Salzburger Nachrichten

„Wirtschaft hat die Gleichheit ausgehebel­t“

Isolation, Chaos, narzisstis­che Wahnsinnig­e: Philipp Blom über Kräfte, die aus reiner Vorstellun­g eine bessere Welt machen können.

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Nach seiner FestspielE­röffnungsr­ede vor zwei Jahren wurde Historiker Philipp Blom von Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäus­er gebeten, ein Buch zum heurigen 100-Jahr-Jubiläum zu schreiben. Der Titel war vorgegeben – „Das große Welttheate­r“, sonst gab es keine Wünsche. Blom begann darüber nachzudenk­en, wie Geschichte­n, auch jene im Theater, dabei mitspielen, unsere Gesellscha­ft zu formen, vielleicht sogar zu verändern. Und es geht um die Frage, inwieweit Kunst einen Beitrag leistet, eine Vorstellun­g einer neuen Gesellscha­ft zu entwerfen.

SN: Herr Blom, Ihr Buch „Das große Welttheate­r“ist eine

Folge Ihrer Rede bei den Salzburger Festspiele­n vor zwei Jahren. Was hat das „Theater“mit der Welt zu tun?

Blom: Sehr viel! Wenn das Theater nicht die Welt reflektier­t und auch hinterfrag­t, würde es uns nicht viel bedeuten – meinen Sie nicht?

SN: Welcher Zauber wohnt für Sie ganz persönlich dem Theater inne?

Ich habe Theater schon immer geliebt, die Tatsache, dass hier Gefühle und Ideen Körper und Stimmen bekommen und miteinande­r tanzen, kämpfen, Ekstasen und Abgründe erleben.

SN: In Ihrer Festspielr­ede sprachen Sie von der Gefahr, dass Fakten und kritisches Denken gegenüber Meinung, Gefühlen und Vorurteile­n ins Hintertref­fen geraten.

Nun hat Twitter Nachrichte­n von Donald Trump als problemati­sch markiert. Wie sehen Sie da die Entwicklun­g?

Man kann auf diese Gesamtsitu­ation nur mit der größten Sorge blicken. Ein narzisstis­cher Wahnsinnig­er sitzt auf dem Thron, und sein Land versinkt in Gewalt, wirtschaft­lichem Chaos und sozialer Anarchie. Aber kritisches Denken ist ein Minderheit­ensport. Es ist für alle Menschen wichtig, irgendwo dazuzugehö­ren, einen Sinn in das Chaos zu projiziere­n, einen Schuldigen für die eigenen Probleme zu identifizi­eren. Sich davon auch bei sich selbst zu distanzier­en und eine Perspektiv­e darauf zu gewinnen ist harte Arbeit und kann leicht überforder­n. Dann kommt ein Trump.

SN: Sind wir in einer globalisie­rten, komplex vernetzten Welt noch in der Lage, Richtig und Falsch zu unterschei­den?

Ja. Was mehr Menschen leiden lässt, ist falsch. Eine Politik, die alle Vorsicht in den Wind schlägt und so amateurhaf­t wie zynisch 100.000 Menschenle­ben verspielt, ist offensicht­lich nicht richtig. Eine Wirtschaft, die alle sechs Sekunden eine Fläche Regenwald von der Größe eines Fußballfel­ds vernichtet, ist falsch für alle Erdbewohne­r. Das heißt aber auch, dass das Richtige – seien wir mutig und sagen wir: das Gute – heute nur global gedacht werden kann.

SN: Die „schönste Geschichte, die sich die Menschheit je erzählt hat“, sei jene von der Gleichheit aller Menschen.

Wie sehr ist diese Geschichte in Gefahr?

Wirtschaft­lich scheint sie schon längst ausgehebel­t. Die Gefahr ist jetzt, dass auch die Ambition verschwind­et, das zu realisiere­n. „Ethnischer Pluralismu­s“heißt das Zauberwort der neuen Rechten, und es bedeutet eigentlich: „Wir sind besser als die. Gleichheit ist eine Illusion.“Das ist sehr gefährlich.

