EU sucht neue Rolle zwischen Ost und West
Brüssel will endlich ein Investitionsabkommen mit China unter Dach und Fach bringen.
Mehrere Stunden lang konferierte am Montag die chinesische Staatsführung mit den Spitzen der EU. In Peking saßen Ministerpräsident Li Keqiang und später auch Staats- und Parteichef Xi Jinping vor den Videoschirmen. In Brüssel traten Charles Michel als Sprecher der Staats- und Regierungschefs sowie Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf.
Die EU will ihr Verhältnis zu China neu ordnen. In ihrer China-Strategie wird das Reich der Mitte zwar als Partner bezeichnet, aber auch als wirtschaftlicher Konkurrent und „systemischer Rivale“. Peking nutzt die Leerräume, die der Rückzug der USA unter Präsident Donald Trump öffnet. Das Desinteresse des Weißen Hauses an internationalen Organisationen wird von Chinas Diplomaten dazu benutzt, den Einfluss Pekings auszubauen.
In diesem Umfeld versucht die EU vor allem, ein seit Jahren verhandeltes Investitionsabkommen mit China abzuschließen. Die EU-Spitzen forderten China beim Videogipfel auf, sich an Zusagen zu halten – auch beim Klimaschutz. China baut nach wie vor Kohlekraftwerke.
China wiederum hofft auf Verstärkung durch die EU im Handelskrieg mit den USA. Laut Regierungschef Li Keqiang will China die Kooperation bei der Suche nach einer Coronaimpfung verstärken.
BRÜSSEL. Kotau wird die in China traditionelle Geste der tiefen Verbeugung genannt. In diesem Gruß, der vor dem kaiserlichen Thron üblich war, ist stets auch ein guter Teil Unterwürfigkeit. Der Kotau, so ätzen Kritiker, sei die Konstante der vergangenen Jahre im Verhältnis zwischen Europa und China.
Dies mag überspitzt formuliert sein. Doch tatsächlich ordnete sich die Politik den Hoffnungen der Wirtschaft auf Profite unter. China wurde zum gelobten Land des riesigen Marktes, der Globalisierung und der billigen Arbeitskräfte. Wer auf sich hielt, investierte in China – und tanzte nach der Pfeife der Staatsführung in Peking. China wurde zur verlängerten Werkbank der europäischen Industrie. Die Staats- und Regierungschefs Europas machten den Türöffner. Kein Land, dessen Spitzenvertreter nicht mit Dutzenden Managern im Schlepptau nach Peking gepilgert wären, um gut Wetter fürs Geschäft zu machen.
Immerhin, so die politische Hoffnung, sei Wandel durch Handel zu erwarten: China werde sich dank der Segnungen des Marktes und des Wohlstands demokratisieren.
Nun ist der Kater groß. Im März 2019 änderte die EU ihren Kurs. Die damals schon drei Jahre alte ChinaStrategie wurde unter Kommissionschef Jean-Claude Juncker erneuert, besser: an die neue Lage angepasst. China sei gleichzeitig und je nach Politikbereich „Kooperationspartner,
Verhandlungspartner, wirtschaftlicher Wettbewerber und ein systemischer Rivale“, heißt es seitdem. Die Liste der Klagen ist lang, lässt sich aber auf einen Kern zusammenfassen. „China reserviert seinen Markt für seine Champions und schützt sie vor Wettbewerb“durch ausländische Konkurrenz. Als Beispiel angeführt wird der Bereich der Finanzdienstleistungen. Während chinesische Onlinebezahlplattformen, Kreditkartenanbieter, Banken und Versicherungen ihre Präsenz in Europa ausbauten, werde europäischen Anbietern der Zugang nach China verweigert.
China, so die Kritik, nutze den Marktzugang in die EU weidlich aus, gewähre ihn aber umgekehrt nicht oder nur wenig.
Das Misstrauen ist mittlerweile groß. Zumal sich Chinas Unternehmen, ausgestattet mit staatlicher Finanzkraft, auf gezielte Einkaufstour nach Europa aufmachten. Die „Made in China 2025“-Strategie Pekings zielt darauf ab, in Schlüsselindustrien wie Informations- und Biotechnologie, Maschinenbau und Robotik, auch Raumfahrt autark zu werden – wozu zusammengekauft wird, was in das Konzept passt.
Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin, hat Regierungen
zum Kauf strategischer Anteile an sensiblen Firmen geraten, um chinesische Übernahmen zu verhindern.
Ein Investitionsabkommen zwischen Brüssel und Peking soll die Wildwest-Verhältnisse in geordnete Bahnen bringen – über dieses Abkommen wird jedoch bereits seit 2013 verhandelt. Dazu gesellen sich weitere Reizthemen wie Menschenrechte, Pekings Griff nach Hongkong, das anfängliche Herunterspielen des Coronaausbruchs, Klimaschutz und überhaupt die nach Ansicht der EU höchst selektive Berufung Pekings auf den Multilateralismus, nämlich nur dann, wenn er im eigenen Interesse liegt. Kein Mangel an Gesprächsstoff also beim
Videogipfel am Montag zwischen den EU-Spitzen Charles Michel als Vertreter der Mitgliedsstaaten, Kommissionschefin Ursula von der Leyen und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang.
Geplant war eine viel gewichtigere West-Ost-Veranstaltung. Unter der EU-Präsidentschaft Deutschlands hatte Angela Merkel im September zu einem großen Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs mit Chinas Führung in Leipzig geladen. Der ist coronabedingt auf unbestimmte Zeit verschoben.
Was bleibt, sind die Mühen der Ebene. Beim Videogipfel mahnten die EU-Vertreter China zur Einhaltung seiner Zusagen.
„Müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht dieselben Werte teilen.“Charles Michel, EU-Ratspräsident