Die Musen vom Parnass greifen ein Huldigungen für eine erzfromme Herrscherin
Als erstes Musikfestival öffnet die styriarte in Graz ihre Pforten und preist die Nacht, lobt und mahnt aber auch die Herrscher.
Als Mathis Huber, der mutig findige Intendant des steirischen Musikfestivals styriarte, am Mittwoch zu seiner Grußadresse ansetzen wollte, fielen ihm von der Höhe der Helmut-List-Halle in Graz die sechs „Musen vom Parnass“mit einem madrigalesken „Gradus ad Parnassum“ins Wort. Sie stiegen in der Folge herab zu den Menschen im Saal – maximal 250 in gebührendem Coronaabstand dürfen es im geschlossenen Raum seit 1. Juli sein – samt Honoratioren, vom Bundespräsidenten abwärts bis zum Grazer Kulturstadtrat. In kurzen Sentenzen griffen sie das Lob des künstlerischen Patrons (und Verfassers des Lehrwerks „Gradus ad Parnassum“) auf, des von einem Bauernhof nahe Graz stammenden Komponisten Johann Joseph Fux (1660–1741). Er hatte es zur höchsten Ehre des damaligen europäischen Kulturlebens, dem Hofkapellmeister zweier kunstsinniger Kaiser in Wien, gebracht. Sie mahnten aber, im A-cappella-Sechsgesang, zwischen Ernst und humorvollen Sidesteps auch die Spannungen zwischen Politik und Kultur an.
In wenigen Tagen nur hatte dieses Vorspiel textlich der styriarteDramaturg Thomas Höft und klanglich die junge Komponistin Flora Geißelbrecht als eine Art Intermedium zwischen originalen Barockklängen, einer „interkulturellen“Fusion aus Barock und Volksmusik (die Gruppe Sparafudla) und eingebetteten Eröffnungsreden geschrieben – zur Eröffnung der ersten österreichischen Festspiele nach dem Lockdown (und so ambivalent wie mahnend just an jenem Tag, als in Österreich die „Fallzahlen“bedrohlich heftig wieder anstiegen).
Was aber der Festes- und der Musizierfreude vorerst einmal keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: Wie auch schon andernorts, etwa im Wiener Musikverein oder im Orchesterhaus des Mozarteumorchesters, schien die „Wiedergeburt“des Kulturlebens inspirierend wie ein Labsal zu wirken: Musik, so frisch, als wäre sie eben erst aus purer Lust entstanden.
Die Festoper „Gli Ossequi della Notte“(Die Ehrbezeigungen der Nacht) aus 1709, als allegorischer Wettstreit zwischen den Sinnesfreuden der Nacht und den Aufforderungen zur Ruhe in Schlaf und Traum angelegt, war eine Huldigung des gewieften Hofkomponisten Fux für die erzfromme, allen Huldigungen abholde Kaiserin Amalie, die Gattin Josefs I. Trotzdem aufwendig soll man sie auf einer schwimmenden Bühne im Garten der Favorita zelebriert haben.
In der gekürzten Grazer Version, die nun konzertant im nüchternen Ambiente der Helmut-List-Halle zur Aufführung kam, musste allein die Musik für die nötige Imagination
sorgen. Sie tat es so plastisch wie prächtig durch das enorm fantasiereich agierende styriarte-Festorchester unter der Anleitung des Oboisten Alfredo Bernardini. Er hat eine Professur am Mozarteum und versammelte auch Kollegen und gleichgesinnte Freunde von dort, etwa am Cembalo Florian Birsak.
Dem steirischen Bauernbuben Fux half also Salzburg ganz schön auf die Sprünge. Denn auch die schnörkellos ihre Koloraturen in die Höhe schraubende Sopranistin Maria Ladurner studierte in Salzburg und verdiente sich erste Sporen in der Salzburger Hofmusik. Ihr Tenorkollege Valerio Contaldo symbolisierte mit dunkler eingefärbter Stimme schön und würdevoll und doch fein beweglich die Mahnungen des Sonno (Traums).
Dass zwei sinnfällig eingestreute, herrlich eloquent gespielte „Nacht“-Concerti (von Fux und Vivaldi) rein instrumental nachgerade szenische Wirkung entfalteten, erhöhte Reiz und Qualität des fein durchkomponierten Abends. Klangrhetorik und Spielfreude ließen für kostbare Zeit virales und architektonisches Ambiente vergessen. Sintflutartiger Gewitterregen sorgte noch für ein kleinräumiges Abgangschaos, denn draußen vor der Tür standen schon die Besucher für einen zweiten Durchgang.
Jetzt gibt es täglich „nächtige“Festspiele: barocke Feste der diesmal etwas anderen Art.
Festival: styriarte , Graz, bis 26. 7.