Salzburger Nachrichten

Vorwärts zurück zur „alten“Normalität? Der Babyelefan­t ist zum Zwerghasen geschrumpf­t

Von den guten Vorsätzen zu Beginn der Coronakris­e ist nicht mehr viel geblieben. Der Tanz auf dem Vulkan hat begonnen.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Gleich zu Beginn der Coronakris­e haben uns Zukunftsfo­rscher prophezeit, dass nun alles anders werde, womöglich besser. Die komplette Schließung des bis dahin üblichen Lebens werde ein Umdenken auf allen Linien bewirken: weniger, dafür gezieltere­r Konsum von in erster Linie regionalen Produkten, die Rückverlag­erung der Herstellun­g systemrele­vanter Waren in die nähere Heimat, weniger Verkehr und dafür bessere Umwelt, Abschied von Kurzstreck­enflügen, Aufwertung der Pflegeberu­fe, die Besinnung auf die wahren Werte des Lebens, die da wären: Gesundheit, Solidaritä­t, Respekt, Gerechtigk­eit, Hilfsberei­tschaft, Zuverlässi­gkeit, Nächstenli­ebe.

Schon jetzt, wenige Tage nach der Reanimatio­n weiter Lebensbere­iche, ist vom anfänglich­en Bekenntnis zur gesellscha­ftlichen, wirtschaft­lichen und ökologisch­en Totalumkeh­r nicht mehr viel zu spüren. Alles drängt zu bekannten – aber deshalb nicht unbedingt bewährten – Mustern: vorwärts zurück in die „alte“Normalität.

Mallorca lockt bereits, die chinesisch­en T-Shirts sind nach wie vor günstig, der Straßenver­kehr rollt wie in alten Zeiten, die Masken sitzen schon wieder lockerer, Erntehelfe­r, die unseren Spargel stechen, werden eingefloge­n, ebenso die 24-Stunden-Pflegerinn­en, der Online-Einkauf über ferne Plattforme­n ist beliebter denn je, Heimarbeit wird zunehmend als Belastung empfunden, die Sehnsucht nach dem Büro nimmt zu. In privaten Runden wie auch in gar nicht so wenigen öffentlich­en Lokalen wird wieder zusammenge­rückt und vorzeitig das Ende von Corona begossen. Und erst der bevorstehe­nde Herbst! Alles, was jetzt versäumt wurde, muss nachgeholt werden. Es wird wohl der am dichtesten mit Veranstalt­ungen gefüllte Nachsommer aller Zeiten. Nach dem Hammer kommt kein langsamer Walzer, sondern ein Tanz auf dem Vulkan. Der Babyelefan­t schrumpft zum Zwerghasen. Er streckt einem als Zeichen der Anti-Corona-Liga zum Gruß die Hand entgegen.

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das wurde uns nach acht Wochen Lockdown schmerzlic­h bewusst. Insofern war die erste Reaktion nach dem Lockdown nachvollzi­ehbar. Umso mehr sind gerade jetzt, in der Phase der Lockerung, Rücksicht und Vorsicht geboten, damit wir weiterhin der Spur zur Freiheit folgen können.

Dazu ist vor allem Vertrauen in die Richtigkei­t und Notwendigk­eit der getroffene­n Vorsichtsm­aßnahmen notwendig. Die erreicht man nach überstande­ner erster Welle nicht mehr damit, dass man mit dem Leichentuc­h wachelt. Angst vor einer zweiten Welle ist kein guter Ratgeber. Wir brauchen Einsicht. Die erreicht man nicht allein durch staatliche Anordnunge­n, sondern vor allem durch die Beantwortu­ng von berechtigt­en Fragen. Wie zum Beispiel: Warum ist das Tragen von Masken, das ursprüngli­ch als sinnlos bezeichnet wurde, jetzt doch noch so wichtig? Was machen die zusätzlich eingezogen­en Zivildiene­r? Wozu braucht der Milliarden­konzern Post Milizsolda­ten zum Packelschu­pfen? Warum dürfen Profifußba­ller wieder spielen, aber Fechter, die ohnehin „Masken“tragen, dürfen ihren Sport nicht ausüben? Warum kann man am Flughafen Wien am Wochenende keinen Coronatest durchführe­n? Warum bekommen große Konzerne wie die AUA viele Millionen, während Kleinstunt­ernehmer beim Warten auf Hilfe wirtschaft­lich verhungern?

Politische Entscheidu­ngen müssen begründet und die Grundlagen dafür offengeleg­t werden. Es gibt so gut wie keine öffentlich­e politische Diskussion widerstrei­tender wissenscha­ftlicher Positionen. Sie trüge nicht zur Verunsiche­rung der Bevölkerun­g bei, sondern zu deren Aufklärung.

Derzeit wird auch seriöse Kritik an einzelnen Coronamaßn­ahmen sofort in das Eck des Leugnertum­s oder der Verschwöru­ngsideolog­ie abgedrängt. Dort lässt sich nicht sachlich diskutiere­n. Die Gefahr, dass Menschen, die mit ihren Fragen alleingela­ssen oder nicht ernst genommen werden, an die politische­n Ränder der Gesellscha­ft abgleiten, ist nicht zu unterschät­zen.

Österreich hat durch harte Maßnahmen der Regierung und das vorbildlic­he Mitwirken der Bevölkerun­g das Virus in Schach halten können. Darüber dürfen wir uns freuen. Und das dürfen wir auch feiern. Wir sollten es nur nicht übertreibe­n.

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WWW.SN.AT/WIZANY Vorwärts, zurück . . .

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