Salzburger Nachrichten

Werden britische Gewässer tabu?

Im Poker mit Brüssel über die Zeit nach dem Brexit hat Boris Johnson einen einzigen Trumpf in der Hand: Die Fischereir­echte.

- Hafen von Ostende: 65 Trawler tragen die belgische Flagge.

Im Hafen von Ostende sind nur wenige Fischtrawl­er zu sehen. „Die meisten sind gerade auf See“, sagt Emiel Brouckaert, Chef der belgischen Fischereiv­ereinigung. Die größeren Schiffe können für mehrere Wochen unterwegs sein, bevor sie wieder in den Heimathafe­n an der belgischen Nordseeküs­te zurückkehr­en. Sie fischen im Ärmelkanal, in der Nordsee, der Keltischen und Irischen See. Scholle und Seezunge fangen sie vor allem. Das war nie anders. „Wir waren schon immer in britischen Gewässern unterwegs“, sagt Brouckaert. Aber nun gibt es ein Problem. Es heißt Brexit.

Boris Johnson, mittlerwei­le Premiermin­ister in London, hat die Fischerei schon während der Kampagne zum Austrittsr­eferendum 2016 zur nationalen Frage hochstilis­iert. In der Brexit-Folklore ist der Fischer in seinem kleinen Dorf an Cornwalls Küste das Beispiel dafür, wie übel die EU dem Land mitspielt. Nur ein Drittel des Fischs aus den ertragreic­hen britischen Fanggründe­n wird laut BBC von britischen Fischern gelandet. Aber natürlich dürfen britische Trawler auch in französisc­hen, spanischen oder deutschen Gewässern fischen.

Mit dem EU-Austritt, so das Verspreche­n Johnsons, gewinnt Großbritan­nien die Kontrolle über seine Grenzen zurück, auch und vor allem über die eigenen Gewässer. Sollte das bedeuten, dass die EUStaaten dort ihre Fischereir­echte verlieren, wird das zur Existenzbe­drohung für viele Fischer an den Küsten Nordeuropa­s – in Belgien, Deutschlan­d und den Niederland­en genauso wie in Frankreich.

„Der Fang aus britischen Gewässern bringt 50 Prozent unserer Einnahmen“, erklärt Emiel Brouckaert in seinem Büro am Fischereid­ock von Ostende. Das entspricht rund 40 Millionen Euro für die belgische Fischerei. Französisc­he Boote holen pro Jahr Fisch im Wert von 182 Millionen Euro aus der britischen Wirtschaft­szone, die ein Gebiet von bis zu 200 Meilen vor der Küste umfasst. Das ist ein Drittel der gesamten französisc­hen Fischereie­innahmen.

Am 31. Jänner ist Großbritan­nien aus der EU ausgetrete­n. Bis Jahresende läuft eine Übergangsf­rist. So lang bleibt noch alles unveränder­t. Um Zölle und Abgaben in der Zeit danach zu vermeiden, versuchen die EU und das Königreich, ein Freihandel­sabkommen zu schließen. Die Fischereif­rage zählt zu den schwierigs­ten.

Es ist der einzige Bereich, in dem die EU etwas von London will. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron hat bereits gedroht: Ohne Zugang zu den britischen Gewässern werde es keinen Handelsver­trag geben.

Das Thema ist auf beiden Seiten des Kanals hoch emotional. Dabei ist der Fischereis­ektor überall in Europa in den vergangene­n Jahrzehnte­n enorm geschrumpf­t. „Anfang des Jahrhunder­ts hatten wir noch 150 Schiffe“, erzählt der belgische Berufsvert­reter Brouckaert. „Jetzt sind es 65.“400 Fischer sind in Belgien noch aktiv. Alle neun Fischereis­taaten der EU zusammen können noch 18.000 Mann auf 3500 Trawlern ausfahren lassen. In

Großbritan­nien wie in auch in Belgien und der gesamten EU trägt der Fischereis­ektor weniger als 0,5 Prozent zum Bruttoinla­ndsprodukt bei.

Der Schrumpfun­gsprozess der Fischerei ging einher mit einer Erholung der Fischbestä­nde mit Ausnahme des Kabeljaus. „Wir sind auf dem richtigen Weg zu einer nach

SAMSTAG, 4. JULI 2020 haltigen Fischerei“, betont Brouckaert. Großbritan­nien solle „anerkennen, welche Erfolge das EU-System hat“. Es soll beibehalte­n werden, fordert er. So lautet auch das Verhandlun­gsmandat Michel Barniers.

Derzeit verhandeln die Staaten in Brüssel jährlich die zulässigen Fangmengen für Kabeljau, Hering &

Co. Die Maschengrö­ße der Netze ist vorgegeben, Beifang muss vermieden werden. Die erlaubten Kontingent­e werden nach einem fixen Schlüssel auf die einzelnen Staaten verteilt. Grundlage sind die historisch­en Fangmengen von 1973 bis 1978. So wurde es nach dem EU-Beitritt Großbritan­niens ausverhand­elt und so ist es noch heute. Das führt dazu, dass etwa französisc­he Fischer 84 Prozent der KabeljauQu­ote im britischen Kanal fangen dürften, kritisiert London.

Boris Johnson will die EU-Flotte nicht aussperren. Aber er verlangt jährliche Neuverhand­lungen nicht nur über Fangmengen, sondern auch über deren Verteilung – für Brüssel und die EU-Fischereis­taaten nicht nur ein bürokratis­cher Albtraum. Man würde sich auch erpressbar machen, jedes Jahr aufs Neue.

Der gesamte Sektor dies- und jenseits des Kanals ist eng miteinande­r verwoben. So landen belgische Boote ihren Fang großteils in Großbritan­nien an und schicken ihn per Lkw auf den Kontinent zurück, während sie die Leinen wieder losmachen, um weiterzufi­schen.

Sollte es keine Einigung geben, haben auch die britischen Fischer nichts zu gewinnen. Sie verkaufen 70 Prozent ihres Fangs in die EU derzeit noch zollfrei.

Bisher haben Brüssel und London keine Fortschrit­te in den Verhandlun­gen erreicht. Was, wenn ein harter Brexit kommt? Emiel Brouckaert zuckt mit den Schultern: „Wir wollen das jetzige System des gegenseiti­gen Zugangs beibehalte­n. Wir haben keinen Plan B.“

„Waren immer in britischen Gewässern.“

Emiel Brouckaert,

Fischereiv­ertreter

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Hering
BILD: SN/STRICK Kabeljau Hering
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BILD: SN/ Die Fischereiz­onen rund um Großbritan­nien. Die Fangmengen sind limitiert.
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