„Selbstverständlich kann ein Fall Ischgl auch im Sommer passieren“
Seit Wochen treten in Salzburg kaum noch Neuinfektionen mit dem Coronavirus auf. Der Einsatzstab des Landes stellte am Freitag nach 108 Tagen seine Arbeit ein. Bis Ende Juni läuft ein Übergangsbetrieb, danach soll ein Stufenplan in Kraft treten. Einsatzstäbe in den Bezirken sollen künftig bei Neuinfektionen Kontaktpersonen identifizieren und isolieren.
Die Bilanz: Bei 34.500 Tests wurden insgesamt 1241 Erkrankungen festgestellt. Zu Spitzenzeiten wurden teilweise mehr als 100 Neuinfektionen gemeldet – täglich. Zum Höhepunkt der Ausbreitung von Covid-19 am 3. April waren es 857 Infizierte, die sich im Bundesland aufgehalten haben. Derzeit sind zwei aktive Fälle bekannt.
Die Situation scheint unter Kontrolle zu sein. Dennoch warnen namhafte Virologen seit Wochen vor einer zweiten Infektionswelle. Auch Richard Greil sprach Ende April von der Gefahr, dass sich das Virus zwischen Mitte Juni und September wieder ausbreiten könnte. Der Primar der III. Medizin am Uniklinikum und damalige Leiter des vorübergehend eingerichteten medizinischen Krisenstabs berief sich auf Rechenmodelle.
Dass sich derzeit keine zweite Welle andeute, hänge mit der Dauer des Lockdowns von sechs Wochen und den schrittweise erfolgenden Lockerungen zusammen, sagt Greil. „Deswegen haben wir eine größere Verzögerung für das Auftreten weiterer Fälle. Es war aber auch bei vergangenen Pandemien der Influenza unklar, warum zu welchem Zeitpunkt die Infektionen wieder massiver aufgetreten sind. Dies bleibt auch für Covid-19 offen.“Er verweist auf zehn dokumentierte große Influenza-Pandemien seit dem Jahr 1700. „Bei allen diesen Pandemien ist es zu zweiten Wellen gekommen, die teilweise größer waren als die erste.“Es sei aber auch möglich, dass es nur zu kleineren bis mittleren Infektionsherden komme, die bis zur Verfügbarkeit einer Impfung durch ein sehr gutes Tracing (Nachverfolgung, wer Kontakt mit einer infizierten Person hatte, Anm.) und frühe Quarantänemaßnahmen kontrolliert werden könnten.
Es sei für eine Vorhersage nach wie vor schwierig zu beurteilen, ob die Verbreitung des Virus einer Saisonalität unterliege – welchen Einfluss Umweltfaktoren wie die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit hätten. Greil warnt davor, dass sich ein neuerlicher großer Ausbruch des Coronavirus zwischen September und November mit einer ersten Grippewelle zwischen September und November überlappen könnte. „Das wäre äußerst unangenehm.“Die weitere Entwicklung sei aber schwer vorhersehbar. „Es braucht eine ausgewogene Position mit guter Vorbereitung, aber ohne Panik.“
Greil sagt, er vermisse definierte „Triggerpunkte“auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene – Entscheidungsgrundlagen, wann bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionsherden getroffen würden. Zudem kritisiert er, dass europaweit einheitliche Testhäufigkeiten und -strategien fehlen. Urlauber aus bzw. in Regionen mit verschiedenen Verhaltensregeln könnten auch das Vorgehen nach Ausbrüchen erschweren. „Je heterogener die Population wird, desto schwieriger wird es nachzuvollziehen, wer in welchem Restaurant, in welchem Bad oder in welcher Bar war.“Auf die Frage, ob auch im Sommer ein „Fall Ischgl“möglich sei, meint Greil: „Ja, selbstverständlich kann das an verschiedenen Orten Europas passieren. Das ist sehr, sehr stark von den sozioökonomischen Verhältnissen abhängig, wie die Fälle in deutschen Schlachthöfen zeigen.“
„Es fehlen europaweit einheitliche Teststrategien.“