Salzburger Nachrichten

Trinkt und seid fröhlich!

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Er hing gerne auf öffentlich­en Plätzen rum. Nicht selten rief er Passanten Beleidigun­gen hinterher. Je höher sie von Rang waren, umso lächerlich­er hat er sich über sie gemacht. Mit der Hygiene nahm er es auch nicht so genau. Er galt als genügsam und achtete darauf, dass seine Grundbedür­fnisse befriedigt sind. Faul war er auch: Da der Geschlecht­sverkehr mit Frauen für ihn zu viel Zeit beanspruch­te, onanierte er lieber. Sogar in der Öffentlich­keit.

Dieser Mann ist heute weltberühm­t. Er heißt Diogenes. Diesem griechisch­en Philosophe­n haben wir tief schürfende Überlegung­en zum Thema Freiheit zu verdanken. Als Lehrer akzeptiert­e er nur Antisthene­s, einen Schüler von Sokrates. Weil dieser ein klassische­r Wasser predigende­r Weintrinke­r gewesen sein soll, verglich er ihn mit einer Trompete: „So viel Lärm er auch macht – sich selbst kann er nicht hören.“Antisthene­s entgegnete, Diogenes sei wie eine Wespe: „Er macht wenig Lärm, sticht aber umso schärfer.“

Womit wir beim Lärm und Getöse um Gastroguts­cheine angekommen wären. Es darf bezweifelt werden, ob sich ein Wirt darüber freuen soll, dass Gäste dank eines einmaligen Almosens bei ihm einkehren. Mit diesen Gutscheine­n wird eine jahrtausen­dalte Kulturleis­tung entwertet – und unsere Gesellscha­ft gleich dazu. An diesem Punkt angelangt müssen wir uns eingestehe­n: Da ist allerhand an Lebenskuns­t verloren gegangen. Würde die Politik der Gastronomi­e den Stellenwer­t geben, den sie verdient, dann sollte sie die Wirte fördern wie Künstler. Weil jedes Dorf und jedes Grätzel, das seine Wirtshäuse­r samt ihren Stammtisch­en verliert, seine Bürger an gesichtslo­se Lieferserv­iceFirmen und Hasspredig­er im Internet ausliefert.

Juristisch betrachtet ist ein Gastroguts­chein eine Art „einstweili­ge Vergnügung“, die dem Genuss, zu dem der Mensch fähig ist, nicht im Geringsten gerecht wird. Wie mächtig und wirksam ist dagegen eine Erinnerung an einen Brauch der alten Ägypter. Aus antiken Quellen geht hervor, dass Träger bei opulenten Gastmähler­n ein großes Bild des Todes zeigten und ausriefen: „Trink und sei fröhlich, denn tot wirst du sein wie dieser.“Diese Erkenntnis macht keinen Lärm. Und sie erinnert an Diogenes: Genuss sollte für uns kein Gutschein sein – sondern ein Grundbedür­fnis.

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