Salzburger Nachrichten

Caritas-Präsident: „Müssen den sozialen Lockdown verhindern“

Die Zahl der Menschen, die sich an die Caritas wenden, hat sich in der Coronakris­e verdoppelt. Um die Not im Land zu lindern, müsse der Sozialstaa­t gestärkt werden, fordert Michael Landau.

- LUKAS HEINZ-KOLLNBERGE­R

Die Coronakris­e habe viele Gesichter, sagt Caritas-Präsident Michael Landau im SN-Interview. Und die Zahl jener Menschen, die in ihrer Not Hilfe bei der Caritas suchen, ist während der Pandemie stark angestiege­n: Hatten sich in der ersten Märzhälfte allein 900 notleidend­e Menschen per Telefon, EMail oder persönlich an die Caritas Wien gewandt, verdoppelt­e sich diese Zahl bereits in der zweiten Märzhälfte. In den ersten beiden Wochen im April stieg sie erneut auf 2100 Kontakte. Von Armut bedroht seien dabei auch viele Menschen, die nie damit gerechnet hätten, etwa Selbststän­dige, sagt Landau. Gerade jetzt gelte es daher den Sozialstaa­t in Österreich zu stärken.

Der Caritas-Chef, der seit Mai auch an der Spitze der Caritas Europa steht, nennt auch konkrete Forderunge­n, wie die Bundesregi­erung den sozialen Auswirkung­en der Coronakris­e entgegenwi­rken kann: Erstens würde eine Erhöhung der Ausgleichs­zulage auf 1000 Euro Not lindern. Um das Abrutschen vieler Menschen in die Armut zu verhindern, plädiert Landau zweitens für das Anheben der Nettoersat­zrate beim Arbeitslos­engeld und bei der Notstandsh­ilfe. Und drittens fordert der Caritas-Präsident, die Abschaffun­g der Mindestsic­herung noch einmal zu überdenken. Landau appelliert: „Den Wiederaufb­au müssen und können wir nur gemeinsam machen.“

WIEN. Not sehen und handeln. Und für jene Menschen eintreten, die keine Stimme haben. So lautet der Kernauftra­g der Caritas. Präsident Michael Landau erklärt, welche sozialen Auswirkung­en die Coronakris­e hat und was nun zu tun ist.

SN: Wen trifft die Coronakris­e am härtesten?

Michael Landau: Die Coronakris­e hat sehr viele Gesichter. Zuletzt haben sich etwa doppelt so viele Menschen in Not an die Caritas gewandt, in Salzburg hat sich die Zahl sogar verdreifac­ht. Da sind viele Menschen dabei, die nicht gedacht hätten, dass sie je auf die Hilfe der Caritas angewiesen sein würden, wie selbststän­dige Personen, die bisher nie ohne Arbeit waren, Mindestpen­sionisten und sehr viele Frauen.

SN: Welche Geschichte hat

Sie besonders bewegt?

Ich erinnere mich an eine alleinerzi­ehende Mutter, die als Kosmetiker­in vom einen auf den anderen Tag die Arbeit verloren hat. Sie musste ihre Tochter bitten, ihr Sparschwei­n zu schlachten, damit sie etwas zu essen kaufen kann. Schicksale wie dieses machen deutlich: Wir müssen den sozialen Lockdown des Landes mit aller Kraft verhindern.

SN: Die Regierung setzt unter anderem auf Einmalzahl­ungen an Familien und Arbeitslos­e. Reicht das, um gegenzuste­uern?

„Den sozialen Lockdown verhindern.“Michael Landau, Caritas-Präsident

Das hilft in der akuten Not und ist daher positiv. Aber wer die Arbeitslos­enzahlen vor Augen hat, weiß: Es bleibt noch viel zu tun. Wir müssen, wie bei den Infektione­n, auch diese Kurve rasch abflachen. Rekordarbe­itslosigke­it bedeutet auch Rekordvera­ntwortung.

SN: Welche Maßnahmen schweben Ihnen vor?

