Der Punktestand im Ibiza-Spiel
Wozu gibt es parlamentarische Untersuchungsausschüsse? Völlig klar: Um nach Skandalen die Wahrheit ans Licht zu bringen und die politisch Verantwortlichen dingfest zu machen. – Das ist der eine Teil der Antwort.
Der andere Teil ist: U-Ausschüsse sind ein beliebtes Gesellschaftsspiel zwischen Regierung und Opposition, bei dem es darum geht, möglichst viele Angehörige der Gegenseite als Zeugen in den Ausschuss zu laden und dort von oben bis unten anzuschütten.
Der Sieger in dem Spiel wird nach einem komplizierten Punktesystem ermittelt. Ein Bundeskanzler als Zeuge bringt zehn Punkte, ein Landeshauptmann sieben, ein Minister fünf, ein Manager drei und so weiter. (Für ehemalige
Amtsträger wird jeweils die halbe Punktezahl gutgeschrieben.) Die Spieldauer beträgt sechs Monate, bei Punktegleichstand gibt’s eine Verlängerung von drei Monaten. Noch eine wichtige Regel: Mehrfach-Ladungen sind möglich.
Wie sieht der Zwischenstand im aktuellen Ibiza-Spiel, äh, -Ausschuss aus? Nun: Die Opposition liegt beinahe uneinholbar in Führung. Allein an den beiden überaus einträglichen Ausschusstagen Mittwoch und Donnerstag mit: ein Stück Bundeskanzler, zwei Stück Minister (davon ein Ex-) und drei Stück Manager konnte die Opposition stolze 26,5 Punkte sammeln.
Wie soll die Regierung das jemals aufholen? Gut, sie hat die Ladung des burgenländischen Landeshauptmanns angekündigt. Das bringt sieben, im neuerlichen Ladungsfalle 14 Punkte. Und sicher findet man auch noch Gründe, ein paar rote Ex-Kanzler auf die Zeugenliste zu setzen. Man könnte ja sagen: Sie sind bei einer Urlaubsreise einmal über Ibiza drübergeflogen. Damit lassen sich schon ein paar Punkte aufholen.
Doch das grundsätzliche Problem der Regierung bei dem Spiel ist folgendes: Sie hat einfach mehr aktive Amtsträger, die die volle Punkteanzahl bringen. Die Opposition hingegen hat lauter Ex-, wie den blauen Ex-Vizekanzler und den blauen Ex-Klubchef, die neulich als Zeugen geladen waren. Aber was bringt das schon? Lauter halbe Portionen . . .
Die Punkte werden übrigens gutgeschrieben, sobald der Zeuge von den Kameras gefilmt wurde und das Ausschusslokal betreten hat. Was dann drinnen passiert, ist für den Spielausgang völlig unmaßgeblich.
Der U-Ausschuss erfüllt somit in etwa die Funktion des Prangers: Der Delinquent wird hingestellt, damit alle sehen, dass er ein Delinquent ist. Wobei der politische Strafvollzug heute deutlich humaner ist als im Mittelalter. Damals bekam der Angeprangerte auch noch eine sogenannte Schandgeige angelegt – ein Holzbrett mit drei Löchern, durch die er den Kopf und beide Hände stecken musste. Was den Effekt hatte, dass er den Unrat und die faulen Eier, womit ihn die Umstehenden bewarfen, nicht abwehren konnte. Das ist heute nicht mehr so. Schandgeigen sind in der Verfahrensordnung der U-Ausschüsse nicht vorgesehen. Die Dreckpatzerl treffen aber meistens trotzdem.
Auch andere herkömmliche Schmähungsarten sind verboten. Im Frankenreich war es im Mittelalter üblich, die geschlagenen Gegner junge Hunde durch die Stadt tragen zu lassen, was damals das Allerärgste und Schämenswerteste war. Dem steht im Ibiza-Ausschuss das allgemeine Tierhaltungsverbot im Parlament entgegen.
Dem Alten Testament wiederum ist zu entnehmen, dass ein feindlicher Herrscher die Botschafter von König David dadurch demütigte, dass er ihnen die Bärte scheren und die Kleider in der Höhe des Gesäßes abschneiden ließ. David soll das als unendliche Schande empfunden haben. Deswegen erscheinen die Zeugen im Ibiza-Ausschuss heute in der Regel rasiert und ohne lange Mäntel.