Salzburger Nachrichten

Wo der Mensch zum Tier und das Tier zur Maschine wird

Der nächste Skandal in der Lebensmitt­elbranche kommt bestimmt. Wir haben es selbst in der Hand, ob wir dabei sein wollen.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

14 Stunden Arbeit am Tag, vier Euro Stundenloh­n und eine Unterkunft, die den Namen nicht verdient. Die Erntehelfe­r hausten in verschimme­lten Räumen auf Stockbette­n. Und als ob das nicht menschenun­würdig genug gewesen war, mussten sie auch noch vier Euro pro Nacht bezahlen. Diese Beschreibu­ng lässt an Sklaven- oder Gefängnisa­rbeit denken. Nur dass Sklaven und Häftlinge nicht für ihre Übernachtu­ngen bezahlen müssen. All das hat sich noch bis vor Kurzem in einem Spargelbet­rieb im Bezirk Gänserndor­f zugetragen.

Die Geschichte­n um die Arbeitsbed­ingungen, Entlohnung­en und Unterbring­ung in industriel­len Schlachthö­fen Deutschlan­ds sind nicht minder schauderha­ft. War man es früher gewohnt, gegen Tierleid vorzugehen, sieht man sich heute auch immer öfter mit Menschenle­id konfrontie­rt. Das Dramatisch­e an dieser Situation: Das Ganze hat System. Der Markt verlangt nach bezahlbare­m Gemüse und billigem Fleisch. Im Großmarkt kosten Artischock­en und Avocados heute sogar schon mehr als Schweinefl­eisch. Alles zusammen verschling­t in der Produktion Unmengen an Energie und Trinkwasse­r. Es scheint, als ob sich die Menschheit wie ein Hefepilz gierig selbst ihre Lebensgrun­dlage entzieht. Sie frisst, bis sie an sich selbst erstickt.

Wie obszön unsere Ernährung insgesamt heute schon ist, das erkennt man daran, dass Tiere wie Maschinen behandelt werden (wenn überhaupt so gut) und Menschen wie Tiere. Auf der anderen Seite werden Tiere wiederum wie Menschen behandelt. Das Wagyu-Rind etwa kam vor Jahrzehnte­n nicht deshalb in die Schlagzeil­en, weil dessen Fleisch so gut schmeckt. Es war die außerorden­tlich gute Pflege, die das Tier erhält. Ein Wagyu-Rind trinkt täglich durchschni­ttlich einen Liter Bier, hört Mozart und wird stundenlan­g massiert, damit das Fleisch schön marmoriert wird.

Wäre die blöde Schlachtun­g zum Schluss nicht, dann könnte man sich auf der Stelle für diese Stelle im Stall interessie­ren.

Gibt es einen gesunden Mittelweg? Ja. Natürlich. Zumindest gab es den schon einmal. Wer im Freilichtm­useum Großgmain ein paar der alten Ställe besucht, der fühlt sich wie ein Adeliger. Denn damals standen die Schweine und Rinder unter kunstvoll gemauerten Gewölben. Von solchen Unterkünft­en können heute sogar Besserverd­iener nur träumen. Das Tier wurde damals noch als Partner betrachtet und Obst und Gemüse als Geschenk Gottes. Dieser Zustand scheint heute unerreichb­ar für uns zu sein. Und trotzdem hat es jeder selbst in der Hand, sich über Produktion­smethoden seiner Lebensmitt­el zu erkundigen. Das könnte helfen, wenn man beim nächsten Skandal in der Lebensmitt­elbranche nicht dabei sein will.

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