Trinkt und seid fröhlich!
Er hing gerne auf öffentlichen Plätzen rum. Nicht selten rief er Passanten Beleidigungen hinterher. Je höher sie von Rang waren, umso lächerlicher hat er sich über sie gemacht. Mit der Hygiene nahm er es auch nicht so genau. Er galt als genügsam und achtete darauf, dass seine Grundbedürfnisse befriedigt sind. Faul war er auch: Da der Geschlechtsverkehr mit Frauen für ihn zu viel Zeit beanspruchte, onanierte er lieber. Sogar in der Öffentlichkeit.
Dieser Mann ist heute weltberühmt. Er heißt Diogenes. Diesem griechischen Philosophen haben wir tief schürfende Überlegungen zum Thema Freiheit zu verdanken. Als Lehrer akzeptierte er nur Antisthenes, einen Schüler von Sokrates. Weil dieser ein klassischer Wasser predigender Weintrinker gewesen sein soll, verglich er ihn mit einer Trompete: „So viel Lärm er auch macht – sich selbst kann er nicht hören.“Antisthenes entgegnete, Diogenes sei wie eine Wespe: „Er macht wenig Lärm, sticht aber umso schärfer.“
Womit wir beim Lärm und Getöse um Gastrogutscheine angekommen wären. Es darf bezweifelt werden, ob sich ein Wirt darüber freuen soll, dass Gäste dank eines einmaligen Almosens bei ihm einkehren. Mit diesen Gutscheinen wird eine jahrtausendalte Kulturleistung entwertet – und unsere Gesellschaft gleich dazu. An diesem Punkt angelangt müssen wir uns eingestehen: Da ist allerhand an Lebenskunst verloren gegangen. Würde die Politik der Gastronomie den Stellenwert geben, den sie verdient, dann sollte sie die Wirte fördern wie Künstler. Weil jedes Dorf und jedes Grätzel, das seine Wirtshäuser samt ihren Stammtischen verliert, seine Bürger an gesichtslose LieferserviceFirmen und Hassprediger im Internet ausliefert.
Juristisch betrachtet ist ein Gastrogutschein eine Art „einstweilige Vergnügung“, die dem Genuss, zu dem der Mensch fähig ist, nicht im Geringsten gerecht wird. Wie mächtig und wirksam ist dagegen eine Erinnerung an einen Brauch der alten Ägypter. Aus antiken Quellen geht hervor, dass Träger bei opulenten Gastmählern ein großes Bild des Todes zeigten und ausriefen: „Trink und sei fröhlich, denn tot wirst du sein wie dieser.“Diese Erkenntnis macht keinen Lärm. Und sie erinnert an Diogenes: Genuss sollte für uns kein Gutschein sein – sondern ein Grundbedürfnis.