Erdo˘gan macht die Hagia Sophia zum Politikum
Erdoğans Kernklientel ist von der Umwidmung in eine Moschee begeistert. Kritiker warnen vor Konflikten – mit Griechenland und Gläubigen.
Mehr als 900 Jahre lang war die Hagia Sophia das bedeutendste Gotteshaus der orthodoxen Christen, dann war sie zwischenzeitlich eine Moschee. Seit 1935 ist das Gebäude mit der mächtigen Kuppel eines der meistbesuchten Museen in Istanbul. Damit soll nach dem Willen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan aber bald Schluss sein: Er will die Hagia Sophia wieder in eine Moschee umwidmen lassen. Am Donnerstag fiel am Obersten Verwaltungsgericht der Türkei der Startschuss für den umstrittenen Prozess.
Es war so etwas wie eine Generalprobe: Am 29. Mai, dem 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen, kniete in der Hagia Sophia ein Imam nieder und begann, aus dem Koran zu lesen. Per Videoschaltung gesellte sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hinzu und hielt eine Predigt.
Islamische Gottesdienste in der Hagia Sophia: Was jetzt noch seltene Ausnahmen sind, könnte schon bald die Regel sein. Erdoğan arbeitet mit Hochdruck daran, die frühere christliche Kirche in eine Moschee umzuwidmen. Die endgültige Entscheidung darüber wird das Oberste Verwaltungsgericht in den nächsten zwei Wochen fällen. Am Donnerstag fand die Anhörung zum Status des Bauwerks statt.
Symbolträchtige Kirche für die Orthodoxen
Die Umwidmung wäre ein Signal weit über die Türkei hinaus. Die „Kirche der Heiligen Weisheit“, so der griechische Name Hagia Sophia, wurde nach mehr als 200 Jahren Bauzeit 537 unter Kaiser Justinian fertiggestellt. Mehr als 900 Jahre lang war die Basilika mit ihrer gewaltigen Kuppel das bedeutendste Gotteshaus der orthodoxen Christenheit und die Krönungskirche der Kaiser von Byzanz. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 wandelte Sultan Mehmet II. die Kathedrale in eine Moschee um. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden vier Minarette angebaut. Nach der Ausrufung der türkischen Republik ließ der weltlich gesinnte Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Hagia Sophia 1931 zunächst schließen. Seit 1935 ist sie ein Museum. Inzwischen gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Umwandlung in ein Museum durch Atatürk war in der Türkei stets umstritten. Nationalistische Kreise und religiöse Eiferer kritisierten die Entscheidung immer wieder. Seit dem ersten Wahlsieg von Erdoğans islamisch-konservativer AKP 2002 gibt es verstärkte Bestrebungen, die Hagia Sophia wieder als Moschee zu nutzen. 2011 und 2013 wurden bereits früher christliche Kirchen in Iznik und Trabzon in Moscheen umgewandelt. 2019 entschied ein Gericht, dass eine andere byzantinische Kirche in Istanbul, die Chora-Kirche, die derzeit ein Museum ist, als Moschee genutzt werden darf.
2016 reichte schließlich ein Verein, hinter dem ein pensionierter Lehrer steht, Klage beim Obersten Verwaltungsgericht ein. Gefordert wird die Annullierung der Umwidmung der Hagia Sophia in ein Museum, weil Atatürks Unterschrift auf dem damaligen Beschluss angeblich gefälscht sei.
Dass das Thema gerade jetzt wieder auf die Tagesordnung kommt, dürfte mit der türkischen Innenpolitik zu tun haben: Die Wirtschaftslage ist schlecht, die AKP verzeichnet in jüngsten Umfragen dramatische Stimmenverluste. Mit einer Umwidmung der Hagia Sophia könnte Erdoğan seine islamistische Kernklientel begeistern und sein Ansehen in der islamischen Welt fördern. Entscheidet das Oberste Verwaltungsgericht, dass die Umwandlung rechtens ist, hätte Erdoğan die Handhabe dafür.
Kommt es dazu, drohen neue Spannungen im ohnehin stark strapazierten Verhältnis zu Griechenland. Für die Griechen hat die Hagia Sophia wegen ihrer historischen Bedeutung für die Orthodoxie Symbolcharakter. Aber eine Umwandlung könnte noch andere, weitreichende Konsequenzen haben. Vor zwei Wochen ermahnte das US-Außenministerium die Türkei, die „komplexe multireligiöse Geschichte“der Hagia Sophia zu respektieren. In einem Bericht zu den religiösen Freiheiten in der Türkei kritisierte das State Department, die Regierung Erdoğan beschneide die Rechte nicht muslimischer Minderheiten wie armenisch-orthodoxer Christen, Juden und Griechisch-Orthodoxer.
Der Ökumenische Patriarch Bartholomäus, Oberhirte von etwa 300 Millionen orthodoxen Christen, erklärte diese Woche, die Hagia Sophia bringe als Museum „Menschen und Kulturen aus aller Welt einander näher“. Die Umwandlung in eine Moschee werde dagegen „Millionen Christen gegen den Islam aufbringen. Wir hoffen, dass sich Weisheit und Vernunft behaupten“.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu weist indes jede Einmischung des Auslands schroff zurück: Die Zukunft der Hagia Sophia sei „definitiv kein internationales Thema, sondern eine Sache der nationalen Souveränität“.