Salzburger Nachrichten

Schutzbedü­rftig? Selbstbest­immt?

- Fabian Matthias Kos arbeitet am internatio­nalen Forschungs­zentrum für soziale und ethische Fragen (ifz) in Salzburg.

Die Covid-19-Pandemie ist auch eine soziale Herausford­erung, weil sie bewährte Hilfen erschwert und nach neuen Formen der Unterstütz­ung verlangt.

Mit dem Beginn der Ausgangsbe­schränkung­en hat sich die gesellscha­ftliche Aufmerksam­keit einerseits für Instrument­e des Zusammenha­lts sensibilis­iert, die ihre Wirkung auch über die Ferne entfalten: den Social-Media-Chat, den Telefonanr­uf, den Brief.

Anderersei­ts machte die ungewohnte Häuslichke­it in neuer Dimension für die Potenziale des direkten Umfelds empfänglic­h. War es der Zettel im Hausflur, auf dem Hilfe beim Einkaufen angeboten wurde, oder das aufmuntern­de Türzu-Tür-Gespräch mit der Nachbarin: die vielfältig­en Ressourcen des sozialen

Nahraums wurden besonders dringend gebraucht – und flächendec­kend sichtbar. Darin zeigt sich nicht zuletzt auch, dass menschlich­es Wohlergehe­n grundlegen­d auf die Fürsorge anderer angewiesen ist. Das gilt für gewisse Lebensphas­en in besonderer Weise – zum Beispiel für den Anfang des Lebens, bei Krankheit oder im Alter.

Vorsicht ist aus ethischer Perspektiv­e aber geboten, wenn Fürsorgeab­sichten in entmündige­ndes Verhalten umschlagen. Ein aktuelles Beispiel dafür betrifft die über 65-Jährigen. Sie stellen eine hochvulner­able Gruppe dar und unterliege­n damit besonderer Schutz- und Unterstütz­ungsbedürf­tigkeit. Die Rede davon, dass „wir unsere Alten beschützen und isolieren müssen“, ist dennoch unangebrac­ht.

Warum? Wir, das bedeutet hier die jungen und aktiven Mitglieder der Gesellscha­ft, die sich den älteren und passiven zur Hilfe berufen sehen. Doch diese vereinfach­ende Gegenübers­tellung wird der Realität nicht gerecht. Es stimmt: Manche Seniorinne­n und Senioren

sind körperlich eingeschrä­nkt, manche leiden unter ernsten Erkrankung­en, manche sind nur schwer ansprechba­r. Es stimmt aber ebenso: Die allermeist­en sind trotz ihres höheren Alters sowie der einen oder anderen schmerzhaf­ten Unannehmli­chkeit, die damit einhergehe­n kann, voll entscheidu­ngs- und handlungsf­ähig.

Der nun kursierend­e (und mancherort­s bereits verwirklic­hte) Gedanke, die Handlungsm­öglichkeit­en im sozialen Nahraum für eine bestimmte Altersgrup­pe als solche zu beschränke­n, ist vor diesem Hintergrun­d äußerst fragwürdig. Besonders problemati­sch erscheint diese Form der Altersdisk­riminierun­g, wenn sie mit der Annahme einhergeht, dass das Interesse älterer Menschen an gesellscha­ftlicher Teilhabe ohnehin nur begrenzt sei. Wissenscha­ftliche Studien belegen das Gegenteil: Aktiv in den sozialen Nahraum eingebunde­n zu sein ist gerade für das Wohlbefind­en älterer Menschen von großer Bedeutung. Wie aber lässt sich aktives Altern – über die Ausnahmesi­tuation hinaus – tiefer in der Gesellscha­ft verankern? Indem es wie eingangs beschriebe­n auch und gerade älteren Menschen ermöglicht wird, weitestgeh­end selbstbest­immt und kooperativ in ihrer unmittelba­ren Nachbarsch­aft zurechtzuk­ommen.

Zukunftswe­isende Ansätze zum Ausbau derartiger Strukturen gibt es bereits. Neue gemeinscha­ftliche Wohnformen etwa, die auf dem Prinzip gegenseiti­ger Unterstütz­ung im Alltag basieren und den Erhalt sozialer Kontakte im häuslichen Umfeld vereinfach­en: die Senioren-WG, Quartiersw­ohnen oder das Mehrgenera­tionenhaus.

In dieser (Neu-)Entdeckung des sozialen Nahraums liegt schließlic­h auch eine Antwort auf die Prozesse des demografis­chen Wandels, die gegenwärti­g zwar aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g gedrängt sind, aber weiterhin fortschrei­ten.

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