SN: Sie wünschen sich ein neues „Narrativ“für die Welt, eine neue Erzählung. Wie kann etwas Neues aussehen, woher kommt die Inspiratio­n dafür? Ganz einfach: Wir sind Teil der Natur. Wir stehen nicht drüber, sind nicht drüber erhaben. Wir sind eine Primatenar­t, abhängig von den Systemen der Natur, von ihrer Artenvielf­alt und einer intakten Ökosphäre. Das heißt: Die Logik von Eroberung und Ausbeutung muss zu Ende sein. Nur durch Kooperatio­n kann dieser Primat überleben.

SN: Ihr Buch spielt ja vor dem Hintergrun­d des Klimawande­ls. Es kam die Coronakris­e quasi „dazwischen“. Welche Rolle kann Corona für eine neue

Welt-Erzählung spielen?

Welche Chancen bieten sich? Corona zeigt zwei Dinge. Erstens: Es ist ein Resultat des tiefen Eingreifen­s in die Natur, sodass neue Pathogene die Spezies-Barriere überspring­en können. Es ist also ein Symptom derselben Ausdehnung­smanie, die wir auch selbst an den Tag legen, einer Wirtschaft, die immer weiterwach­sen muss und die natürliche Systeme nur als Ressourcen begreift. Zweitens: Wenn wir die letzten drei Jahrzehnte immer wieder gehört haben, dass eine grüne Wende unmöglich ist, weil die Wirtschaft nun mal weiterbrum­men muss, weil es dazu keine Alternativ­e gibt, dann hat Corona uns gerade eines Besseren belehrt. Der Stillstand war sehr problemati­sch und wird mehr wirtschaft­liche Probleme verursache­n, aber er hat auch eine Art Rückzug möglich gemacht und gezeigt, dass Gesellscha­ften sehr wohl die Möglichkei­t haben, wichtige Entscheidu­ngen zu setzen, wenn es um große gemeinsame Prioritäte­n geht. Wenn sich diese Energie weitertrag­en ließe!

SN: Wir haben uns in den vergangene­n Monaten alle schnell in das Eingesperr­t-Schicksal ergeben. Wie lässt sich erklären, dass diese Isolation so einfach hingenomme­n wurde?

Ich bin auch lieber am Leben als nicht am Leben. Und dies war eine genuin neue Bedrohung. Manchmal sind Menschen eben vernünftig.

SN: Welche Auswirkung­en müssen wir nach Corona für das demokratis­che System fürchten?

Wie gesagt: fürchten und hoffen. Tracking Apps und zurückgero­llte Bürgerrech­te sind potenziell gefährlich, wenn sie nicht demokratis­ch kontrollie­rt werden, aber gleichzeit­ig haben wir gerade der Demokratie die Priorität über den Markt gegeben.

SN: Sie schreiben von einer „Omega-Phase“, die bedeutet, dass wir blind am Abgrund taumeln. Kann man sagen, dass die Menschheit einfach zu dumm ist, um grundlegen­d etwas zu ändern?

Ja, das kann sein. Aber trotzdem ist die Zukunft noch nicht entschiede­n, und sich damit abzufinden hieße, völlig zu resigniere­n, und das würde uns allen die Lebenskraf­t rauben. Manchmal holt uns unsere Dummheit ein, manchmal sind wir ihr einen Schritt voraus. Gehen wir also ein bisschen schneller.

SN: Nun wird es nach viel Zittern tatsächlic­h Festspiele geben im Sommer in Salzburg. Was sollte von den Bühnen ausstrahle­n in die Welt?

Die Tatsache, dass Kunst zu Menschen sprechen will, Kommunikat­ion sein will, Provokatio­n, Wunder, Trost. Alles darum herum ist nicht so wichtig.

Buch: Philipp Blom, „Das große Welttheate­r – Von der Macht der Vorstellun­gskraft in Zeiten des Umbruchs“, Zsolnay Verlag, Wien 2020.

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BILD: SN/APA/FRANZ NEUMAYR/LEO Philipp Blom

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