: Gesundheit, Solidarität, Respekt, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Nächstenliebe.
Schon jetzt, wenige Tage nach der Reanimation weiter Lebensbereiche, ist vom anfänglichen Bekenntnis zur gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Totalumkehr nicht mehr viel zu spüren. Alles drängt zu bekannten – aber deshalb nicht unbedingt bewährten – Mustern: vorwärts zurück in die „alte“Normalität.
Mallorca lockt bereits, die chinesischen T-Shirts sind nach wie vor günstig, der Straßenverkehr rollt wie in alten Zeiten, die Masken sitzen schon wieder lockerer, Erntehelfer, die unseren Spargel stechen, werden eingeflogen, ebenso die 24-Stunden-Pflegerinnen, der Online-Einkauf über ferne Plattformen ist beliebter denn je, Heimarbeit wird zunehmend als Belastung empfunden, die Sehnsucht nach dem Büro nimmt zu. In privaten Runden wie auch in gar nicht so wenigen öffentlichen Lokalen wird wieder zusammengerückt und vorzeitig das Ende von Corona begossen. Und erst der bevorstehende Herbst! Alles, was jetzt versäumt wurde, muss nachgeholt werden. Es wird wohl der am dichtesten mit Veranstaltungen gefüllte Nachsommer aller Zeiten. Nach dem Hammer kommt kein langsamer Walzer, sondern ein Tanz auf dem Vulkan. Der Babyelefant schrumpft zum Zwerghasen. Er streckt einem als Zeichen der Anti-Corona-Liga zum Gruß die Hand entgegen.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das wurde uns nach acht Wochen Lockdown schmerzlich bewusst. Insofern war die erste Reaktion nach dem Lockdown nachvollziehbar. Umso mehr sind gerade jetzt, in der Phase der Lockerung, Rücksicht und Vorsicht geboten, damit wir weiterhin der Spur zur Freiheit folgen können.
Dazu ist vor allem Vertrauen in die Richtigkeit und Notwendigkeit der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen notwendig. Die erreicht man nach überstandener erster Welle nicht mehr damit, dass man mit dem Leichentuch wachelt. Angst vor einer zweiten Welle ist kein guter Ratgeber. Wir brauchen Einsicht. Die erreicht man nicht allein durch staatliche Anordnungen, sondern vor allem durch die Beantwortung von berechtigten Fragen. Wie zum Beispiel: Warum ist das Tragen von Masken, das ursprünglich als sinnlos bezeichnet wurde, jetzt doch noch so wichtig? Was machen die zusätzlich eingezogenen Zivildiener? Wozu braucht der Milliardenkonzern Post Milizsoldaten zum Packelschupfen? Warum dürfen Profifußballer wieder spielen, aber Fechter, die ohnehin „Masken“tragen, dürfen ihren Sport nicht ausüben? Warum kann man am Flughafen Wien am Wochenende keinen Coronatest durchführen? Warum bekommen große Konzerne wie die AUA viele Millionen, während Kleinstunternehmer beim Warten auf Hilfe wirtschaftlich verhungern?
Politische Entscheidungen müssen begründet und die Grundlagen dafür offengelegt werden. Es gibt so gut wie keine öffentliche politische Diskussion widerstreitender wissenschaftlicher Positionen. Sie trüge nicht zur Verunsicherung der Bevölkerung bei, sondern zu deren Aufklärung.
Derzeit wird auch seriöse Kritik an einzelnen Coronamaßnahmen sofort in das Eck des Leugnertums oder der Verschwörungsideologie abgedrängt. Dort lässt sich nicht sachlich diskutieren. Die Gefahr, dass Menschen, die mit ihren Fragen alleingelassen oder nicht ernst genommen werden, an die politischen Ränder der Gesellschaft abgleiten, ist nicht zu unterschätzen.
Österreich hat durch harte Maßnahmen der Regierung und das vorbildliche Mitwirken der Bevölkerung das Virus in Schach halten können. Darüber dürfen wir uns freuen. Und das dürfen wir auch feiern. Wir sollten es nur nicht übertreiben.