Kunstsinn und Wissenschaft lassen sich vereinen
„Publikum“heißt die Gemeinschaft von Menschen, die sich um ein Kunstwerk versammelt. „Community“nennt man in der Wissenschaft eine fachspezifische Denkgemeinschaft. Womit es dem Salzburger Universitätsprofessor Michael Fischer (1945–2014) gelungen ist, eine Publikums-Community zu gründen, also mitfühlendes Staunen über Kunst mit Forschergeist zu vereinen, ist nun in einem Buch aufs Neue aufzuspüren, das zum Jubiläum der Salzburger Festspiele erschienen ist. Dabei ist der 543-Seiten-Wälzer nur ein Ausschnitt dessen, was Michael Fischer in seinen mit Gerard Mortier 1993 initiierten „Festspiel-Dialogen“in zwei Jahrzehnten an Denkweisen in die Welt gesetzt hat.
Der Literaturwissenschafter Karl Heinz Bohrer fächert etwa eine dionysische Ästhetik und das Theatrale von Macht auf. Der Kulturwissenschafter Thomas Macho erläutert anhand des „Jedermann“
die Trauerarbeit. Der italienische Philosoph und frühere Bürgermeister von Venedig, Massimo Cacciari, enthüllt die Wesensgemeinschaft von Kunst und Terror.
Vor der Dicke des Buchs braucht man sich nicht schrecken: Die knapp vierzig, großteils im Schüttkasten gehaltenen Vorträge sind jeweils eigenständige Essays, die über die Klammer der „Festspiel-Dialoge“zum Kompendium werden. Dieses bezeugt eine kulturelle Geistesgeschichte um und zu den Salzburger Festspielen, die in Vielfalt, Vielschichtigkeit und Tiefe sowie in ihrem Vereinbaren von Kunstsinn und Wissenschaft dringend einer Fortsetzung bedarf.