Mit angezogener Handbremse
Seit zwei Jahren dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren. Was im Ausland groß gefeiert wurde, hat im Land selbst nur wenig bewirkt.
Nachdem sich Loujain al-Hathloul im Jahr 2014 ins Auto gesetzt und versucht hatte, von den Vereinigten Arabischen Emiraten nach SaudiArabien zu fahren, wurde sie für 73 Tage eingesperrt. Seit Juni 2018 ist es saudischen Frauen erlaubt, sich hinters Steuer setzen. Loujain und vier weitere Aktivistinnen aber sitzen hinter Gitter. Tala Harb von Amnesty International hält Kontakt zu ihren Familien.
SN: Vor zwei Jahren wurden in Saudi-Arabien die ersten Führerscheine an Frauen ausgegeben. Sich selbst hinters Steuer zu setzen bedeutet Freiheit. Wie frei sind saudische Frauen heute?
Tala Harb: Stimmt. Das Fahrverbot wurde vor zwei Jahren aufgehoben, aber die Frauen, die das möglich gemacht haben, sitzen nach wie vor im Gefängnis. Insgesamt wurden 13 Frauen weggesperrt, acht von ihnen wurden ein Jahr später unter Auflagen freigelassen. Fünf sind noch immer im Gefängnis – unter unmenschlichen Bedingungen, sie werden sexuell missbraucht und gefoltert. Vor etwa einem Jahr wurde ihr Fall vor Gericht gebracht. Diplomaten und Journalisten wurden ausgeschlossen.
SN: Das, wofür die Aktivistinnen gekämpft haben, ist inzwischen legal: Frauen dürfen Autofahren. Was wird ihnen vorgeworfen? Kontakt zu internationalen Menschenrechtsorganisationen, auch der Kontakt zu uns. Aktivismus für Frauenrechte. Dass sie das Ende der männlichen Vormundschaft in Saudi-Arabien gefordert haben. Aber
Ihre Frage ist natürlich berechtigt. Warum sitzen Frauen, die sich für ihre Freiheit starkgemacht haben, im Gefängnis? Wo sich Saudi-Arabien rühmt, Reformen voranzutreiben? Weil das saudische Volk wissen soll, dass es nichts zu sagen hat. Dass Reformen von oben kommen. Es macht Angst, wenn die, die ihre Stimme erhoben haben, im Gefängnis sitzen. Es ist in den vergangenen zwei Jahren auch wieder sehr still geworden. Es gab kaum andere Frauen, die ihre Forderungen artikuliert haben. Einen Fortschritt kann es aber nur geben, wenn es Stimmen gibt, die ihn einfordern.
SN: Hat diese Fahrerlaubnis dann überhaupt etwas bewirkt? Wenig. Frauen ist es nun zwar erlaubt zu fahren, ins Ausland zu reisen und sich scheiden zu lassen, aber das System der männlichen
Vormundschaft ist immer noch aufrecht. Oft reicht psychologischer Druck der Eltern oder eine versperrte Tür, und die Freiheit, die einem auf dem Papier versprochen wird, ist dahin. Ein Beispiel: Wenn saudische Frauen zu Hause misshandelt werden, können sie zwar Schutz in einem Frauenhaus suchen. Sie können dieses dann aber wieder nur mit der Unterschrift ihres Mannes verlassen. Eine Frau wird Zeit ihres Lebens wie ein unmündiges Kind behandelt. Um das zu verdeutlichen: Eine 60-jährige Frau muss sich zum Beispiel von ihrem Enkelsohn sagen lassen, ob sie außer Haus gehen darf oder nicht.
SN: Kronprinz bin Salman ist bemüht, im Ausland ein ganz anderes Bild zu zeichnen.
Er poliert das Image des Landes auf. Er setzt auf Sport, Kultur, auf große
Events, er lässt Mariah Carey auftreten. 70 Prozent der saudischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Da macht so etwas Eindruck.
Im November wird Riad den G20Gipfel ausrichten und die Regierungschefs der führenden Wirtschaftsmächte empfangen. Das ist ein großer Schritt, um Saudi-Arabien im Kreis der Weltführer willkommen zu heißen. Wenn man es dabei belässt und die Chance nicht nutzt, die Menschenrechtslage im Land zu besprechen, ist das Signal fatal.
Tala Harb