Gesucht: Präsident für zwei polnische Welten
Die Stichwahl um das höchste Staatsamt spaltet die Nation. Die Gräben verlaufen zwischen Patriotismus und Weltoffenheit.
WARSCHAU. Andrzej Duda gehört zu einem seltenen Politikertypus. Er kann seine Emotionen schlecht hinter einer Maske verbergen. Am Sonntagabend führte das zu skurrilen Szenen. Während seine Anhänger den polnischen Präsidenten mit Sprechchören feierten, rang sich Duda mühsam ein Lächeln ab. Geradezu schizophren wirkte schließlich die Rede des rechtskonservativen Amtsinhabers, dem die Prognosen soeben das stärkste Ergebnis in der ersten Runde der Präsidentenwahl bescheinigt hatten. Mit Blick auf die Stichwahl sagte er: „Wir wollen und werden klar gewinnen.“Das sollte eine Kampfansage an seinen liberalen Herausforderer Rafał Trzaskowski sein. Die Bilder jedoch zeigten einen Mann, der mit seiner Enttäuschung rang.
Am Montag sah die Welt für Duda dann schon wieder freundlicher aus. Nach den offiziellen Ergebnissen kam er auf 43,7 Prozent der Stimmen. Das waren knapp zwei Punkte mehr, als es die Prognosen am Sonntag ausgewiesen hatten – und am Ende könnten es die entscheidenden Punkte sein. Denn in einem sind sich die Demoskopen einig: Duda und Trzaskowski, beide 48 Jahre alt, werden sich am 12. Juli ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern.
Dabei wiesen die Ergebnisse vom Sonntag einen klaren Vorsprung für Duda aus. Der Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski erreichte 30,3 Prozent. Und dennoch: Da er in den Umfragen lange viel deutlicher zurückgelegen war, konnte er seinen Anhängern in ehrlicher Euphorie zurufen: „Mit diesem Ergebnis im Rücken können wir siegen.“
Die Stimmungslagen und Zahlenspiele resultieren aus der tiefen Spaltung der polnischen Gesellschaft. Dem rechtsnationalen Regierungsblock um Präsident Duda und der PiS-Partei mit ihrem autoritären Vorsitzenden Jarosław Kaczyński steht ein etwa gleich großes linksliberales Lager gegenüber, das Trzaskowski und seine Bürgerplattform (PO) repräsentieren. Der Herausforderer
selbst brachte es nach der ersten Wahlrunde auf die Formel: „Zur Wahl stehen in dem Stichentscheid ein weltoffenes Polen und eines, das ausgrenzt und überall nach Feinden sucht. Es ist die
Wahl zwischen Zukunft und Vergangenheit.“Duda konterte: „Wir kümmern uns um die normalen Menschen, die Familien und die Schwachen.“Abgehobene linksliberale Eliten gegen katholisch-konservatives Polentum: So rechnet die PiS.
Wie ausgeprägt die Lagerbildung ist, belegte auch die starke Mobilisierung. 64,4 Prozent Wahlbeteiligung: So viele Menschen hatten im postkommunistischen Polen noch nie an einer Abstimmung teilgenommen. Doch was heißt das für das Duell am 12. Juli? Alle übrigen neun Kandidaten, die am Sonntag chancenlos waren, lassen sich grob einem der Lager zuordnen. So dürften die 13,9 Prozent Stimmenanteil des Drittplatzierten Szymon Hołownia eher an Trzaskowski fallen. Der unabhängige Kandidat war als „AntiDuda“ins Rennen gegangen. Dagegen sind die Wähler des radikalen Nationalisten Krzysztof Bosak, der mit 6,8 Prozent auf Platz vier landete, wohl nur für Duda erreichbar.
Unstrittig ist, was auf dem Spiel steht. Sollte Duda in der Stichwahl siegen, kann die PiSRegierung bis zur Parlamentswahl 2023 an dem antiliberalen und autoritären Umbau von Staat und Gesellschaft arbeiten, den sich Parteichef Kaczyński auf die Fahnen geschrieben hat. Patriotismus und Katholizismus lauten Kaczyńskis Leitideen. Duda hat in den vergangenen fünf Jahren bewiesen, dass er diesen Kurs unterstützt. Er hat fast alle Gesetzesvorhaben der Regierung durchgewinkt. Trzaskowski dagegen will die PiS stoppen.
Viel mehr wäre ihm nach einem Wahlsieg allerdings auch nicht möglich, denn die Rolle des Staatsoberhaupts ist in Polen eher die eines Kontrolleurs als die eines Gestalters. Das stärkste Schwert des Präsidenten ist sein Vetorecht. Damit kann er die Regierung im Zaum halten. Denn ein Präsidentenveto kann in Polen nur von einer Drei-FünftelMehrheit im Parlament überstimmt werden. Davon ist die PiS weit entfernt. Aktiv gestalten könnte Trzaskowski die Politik im Land allerdings kaum. Unter dem Strich droht deshalb in Warschau politischer Stillstand, sollte Trzaskowski gewinnen.
„Zur Wahl stehen ein weltoffenes Polen und eines, das ausgrenzt.“
Rafał Trzaskowski, Zweitplatzierter