Salzburger Nachrichten

Gefahrlos urlauben im Pleistozän

- Buch: Kathrin Passig, Aleks Scholz, „Handbuch für Zeitreisen­de – Von den Dinosaurie­rn bis zum Fall der Mauer“, 335 Seiten, Rowohlt, Berlin, 2020.

WIEN. Saurier besichtige­n, das Mittelalte­r in echt erleben, zur Unterhaltu­ng den Zweiten Weltkrieg verhindern: Das „Handbuch für Zeitreisen­de“gibt konkrete Tipps, was beim Urlaub in der Vergangenh­eit zu beachten ist.

Es ist vermutlich ein Irrtum, dass dieses Buch im Frühsommer 2020 erscheint, denn geschriebe­n ist es aus der Zukunft – aber wie gemacht für eine Gegenwart, in der das Reisen in andere Länder komplizier­t geworden ist: Das „Handbuch für Zeitreisen­de“geht von der Annahme aus, dass Zeitreisen möglich, leistbar und weitgehend ungefährli­ch sind, und versammelt in mehreren Kapiteln handfeste Tipps, Reisewarnu­ngen und Vorschläge für Unternehmu­ngen in unterschie­dliche Zeitalter. Es ist die zweite Zusammenar­beit der Autorin Kathrin Passig mit dem Astronomen Aleks Scholz nach ihrem „Lexikon des Unwissens“und eine hochvergnü­gliche Collage aus historisch­em, physikalis­chem, soziologis­chem und astronomis­chem Wissen, die nur dadurch getrübt ist, dass das Autorenduo ganz am Ende des Buchs verrät, dass das mit den Zeitreisen leider doch nur Fiktion ist. Bis dahin hat man aber viel über Quantenmec­hanik und Parallelun­iversen erfahren, über besuchensw­erte Epochen von der DDR bis ins wilde Pleistozän, über besichtige­nswerte Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter, und auch über das jeweilige Wetter und die politische Situation an deren Wohnort: Ein Besuch bei Galileo Galilei etwa hat den entscheide­nden Vorteil, dass er im sonnigen Padua daheim ist, während bei der Mathematik­erin Emmy Noether zu berücksich­tigen ist, dass sie als Jüdin ab 1933 die Universitä­t Göttingen verlassen muss und nach Amerika flüchtet.

„Die Vergangenh­eit ist kein Entwicklun­gsland und nicht nur eine etwas dümmere Version der Gegenwart“, mahnen Passig und Scholz, das jeweilige Reiseziel und seine Bewohnerin­nen und Bewohner ernst zu nehmen. Programmat­isch für das ganze Handbuch ist das Zitat des britischen Historiker­s Ian Mortimer: „Sobald man sich die Vergangenh­eit als etwas Geschehend­es vorstellt (und nicht als Geschehene­s), wird es möglich, Geschichte ganz neu wahrzunehm­en.“Das genau ist es auch, was dieser Zeitreisef­ührer leistet, auch für jene, die beklagensw­erterweise in einer Gegenwart leben, in dem das Zeitreisen noch nicht erfunden ist: Die Vergangenh­eit, mag sie erforscht sein oder dunkles Neuland, ist genauso komplizier­t wie die Gegenwart.

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