Gefahrlos urlauben im Pleistozän
WIEN. Saurier besichtigen, das Mittelalter in echt erleben, zur Unterhaltung den Zweiten Weltkrieg verhindern: Das „Handbuch für Zeitreisende“gibt konkrete Tipps, was beim Urlaub in der Vergangenheit zu beachten ist.
Es ist vermutlich ein Irrtum, dass dieses Buch im Frühsommer 2020 erscheint, denn geschrieben ist es aus der Zukunft – aber wie gemacht für eine Gegenwart, in der das Reisen in andere Länder kompliziert geworden ist: Das „Handbuch für Zeitreisende“geht von der Annahme aus, dass Zeitreisen möglich, leistbar und weitgehend ungefährlich sind, und versammelt in mehreren Kapiteln handfeste Tipps, Reisewarnungen und Vorschläge für Unternehmungen in unterschiedliche Zeitalter. Es ist die zweite Zusammenarbeit der Autorin Kathrin Passig mit dem Astronomen Aleks Scholz nach ihrem „Lexikon des Unwissens“und eine hochvergnügliche Collage aus historischem, physikalischem, soziologischem und astronomischem Wissen, die nur dadurch getrübt ist, dass das Autorenduo ganz am Ende des Buchs verrät, dass das mit den Zeitreisen leider doch nur Fiktion ist. Bis dahin hat man aber viel über Quantenmechanik und Paralleluniversen erfahren, über besuchenswerte Epochen von der DDR bis ins wilde Pleistozän, über besichtigenswerte Wissenschafterinnen und Wissenschafter, und auch über das jeweilige Wetter und die politische Situation an deren Wohnort: Ein Besuch bei Galileo Galilei etwa hat den entscheidenden Vorteil, dass er im sonnigen Padua daheim ist, während bei der Mathematikerin Emmy Noether zu berücksichtigen ist, dass sie als Jüdin ab 1933 die Universität Göttingen verlassen muss und nach Amerika flüchtet.
„Die Vergangenheit ist kein Entwicklungsland und nicht nur eine etwas dümmere Version der Gegenwart“, mahnen Passig und Scholz, das jeweilige Reiseziel und seine Bewohnerinnen und Bewohner ernst zu nehmen. Programmatisch für das ganze Handbuch ist das Zitat des britischen Historikers Ian Mortimer: „Sobald man sich die Vergangenheit als etwas Geschehendes vorstellt (und nicht als Geschehenes), wird es möglich, Geschichte ganz neu wahrzunehmen.“Das genau ist es auch, was dieser Zeitreiseführer leistet, auch für jene, die beklagenswerterweise in einer Gegenwart leben, in dem das Zeitreisen noch nicht erfunden ist: Die Vergangenheit, mag sie erforscht sein oder dunkles Neuland, ist genauso kompliziert wie die Gegenwart.