Tanzfilm „Isadoras Kinder“: Sehnsucht, Trauer und Zärtlichkeit
„Die Kinder an der Hand nehmen.“Das ist eine Tanzgeste in „La Mère“, also „Die Mutter“, einem Stück der großen Tänzerin Isadora Duncan, jener Frau, die als Begründerin des modernen Tanzes gilt. Im Frühling 1913 waren Duncans zwei Kinder bei einem Autounfall ums Leben gekommen. In den darauffolgenden Tagen fühlte sich die trauernde Mutter „wie leer“. Und dann stand sie auf, und tanzte.
Der Regisseur und frühere Tänzer Damien Manivel nimmt in seinem Film „Isadoras Kinder“diese Solochoreografie, die weder in Fotos noch in Filmaufnahmen von Isadora Duncan existiert, und inszeniert sie neu, mit vier sehr unterschiedlichen Tänzerinnen, die jede ganz anders an die Sehnsucht, die Trauer, die Zärtlichkeit von Duncan herangehen. Da ist im ersten Abschnitt eine junge Frau (Agathe Bonitzer), weißhäutig, rothaarig und biegsam wie ein Weidenzweig, die sich Duncans Notation in einer Bibliothek aus einem Buch kopiert und für sich selbst Geste um Geste erarbeitet. Zwischendurch streift sie allein durchs herbstliche, herb-schöne Paris, auf der Tonebene sind Duncans Erinnerungen zu hören. Der zweite Abschnitt zeigt eine erfahrene Choreografin (Marika Rizzi) und eine junge Tänzerin (Manon Carpentier) bei der gemeinsamen Arbeit an dem Stück, die Ältere vermittelt der Jüngeren den Tanz wie eine Geschichte – auf einmal wird der Kern des Stücks nachfühlbar, auch als die beiden am Strand spazieren gehen und die eine der anderen vom Vermissen ihrer eigenen Kinder erzählt. Und der dritte Abschnitt begleitet eine Zuschauerin (Elsa Wolliaston) des Stücks auf ihren Weg nach Hause und vermittelt, wie das Stück in ihr nachwirkt. „Isadoras Kinder“ist ein zarter, kluger und überwältigend schöner Film, der sein Publikum an der Hand nimmt und beim Denken und Schauen begleitet, Geste für Geste, Tanzschritt für Tanzschritt.
Film: „Isadoras Kinder“. Tanzfilm, Frankreich, Korea 2019. Regie: Damien Manivel. Mit Agathe Bonitzer, Manon Carpentier, Marika Rizzi. Start: 1. 7.