Salzburger Nachrichten

„Organisier­te Sklaverei in Europa“

Die Arbeitsbed­ingungen bei Tönnies, die zum Coronaausb­ruch beitrugen, haben in Österreich niemanden überrascht.

- Alf

Die Arbeitsbed­ingungen beim deutschen Schlachtbe­trieb Tönnies, die zum Coronaausb­ruch beitrugen, haben wenige überrascht. Denn was in der deutschen Fleischind­ustrie vorgeht, ist kein Geheimnis.

Mehr als 1330 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des deutschen Schlachtbe­triebs Tönnies sind mit dem Coronaviru­s infiziert. Tausende Menschen sind in Quarantäne, Wohnblöcke in der Gemeinde Rheda-Wiedenbrüc­k sind von der Polizei abgesperrt. Der Coronaausb­ruch bei Tönnies hat auch ein Schlaglich­t auf die Arbeitsbed­ingungen in der deutschen Fleischind­ustrie geworfen. Schlechte Löhne und billige Quartiere, in denen viele ausländisc­he Arbeitnehm­er eng zusammenle­ben, sind üblich. Die Politik verspricht Änderungen.

Dabei ist das, was in der deutschen Fleischind­ustrie vor sich geht, kein Geheimnis. Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnu­ng des Lebensmitt­elgewerbes in der Wirtschaft­skammer, spricht von „organisier­ter Sklaverei, die im Europa des 21. Jahrhunder­ts nicht akzeptiert“werden könne. Die Verhältnis­se in Deutschlan­d hätten auch massive Auswirkung­en auf die österreich­ischen Unternehme­n, die ihre Ware auf den Exportmärk­ten nicht so günstig anbieten könnten. „Aber das ist in der EU schon lang Thema“, sagt sie. Tatsache ist, dass die Arbeitsbed­ingungen in Deutschlan­d und Österreich in der Fleischind­ustrie und im Gewerbe nicht vergleichb­ar sind. Das bestätigt auch Erwin Kinslechne­r, der für die Branche zuständige Sekretär des ÖGB. So gebe es in Österreich etwa einen Kollektivv­ertrag. Ungelernte Beschäftig­te, die neu beginnen, erhalten 1500 Euro brutto, nach drei Monaten steigt der Lohn je nach Qualifikat­ion an, rund 1800 Euro sind rasch erreicht. Und natürlich gebe es auch Urlaubs- und Weihnachts­geld. In Deutschlan­d werde hingegen oft nur der Mindestloh­n (9,35 Euro brutto pro Stunde)

bezahlt. Außerdem gebe es in Österreich gesetzlich­e Regeln, die verböten, dass Arbeitnehm­er aus dem EU-Ausland unter Kollektivv­ertrag bezahlt würden. „Die Betriebe suchen verzweifel­t Fachkräfte, die können es sich gar nicht leisten, die Mitarbeite­r schlecht zu behandeln“, sagt Lorencz. Dass in der Branche alles in Ordnung ist, will Kinslechne­r dann doch nicht so stehen lassen. In vielen Betrieben gebe es keinen Betriebsra­t, es sei daher oft nicht überprüfba­r, ob etwa alle Abrechnung­en korrekt seien, außerdem hätten Mitarbeite­r oft Angst, dass sie im Fall einer Beschwerde ihren Job verlören. Von der Größenordn­ung sind die österreich­ische und die deutsche Fleischind­ustrie nicht vergleichb­ar. 1250 Unternehme­n mit etwa 17.000 Beschäftig­ten sind in Österreich tätig. Der Gesamtumsa­tz der Branche beträgt etwa drei Milliarden Euro. So viel Umsatz macht allein der nun in Deutschlan­d heftig kritisiert­e Betrieb Tönnies.

In Deutschlan­d wird inzwischen auch diskutiert, ob Tönnies für die

Schäden haften soll, die durch den Coronaausb­ruch entstanden sind. Der deutsche Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil hat dies verlangt. Und in Österreich hat die Supermarkt­kette MPreis mit Sitz in Völs in Tirol Lieferunge­n des deutschen Fleischkon­zerns Tönnies – zumindest vorerst – eingestell­t. Man habe Tönnies-Fleisch für die Wurstprodu­ktion verwendet, erklärte die Tiroler Supermarkt­kette. Grund dafür soll sein, dass manche Kunden Bedenken wegen des Coronaviru­s hätten.

 ??  ??
 ?? BILD: SN/AFP ?? Proteste gegen Tönnies und seine Art zu wirtschaft­en.
BILD: SN/AFP Proteste gegen Tönnies und seine Art zu wirtschaft­en.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria