Wo man Masken tragen sollte
Die Fleischfabrik Tönnies in Deutschland und ein Rotariertreffen in Salzburg machen klar: Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen das neue Coronavirus sind keine Garantie für die Zukunft.
„Masken dort, wo Abstand schwierig ist.“
Richard Greil, Mediziner
Wie kann es sein, dass sich beim Marktführer der deutschen Fleischfabriken Tönnies rund 1300 Mitarbeiter mit dem neuen Coronavirus infizieren? Wie ist es möglich, dass ein einziges Rotariertreffen eine erkleckliche Zahl von positiv getesteten Teilnehmern zur Folge hat? Virologen und Epidemiologen diskutieren dieses Thema intensiv und sind in Wahrheit noch nicht zu wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnissen gekommen. Gibt es tatsächlich sogenannte Superspreader, die das Potenzial haben, sehr viele Menschen anzustecken? Oder liegt das ganz einfach am jeweiligen Sozialverhalten, wie sehr durch Menschenansammlungen das Virus verbreitet werden kann? Tatsache ist jedenfalls: Durch die jüngsten Beispiele in Deutschland und Salzburg, wo sogenannte Cluster auftreten, nimmt auch die Diskussion über das Tragen von Gesichtsmasken wieder Fahrt auf.
„Das Thema Superspreader ist noch nicht wirklich durchgekaut“, sagt Hans-Peter Hutter, Hygieniker und Mikrobiologe an der MedUni Wien. Es gebe Leute, bei denen finde man in einem Milliliter Nasenoder Rachensekret zehn Millionen Viren. Bei symptomlos Infizierten könnten es immerhin noch ein paar Hunderttausend sein.
Auch Richard Greil, führender Coronaexperte am Uniklinikum Salzburg, gibt sich zurückhaltend, was die Rolle von Superspreadern angeht. Ähnlich wie Hutter tendiert er dazu, dass soziales Verhalten eine viel entscheidendere Rolle spiele. Wenn man sich die Arbeitsund beengten Wohnbedingungen von Leiharbeitern in bestimmten Bereichen der Wirtschaft anschaue, sei es nicht verwunderlich, wenn gerade dort Cluster entstünden: „Dort muss man genauer hinschauen.“
Was die Viruslast einzelner Patienten betrifft, weiß man nach Angaben Greils inzwischen, dass auch Infizierte ohne Symptome bis zu einem Monat lang Viren ausscheiden können und 40 Prozent von ihnen keine Antikörper entwickeln. Gleichzeitig mehrten sich die Hinweise,
dass auch die erworbene Immunität nach einer Infektion wieder viel rascher abfalle, als man das ursprünglich vermutet habe.
Greil verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass man dort, wo gehäuft Infektionsfälle auftreten, wie bei Tönnies, eigentlich alle, die mit den Betroffenen Kontakt hatten, innerhalb von 24 Stunden in Quarantäne schicken müsste. Andernfalls steige die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus stark an. Wie schwierig das ist, hat sich dieser Tage nicht nur in Deutschland, sondern auch in Salzburg rund um die Infektionsfälle nach einem Treffen von Rotariern gezeigt. Was nichts anderes heißt, als dass man künftig die personellen Ressourcen in den Gesundheitsbehörden und ausreichende Testkapazitäten besonders im Auge haben muss.
Welche Lehren können aber Durchschnittsbürger ziehen, die gerade erst begonnen haben, die neue Freiheit wieder zu genießen? Mehrere Experten haben sich am Sonntagabend in der ORF-Sendung „Im Zentrum“zum Beispiel weiterhin für das Tragen eines Mund-NasenSchutzes in Supermärkten ausgesprochen, obwohl das gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben ist. Neben Hans-Peter Hutter, der sich in den SN schon mehrfach dazu geäußert hat, betonten das auch der Sonderbeauftragte im Gesundheitsministerium, Clemens Auer („Ich bin ein Maskenmann“), oder Erika Wichro, Medizinerin und Expertin für internationale öffentliche Gesundheit. Hutter sagte: „Die Maske ist ein wirksames Mittel der Eindämmung, wird aber genauso unterschätzt wie Händewaschen.“Und Auer ergänzte: „Wir werden nicht drum herumkommen, Masken freiwillig weiter zu tragen. Ich schütze mich und die anderen.“
So wie die Masken eine falsche Sicherheit vorgaukeln können, bekommt man durch die Lockerungen den falschen Eindruck, dass alles vorbei ist. Davor warnte Michaela Pfadenhauer, Vorständin des Instituts für Soziologie an der Universität Wien. Der jetzige Zustand mit den zunehmenden Lockerungen sei wesentlich schlechter auszuhalten als der Lockdown oder die vorherige Normalität.
Hutter und Greil plädieren im SN-Gespräch dafür, Masken überall im öffentlichen Leben zu tragen, wo das leicht möglich ist: in Geschäften, wo viele Menschen aufeinandertreffen, in den Öffis und dort, wo man den Abstand zu anderen schwer einhalten kann oder selbst keinen Einfluss darauf hat. Hutter ist überhaupt für eine vereinfachte Regel, damit sich jeder auskennt: „Überall, wo die Abstandsregel von einem Meter in Innenräumen unterschritten wird, sollte man eine Maske aufsetzen. Wir müssen wie zum Beispiel beim Zähneputzen zu einer Art Automatisierung kommen, nur so kann man die Akzeptanz für ein bestimmtes Verhalten über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten.“