Chinas Geschäft mit den Uiguren
Erst eingesperrt, dann abtransportiert: Ein Report wirft ein neues Schlaglicht auf den Umgang Chinas mit seinen Minderheiten.
Es war eine Meldung, die angesichts der aufkommenden Coronapandemie unterging: „Westliche Unternehmen profitieren von Uiguren-Zwangsarbeit“, hieß es in einer Agenturmeldung von Anfang März. Die große Empörung blieb aus. Obwohl die Menschenrechtsverstöße des chinesischen Regimes uns damit noch nie so greifbar waren, wie die Recherchen der australischen Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute (ASPI) nahelegen.
Laut dem Bericht soll die chinesische Regierung 2017 ein „Arbeitsvermittlungsprogramm“für Uiguren
aufgenommen haben. Was zunächst harmlos klingt, kann aber laut den Autorinnen und Autoren mit einem Wort beschrieben werden: Zwangsarbeit.
Mindestens 80.000 Uiguren wurden laut dem Bericht von Xinjiang aus in andere Teile Chinas gebracht, um im Zeitraum von 2017 bis 2019 dort in Fabriken zu arbeiten. Zum Teil kommen die uigurischen Arbeiter direkt aus den Umerziehungslagern, die im vergangenen Herbst international für Aufsehen sorgten (s. Zusatz).
Die Verteilung der in den Lagern internierten Uiguren auf Produktionsstätten im ganzen Land ist nicht abgeschlossen. Durch die Coronakrise im Land verzögerte sich dies, da die Fabriken teils Monate geschlossen waren. Doch die chinesische Regierung soll das Programm wieder aufgenommen haben.
Unter den Fabriken, die uigurische Arbeiter beschäftigen, befinden sich Zulieferungsbetriebe internationaler Großkonzerne. Die Liste der betroffenen Unternehmen liest sich wie das Who’s who der Markennamen weltweit: Sportartikelproduzent Adidas genauso wie US-Rivale Nike, Smartphonehersteller Apple, Samsung, Huawei sowie Siemens, VW, H&M und Amazon. Insgesamt 27 Fabriken in neun chinesischen Provinzen hat die australische Denkfabrik ausfindig gemacht, die seit 2017 uigurische Arbeiter ausbeuten.
Gemeinsam mit vier weiteren Autorinnen und Autoren hat Kelsey Munro an dem Bericht mit dem Titel „Uyghurs For Sale“(zu Deutsch: Uiguren zu verkaufen) geschrieben. „Wir fanden Hinweise darauf, dass uigurische Arbeiter einer ständigen Überwachung ausgesetzt sind, auch außerhalb ihrer Arbeitszeit“, erläutert Munro. Wann die uigurischen Arbeiter in den Fabriken anträten und wann sie wieder gingen, werde über Kameras mit Gesichtserkennung kontrolliert. Selbst in den Schlafsälen befinden sich Überwachungskameras.
Zudem gebe es Hinweise, dass die uigurischen Arbeiter dazu gezwungen würden, eine App auf ihrem Mobiltelefon zu installieren. Auf diese Weise wird ihre private Kommunikation über den Nachrichtendienst WeChat, eine Art chinesisches WhatsApp, überwacht.
Neben der Arbeit müssen die Uiguren – ähnlich wie in den Umerziehungslagern in Xinjiang – Unterrichtsstunden nehmen, in denen sie nach der Arbeit Mandarin lernen. Im Fach „Patriotische Erziehung“werden die Uiguren ideologisch auf Linie der Kommunistischen Partei gebracht.
Für jeden einzelnen uigurischen Arbeiter, der in einer Fabrik unterkommt, bekommt das Unternehmen eine Art Kopfgeld. Das kann für chinesische Firmen ziemlich lukrativ sein, wie der ASPI-Bericht nahelegt. Laut einer Notiz der Regierung in der Provinz Xinjiang von 2018 bekommen Firmen für einen uigurischen Arbeiter mit einem Einjahresvertrag 1000 Yuan, rund 125 Euro. Für einen Zwangsarbeiter mit Dreijahresvertrag erhält die Fabrik 5000 Yuan, knapp 625 Euro. Uiguren, die sich weigern, an der „Arbeitsvermittlung“teilzunehmen, droht die Inhaftierung.
Nach Lesart der Regierung in Peking ist das „Arbeitsvermittlungsprogramm“eine Art Förderprogramm.
Eine Maßnahme, um die muslimische Minderheit der Uiguren aus der Armut zu holen und sie vom Einfluss des radikalen Islamismus fernzuhalten. Kritiker hingegen sehen diese Maßnahmen als Teil einer Kampagne zur Beseitigung der ethnischen und kulturellen Identität von Uiguren und anderer muslimischer Minderheiten in China.
Doch nicht nur die chinesische Regierung steht in der Kritik. Auch die internationalen Unternehmen, in deren Zulieferungsfirmen die uigurischen Zwangsarbeiter tätig
sind, stehen unter Druck. Die Autorinnen und Autoren des Berichts haben alle 83 Marken angeschrieben, um sie über die Missstände in ihren Lieferketten zu informieren.
„Es war enttäuschend, dass einige Unternehmen lediglich eine sorgfältig formulierte PR-Antwort gaben“, sagt Analystin Kelsey Munro. Sie kritisiert, dass sich viele der globalen Unternehmen weiterhin auf die Zusicherung der chinesischen Firmen verlassen, dass keine Zwangsarbeit in der Fabrik stattfindet. Eigene Kontrollen blieben aber meist aus.