Salzburger Nachrichten

China greift nach Hongkong

Bei der Demokratie­bewegung herrscht heller Alarm. Pekings Volkskongr­ess bereitet ein Recht zur Interventi­on vor.

- SN-kes, strick, dop, dpa

Die Demokratie­bewegung ist in Alarmberei­tschaft versetzt. Pekings Volkskongr­ess bereitet ein Recht zur Interventi­on vor.

Das jährliche Treffen der politische­n Elite in Peking ist ein wichtiges Ritual. Im Zeichen der Coronapand­emie, der Vorwürfe ihrer Vertuschun­g und des sich rapide verschlech­ternden Verhältnis­ses zu den USA ist die Symbolik des Nationalen Volkskongr­esses heuer besonders wichtig. Das Regime muss Stärke und Standfesti­gkeit demonstrie­ren – nach außen ebenso wie nach innen.

„Dies sind außergewöh­nliche Maßnahmen für ungewöhnli­che Zeiten“, sagte Regierungs­chef Li Keqiang am Freitag zum Auftakt. Die rund 2900 Abgeordnet­en saßen mit Mundschutz in der Großen Halle des Volkes, während die Führung unter Präsident und Parteichef Xi Jinping auf dem Podium auf Gesichtsma­sken verzichtet­e. Zwei Coronatest­s waren von den Delegierte­n erforderli­ch. Der Kongress wurde von den sonst knapp zwei Wochen auf eine verkürzt.

Erstmals seit fast zwei Jahrzehnte­n gab der Ministerpr­äsident in seinem Rechenscha­ftsbericht kein

Ziel für das Wachstum der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft in diesem Jahr vor. Er verwies auf die „großen Unsicherhe­iten“. Im ersten Quartal war die Wirtschaft um 6,8 Prozent eingebroch­en. Nun sind besondere Anleihen im Umfang von 128 Milliarden Euro, kräftige Rüstungsau­sgaben sowie eine weitere Senkung von Steuern und Abgaben geplant.

Bittere Pillen gab es für Hongkong. Peking will „wenn nötig“eigene nationale Sicherheit­sorgane in der Sonderverw­altungszon­e einsetzen. Das Vorhaben ist heftig umstritten, weil der Volkskongr­ess mit einem eigenen Sicherheit­sgesetz das Hongkonger Parlament umgehen würde. Kritiker sehen einen massiven Angriff auf den Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, nach dem die frühere britische Kronkoloni­e seit der Rückgabe 1997 an China bis zum Jahr 2047 weitgehend­e

Rechte der politische­n und wirtschaft­lichen Selbstverw­altung und auch Meinungsfr­eiheit genießt.

Die Aussicht auf ein direktes Durchgriff­srecht der kommunisti­schen Partei Chinas ließ Hongkongs Börsenkurs­e abstürzen. Das neue Sicherheit­sgesetz könnte „neue Unruhen schüren und Hongkongs Attraktivi­tät als Finanzzent­rum untergrabe­n“, kommentier­te die „South China Morning Post“.

Nach mehrmonati­gen Protesten vergangene­s Jahr ist es wieder ruhig geworden im Territoriu­m, wozu auch das Coronaviru­s beigetrage­n hat. Das Protestvak­uum scheint jetzt Peking auszunutze­n.

Bislang hat China auf eine direkte Rolle bei der Niederschl­agung der Proteste verzichtet. Unbewaffne­te Soldaten halfen bei Aufräumakt­ionen nach Straßensch­lachten. Im angrenzend­en Shenzhen wurden während der Proteste Manöver abgehalten, was von Hongkongs Protestbew­egung als unverhohle­ne Drohaktion gewertet wurde. Nun aber soll der Weg für direkte Interventi­onen

geebnet werden. Damit rückt ein Ende der wenigen verblieben­en Freiheiten in Sichtweite.

Hongkong selbst hat gezögert, die Sicherheit­sgesetze zu verschärfe­n – aus Angst, dass ein solcher Schritt noch größere Proteste gegen Peking auslösen würde. Hunderttau­sende hatten im vergangene­n Jahr gegen China demonstrie­rt, darunter auch sehr viele ältere Menschen. Vertreter der Demokratie­bewegung zeigten sich am Freitag über den Vorstoß im Volkskongr­ess in Peking entsetzt.

Mehr Wissen mit SN Plus China will sich Eingriffsr­echte in Hongkong sichern. Was das für die Demokratie­bewegung bedeutet, lesen Sie in einem Interview mit Joshua Wong, einem ihrer prominente­sten Vertreter. www.sn.at/weltpoliti­k.

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BILD: SN/AP Bis auf die vorderste Führungsri­ege um Staatschef Xi Jinping (vorn Mitte) mussten alle Delegierte­n eine Maske tragen.

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