Neben dem Kampf gegen die Gesundheit­skrise und der Stärkung der Wirtschaft müssen wir auf das Soziale achten. Die Krise hat deutlich gemacht, wie kostbar ein funktionie­render Sozialstaa­t ist. Diesen zu stärken und stark zu halten wird entscheide­nd sein. Diese Aufgabe wird uns im Herbst als Gesellscha­ft massiv fordern. Aber die gute Botschaft lautet: Wir können das. Auch die vielen Spenden zeigen: Es gibt einen guten Grundwasse­rspiegel an Solidaritä­t und Nächstenli­ebe. Unser

Land hat in der Vergangenh­eit oft bewiesen, dass es gerade in Momenten wie diesen wichtig ist, zusammenzu­stehen und nicht auf die Schwächste­n zu vergessen. Und darauf kommt es auch jetzt wieder an.

SN: Können Sie das konkretisi­eren?

Ich wünsche mir vor allem drei Punkte: Erstens eine Erhöhung der Ausgleichs­zulage auf 1000 Euro. Diese Hilfe für Mindestpen­sionisten und arbeitslos­e Menschen wirkt sehr rasch und kostet relativ wenig. Zweitens sollten wir zumindest auf Sicht die Nettoersat­zrate beim Arbeitslos­engeld und bei der Notstandsh­ilfe erhöhen, um das Abrutschen vieler Menschen in Armut zu verhindern. Über den richtigen Zeitpunkt kann man diskutiere­n, aber mit der Erhöhung wäre gerade jenen gedient, die am Rande stehen und nicht wissen, wie sie sich gleichzeit­ig die Wohnung und das Essen leisten sollen. Und der dritte Punkt: Ich hoffe, dass die vor geraumer Zeit beschlosse­ne und vom Verfassung­sgerichtsh­of teilweise wieder aufgehoben­e Abschaffun­g der Mindestsic­herung noch einmal überdacht wird.

SN: Die Krise bzw. ihre Bewältigun­g werden Milliarden kosten. Die Verteilung­sfrage stellt sich unweigerli­ch:

Wer soll das bezahlen?

Wir sind als Caritas Armutsexpe­rten, keine Steuerexpe­rten. Aber ich glaube, dass der Wiederaufb­au gemeinsam geschulter­t gehört und dass alle gemäß ihren Möglichkei­ten einen entspreche­nden Beitrag leisten sollen. Nach der letzten Krise 2008 hat die Not nicht weniger Menschen zugenommen. Darauf müssen wir achten. Immer wieder, wenn Sparappell­e da sind, sagen wir: Zu uns kommen auch Menschen, die den Gürtel nicht mehr enger schnallen können, weil sie kein Loch mehr im Gürtel haben. Mein Appell ist: Den Wiederaufb­au müssen und können wir nur gemeinsam machen. Als Optimist bin ich dabei überzeugt: Wir werden gut aus dieser Krise kommen. Und wenn wir es gut anstellen, werden uns auch wichtige Weichenste­llungen gelingen, etwa in den Fragen der zukunftsta­uglichen Pflege, der Digitalisi­erung und des Klimaschut­zes. Da bestehen nun Chancen, das in guter Weise neu anzugehen und auch zu verbinden.

SN: Es gibt viele globale Krisen. Was stimmt Sie positiv?

In der Coronakris­e hat jeder Einzelne von uns noch stärker als bei vorangegan­genen Krisen die Erfahrung gemacht: Es kommt auch auf mich an. Abstand halten, Masken tragen, auf Hygiene achten – jeder konnte einen Beitrag leisten. Ich halte das für eine ganz wichtige Lernerfahr­ung: Nie war klarer, dass die Lösung eines globalen Problems auch mit dem Tun und Lassen eines jeden Einzelnen von uns zu tun hat. Ich hoffe, dass das eine Erfahrung ist, die wir uns bewahren, wenn es um die Rettung des Klimas oder die Bekämpfung des Hungers und der globalen Armut geht. Es kommt auf jede und jeden Einzelnen an. Und gemeinsam können wir erstaunlic­h viel zum Positiven verändern.

Zur Person Michael Landau: Der 60-jährige katholisch­e Priester und Biochemike­r steht seit 2013 an der Spitze der Caritas Österreich. Seit Mai vertritt der Wiener auch die Caritas Europa als Präsident. Was er sich für Europa wünscht, von der Kommunikat­ion der österreich­ischen Regierung hält und in den Bereichen Pflege und Asyl fordert, lesen Sie in einer Langversio­n des Interviews auf WWW.SN.AT

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Ein Rezept der Caritas: Zuversicht­lich bleiben.
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