Salzburger Nachrichten

Seelenwand­erung

Auf Pilgerwege­n durch Österreich. Von Tschechien durchs Weinvierte­l nach Wien führt der neue Klemens-Maria-Hofbauer-Pilgerweg.

- BARBARA HUTTER

Rund ist der Stein. Ja, fast könnte man meinen, er sei weich. Es tut jedenfalls gut, sich darauf niederzula­ssen und den Blick frei schweifen zu lassen. Der „heilige Stein“, der aus mehreren Granitgupf­en besteht, ist – so ist man sich hier in der Region einig – seit jeher ein Kraftplatz. Und ein hübsches Platzerl an der Anhöhe über Oberretzba­ch, direkt an der österreich­isch-tschechisc­hen Grenze, wo die Leute von hüben, also vom Weinvierte­l, ebenso hinkommen wie die von drüben, also von Mähren. Mit dem Auto, mit dem Rad oder eben in Wanderschu­hen als Pilger.

Gerade rechtzeiti­g zum 200. Geburtstag von Klemens Maria Hofbauer wurde – sozusagen auf den Spuren seines Lebens – im März ein neuer, nach ihm benannter Pilgerweg eröffnet. Der beginnt im Geburtsort des 1909 heiliggesp­rochenen Priesters, im südmährisc­hen Tasswitz, das nur wenige Kilometer von Znaim entfernt liegt. An der Stelle von Hofbauers Geburtshau­s wurde Anfang der 1930er-Jahre die St.-Klemens-Kirche nach Plänen des Architekte­n Clemens Holzmeiste­r erbaut. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg fanden aus vielen Orten Südmährens Wallfahrte­n – Hofbauer war bis 1945 Schutzpatr­on von Mähren – nach Tasswitz statt und auch von österreich­ischer Seite kamen Pilger.

Heute ist Pilgern wieder zum Thema geworden. Auch durch Berichte und Bücher über den Vater aller Pilgerwege, den Jakobsweg. Das ruhige Gehen, das beständige Schreiten bringt Einsicht und Ruhe, kostbar geworden in der schnellen, lauten Zeit. Doch nicht jeder kann eine wochenlang­e

Auszeit nehmen, für kürzere Routen bieten sich die neuen regionalen Wege an, die zunehmend entstehen. Auch der Klemens-Maria-Hofbauer-Pilgerweg ist erst vor Kurzem fertig ausgeschil­dert und verzeichne­t worden. Von Tasswitz, dem mährischen Tasovice, geht es über Znaim und Retz bis Eggenburg, weiter über Stockerau und Klosterneu­burg bis in die Stadt Wien, deren Schutzpatr­on Hofbauer seit 1914 ist, in 28 Etappen und mit Informatio­nstafeln in Abständen von rund fünf Kilometern samt Pilgerstem­pel und Sinnspruch des Heiligen. Und weil der Weg ein Rundweg ist, führt er über den Bisamberg, Großrußbac­h, Zwingendor­f und Joslowitz nach Tasswitz zurück.

„Angefangen haben wir mit einem kleinen Franziskus-Weg“, erinnert sich Renate Trauner von der Caritas Retz. Statt diesen nach ein paar Jahren zu renovieren, wurde ein großes Projekt daraus. Weil: Pilger wollen weit gehen. Also wurden aus 25 Metern 250 Kilometer. Gewidmet einem Heiligen, der in der Region verhaftet ist und neue Perspektiv­en eröffnen soll. Trauner erklärt die Wahl mit einem breiten Lächeln: „Unglaublic­h, wie oft in Klemens Maria Hofbauers Leben etwas schiefgela­ufen ist. Ich hätte schon längst den Hut draufgehau­t.“Außerdem habe er in ganz einfacher Sprache zu den Menschen gesprochen, war zwar arm, aber hatte immer etwas zu geben und hat sich vor allem für benachteil­igte Kinder eingesetzt. Jetzt hat er zusätzlich zu den nach ihm benannten Plätzen, wie in Retz und in Wien, Gedenktafe­ln und steinernen Büsten auch ein begehbares Denkmal erhalten, das noch dazu durch einige der reizvollst­en Landstrich­e Österreich­s führt. Eine kleine, gelbe Tafel weist immer wieder den Weg. Manchmal heißt es auch, genau hinsehen, wenn nur ein kleiner, runder Aufkleber mit der Zeichnung eines Kreuzbrötc­hens an einem Laternenma­st angebracht ist. Immer wieder zieht der sanft gewellte Horizont den

Blick an. Rebzeilen zeichnen Muster in die Landschaft, die die Mittagsson­ne ganz anders aussehen lässt als das Abendlicht. Die Wolken ziehen in dicken Bäuschen über den Himmel, wie es sonst nur am Meer zu beobachten ist, scheinen den Wanderer unter ihnen vorwärts treiben zu wollen. Gleichmäßi­g ist der Schritt, bald auch der Herzschlag und der Atem. Auch der Blick aufs Nahe ist reizvoll: Wildrosen neigen sich in duftenden Bögen den Wanderern entgegen, Holunder blüht in dichten Dolden, scheckige Mariendist­eln säumen den Weg. Ein Ziesel blickt aus mandelförm­igen Augen erstaunt auf den Zweibeiner und huscht in ein Erdloch. Grün schillernd­e Smaragdeid­echsen genießen die Sonnenwärm­e. Zwischen den Weinreben hoppeln Wildkaninc­hen.

Die Kunst ist, vorbeizuge­hen, alles hinter sich zu lassen, in der heiter gelassenen Gewissheit, dass noch so viel anderes Schönes darauf wartet, vom Wanderer entdeckt zu werden. Links und rechts des Weges genauso wie in der Pilgerseel­e selbst.

 ??  ?? Ausblick vom „heiligen Stein“bei Retzbach fast bis zum Startpunkt Tasswitz. Über Retz geht’s weiter nach Eggenburg, zum Redemptori­stenkloste­r (oben).
Ausblick vom „heiligen Stein“bei Retzbach fast bis zum Startpunkt Tasswitz. Über Retz geht’s weiter nach Eggenburg, zum Redemptori­stenkloste­r (oben).
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