Die graue Gefahr
Klimasünde Betonbau. Wenige Industrieprozesse verursachen derart viele Emissionen wie die Herstellung von Zement.
Wer an CO2 denkt, hat Bilder von Kohlekraftwerken, Langstreckenflügen und Autos, mit denen einzelne Menschen in die Arbeit pendeln, im Kopf. Auf Beton kommen im ersten Moment wahrscheinlich die Wenigsten. Dabei geht ein nicht unerheblicher Teil der weltweiten CO2-Emissionen auf dessen Konto. Acht Prozent stammen allein aus der Produktion von Zement, dem Klebstoff im Beton. Der gesamte Flugverkehr kommt dagegen auf rund fünf Prozent.
Wenige Industrieprozesse verursachen derartige Mengen an Treibhausgasen wie die Zementherstellung. Das Bindemittel Zement hält Beton und damit unsere derzeitige Bauwelt zusammen. Beton prägt das Gesicht unserer Häuser und Städte. (Stahl-) Beton verbucht nicht nur die meisten Minuspunkte am Klimakonto, sondern ist gleichzeitig der häufigste Baustoff. Von keinem Material – mit Ausnahme von Wasser – verbraucht die Menschheit größere Mengen.
Aus der Broschüre eines Betonunternehmens erfährt man: In Österreich werden jährlich zirka 20 Millionen Tonnen Sand und Kies zur Produktion von Transportbeton eingesetzt, die der Natur unwiederbringlich verloren gehen.
Henriette Fischer beschäftigt sich am Institut für Werkstofftechnologie und Bauphysik mit der Frage, welcher Baustoffmix für nachhaltige Gebäude am geeignetsten ist. Mit Jahresanfang 2019 wurde auf der TU Wien ein eigener Forschungsbereich für ökologische Bautechnologien geschaffen. Fischer sieht sich die Einsatzbereiche sowie die Lebenszyklen unterschiedlicher Materialien an und ermittelt: Wie viel Energie braucht die Herstellung? Wie lang halten die Baustoffe? Wie sieht es mit Wiederverwertung und Entsorgung aus? Und die Forscherin warnt: „Es besteht dringender Handlungsbedarf. Gerade im Materialsektor gibt es bei der Umweltverträglichkeit beträchtlichen Spielraum nach oben.“
Mit „Zement“ist meistens der sogenannte Portlandzement gemeint. 98 Prozent des weltweit verwendeten Zements gehören in diese Kategorie. Bereits 1824 patentiert und nach dem Kalkstein von der englischen Kanalküste benannt, werden dafür Kalkstein, Ton, Sand und Eisenerz zu Klinker gebrannt und dann mit Gips vermahlen. Dazu werden Temperaturen von 1450 Grad Celsius benötigt. Erreicht werden sie üblicherweise durch das Verfeuern von Steinkohle und Petrolkoks. Österreich ist in diesem Punkt zwar vorbildlich und setzt oft Kunststoffschnipsel, Altöl und sogar Sonnenblumenschalen als Ersatzbrennstoff ein – doch 55 Prozent der Emissionen entstehen beim Sintern, also beim Verschmelzen der Rohstoffe.
Jahr für Jahr werden vier Milliarden Tonnen Zement hergestellt und verbaut. Vor allem in China, Indien und Brasilien entstehen Staudämme, Wolkenkratzer und Flughäfen. Für Einfamilienhäuser gilt: „Auch wenn das beste Passivhaus draufsteht – ein Keller aus Stahlbeton vergrößert den ökologischen Fußabdruck massiv“, sagt die Forscherin Henriette Fischer.
Als vor 50 Jahren Beton im großen Stil aufkam, verdrängte er andere bis dahin übliche Baustoffe. Mittlerweile ist die Infrastruktur komplett auf Beton und Ziegelbau ausgerichtet. Lehm galt plötzlich als ArmeLeute-Baustoff,
erzählt Anton Frauwallner, Geschäftsführer von proLEHM. Dabei seien Holz und Lehm die ältesten Baumaterialien überhaupt – deswegen, weil beides vorhanden war. Gebaut wurde mit dem, was vorgefunden wurde. In den Alpen waren dies Holz und Stein, am See setzte man Schilf ein, im Weinviertel Löss und Lehm. In Mexiko werden an den Strand gespülte Braunalgen zu Ziegeln gepresst. Demgegenüber steht die Vielzahl an (chemischen) Baustoffen.
„Der grüne Pfad“, steht auf dem Plakat der Bauen-&-Energie-Messe in Wien. Es ist eine Botschaft und ein Signal. Denn in bescheidenem Ausmaß ist die Bauwirtschaft dabei, sich neu zu orientieren. Nicht zuletzt die Proteste der Jungen – Stichwort Fridays for Future – haben Bewusstsein geschaffen. Bauherren achten vermehrt auf Ökologie.
Konzerne spüren das. Sie reagieren beispielsweise mit einem Material, das sie „Ökobeton“nennen – gemeint ist Beton, für den auch Hochbaurestmasse mitverarbeitet wird –, und pochen auf die lange „Lebensdauer“ihres Werkstoffs, damit die kritischen Häuslbauer nicht wegbröckeln. Mit Leben und natürlichem Kreislauf bringt man Mörtel, Zement und Co. sonst ja gemeinhin kaum in Verbindung.
Doch leider ist Beton nicht zu 100 Prozent ohne Qualitätsverlust recycelbar. „Ein kalkreiches Land wie Österreich kann zwar lokal produzieren, aber man muss auch recycelten Beton bei den derzeit üblichen Verfahren immer wieder mit Zement neu mischen. Da kann kein geschlossener Kreislauf entstehen“, erklärt Henriette Fischer.
Dass nicht mehr ökologische Baumaterialien verwendet werden, sei auch eine Frage der Bildung und Bewusstseinsbildung, betont Claytec-Geschäftsführer Maximilian Breidenbach. Lehmbau etwa gelte als historische und damit veraltete Technik. „Ich brachte den Lehm nach Harvard“, erzählt etwa auch die deutsche Architektin Anna Heringer stolz. Zum Thema Lehmbau werde über die afrikanische Stampflehmhütte gelehrt. 60 Tonnen verbaute die vielfach ausgezeichnete 42-jährige Spezialistin für Lehmbauten vor der amerikanischen Hochschule für Design, um wieder Bewusstsein für das traditionelle Material zu schaffen. Und auch Holz gewinnt als CO2-neutraler, nachwachsender Baustoff mehr und mehr Raum. 2023 soll in der Hamburger Hafencity die „Wildspitze“fertig werden, ein 19 Geschoße zählender, 74 Meter hoher Holzbau. Treppenhäuser und untere Etagen sind allerdings aus Beton – aus Gründen des Hochwasserschutzes.